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HBS Böckler Impuls

Rentenversicherung: Altersarmut: Vorbeugen im System

Ausgabe 11/2008

Arbeitslosigkeit, Niedriglöhne und Rentenkürzungen führen in den kommenden Jahren zu einer Rückkehr der Altersarmut - wenn nicht die gesetzliche Rentenversicherung gestärkt wird.

Altersarmut war in den vergangenen Jahren in Deutschland kein vorrangiges Problem. Das Risiko, in Armut zu leben, ist für Senioren kleiner als für den Rest der Bevölkerung. Doch schon bald könnten deutlich mehr Ältere unter die Armutsgrenze rutschen. Damit rechnen Claudia Bogedan und Simone Leiber vom WSI sowie Anika Rasner vom Max-Planck- Institut für demografische Forschung. Die Zunahme der Altersarmut ist nicht in erster Linie eine Folge der Demografie oder des Umlageverfahrens in der gesetzlichen Rentenversicherung. Die Wissenschaftlerinnen führen andere Gründe für die absehbare Rückkehr der Altersarmut an: Arbeitslosigkeit, mehr Niedriglöhne und atypische Beschäftigung. Zudem verschärft sich die finanzielle Situation der Älteren durch eine Rentenpolitik, die vornehmlich auf die Stabilität des Versicherungsbeitrags zielte und dafür das Rentenniveau abgesenkt hat.

Die Probleme auf dem Arbeitsmarkt gefährden die Alterssicherung vieler Menschen. Die Ausweitung des Niedriglohnsektors macht sich bemerkbar - noch Jahre später, wenn die Niedriglöhner ins Rentenalter kommen. Wer wenig verdient, kann nicht sparen und nur dürftige Rentenansprüche sammeln. Auch die weit verbreitete Arbeitslosigkeit schlägt auf das Einkommen im Ruhestand durch - in ostdeutschen Bundesländern durchläuft ein durchschnittlicher Erwerbstätiger derzeit bis zu zehn Jahre Arbeitslosigkeit. Zwar zahlt die Arbeitslosenversicherung Beiträge in die Rentenkasse, doch das nur in bescheidenem Umfang. Ein ALG-II-Bezieher erwirbt je Monat gerade mal einen Rentenanspruch von 2,19 Euro. Die Verweildauer im etwas großzügigeren ALG I wurde im Zuge der Hartz-Reformen erheblich gekürzt. Außerdem müssen ältere Erwerbslose vorzeitig in Rente, um überhaupt ein Einkommen zu haben. Die benötigte frühe Rente erkaufen sie mit Abschlägen - also lebenslangen Rentenkürzungen.

Der Zuwachs der atypischen Beschäftigung ab Mitte der 90er-Jahre erschwert es einem großen Teil der Erwerbstätigen, konstant Rentenansprüche zu sammeln. 2005 hatte gut ein Drittel aller Beschäftigten keine reguläre Vollzeitstelle, unter den Frauen sogar knapp 54 Prozent. Minijobber verdrängen andere Jobs und für sie werden nur geringe Sozialbeiträge gezahlt. Diese Entwicklung wird erhebliche Auswirkungen auf die Alterssicherung haben, prognostizieren Bogedan und Rasner. Die Forscherinnen stützen sich auf die    Untersuchung "Altersvorsorge in Deutschland” (AVID) des Arbeitsministeriums und der Deutsche Rentenversicherung. Diese Studie kombiniert eine Umfrage zu den erwarteten Alterseinkommen mit Informationen aus den Versicherungskonten von 1942 bis 1961 Geborenen. Deutlich wird dabei auch, dass Frauen weiterhin im Alter schlechter versorgt sind als Männer. Viele Frauen haben nur geringe eigene Rentenansprüche und sind vom Alterseinkommen ihres Mannes abhängig. Altersarmut ist auch die Folge einer Familienpolitik, die vor allem die Berufstätigkeit des Mannes im Auge hatte.

Rentenreformen werden Altersarmut befördern. "Mit dem Ziel, die gesetzliche Rentenversicherung demografiefest zu machen, wurde langfristig eine Absenkung des Rentenniveaus gesetzlich verankert", stellen die Wissenschaftlerinnen fest. Erworbene Rentenansprüche sind künftig weniger wert, weil eine neue Rentenanpassungsformel die Renten von der allgemeinen Wohlstandsentwicklung entkoppelt hat. In den vergangenen Jahren stand allein die Stabilität des Beitragssatzes im Fokus der Politik- nicht die Höhe der Leistungen. Die Reformen haben die Probleme der Rentenversicherung jedoch nicht gelöst, sondern eher verschärft, erklären Bogedan, Leiber und Rasner. "Die Absenkung des Nettorentenniveaus bedeutet, dass viele Rentner trotz langer Beschäftigungszeiten am Ende eine monatliche Rente im Bereich der Grundsicherung erhalten werden." Wären die bereits beschlossenen Rentenreformen heute schon voll wirksam, so erhielte der Eckrentner nur noch 900 Euro Rente - im Vergleich zu 1.200 Euro vor den Reformen. Reformen der Kranken- und Pflegeversicherung schmälern die künftigen Alterseinkommen zusätzlich.

Die Forscherinnen beobachten eine "wachsende Unsicherheit über das eigene zu erwartende Alterseinkommen". Der Politikwechsel der vergangenen Jahre macht die Alterssicherung komplexer. Das Mehrsäulen-Modell aus gesetzlicher Rente plus privater Vorsorge und Betriebsrente schützt schlechter vor Armut, so die Expertinnen. Denn die Förderung des privaten Sparens erreicht gerade jene Menschen nicht, die von Altersarmut bedroht sind: Niedriglöhner und Arbeitslose haben zu wenig Geld, um eine Riester-Rente aufzubauen. Die acht Millionen ärmsten Haushalte in Deutschland schaffen es nicht zu sparen oder verschulden sich. Die 4,2 Millionen reichsten Haushalte können dagegen 22 Prozent ihres Einkommens zur Seite legen. Auch Betriebsrenten eignen sich kaum als flächendeckender Armutsschutz; laut  AVID haben nur 29 Prozent der Männer und 15 Prozent der Frauen eine.

Nur die gesetzliche Rente kann Schutz vor mehr Altersarmut bieten. Der Abdeckungsgrad der gesetzlichen Rentenversicherung ist weitaus größer als die Reichweite von Betriebsrenten und privater Vorsorge. Fast alle Männer und Frauen haben zumindest zeitweise in die Rentenkasse eingezahlt und Ansprüche erworben. Daher bleibt sie auch in Zukunft die wichtigste Sicherungsform, folgern Bogedan und Leiber. Die gesetzliche Rente ist keine Fürsorge-Einrichtung, doch die Empirie zeigt: Hier fällt die Entscheidung über Altersarmut. Wer arm ist im Alter, hat in der Regel zu wenig in die Rentenkasse eingezahlt.

Weil es auf die gesetzliche Rentenversicherung ankommt, empfehlen Bogedan und Leiber, dieses System zu stärken. Die gesetzliche Rente habe eine hohe Legitimation, die nicht weiter aufs Spiel gesetzt werden sollte. Das Problem seien Niedriglöhne und Arbeitslosigkeit, nicht das Umlageverfahren.

Gegenwärtig werden unterschiedliche Wege zur Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung diskutiert. Der Vorschlag einer Mindestrente für langjährig Versicherte reagiert auf das Problem, dass viele Erwerbstätige nur unzureichende Rentenansprüche sammeln. Doch das Instrument hilft nur dann gegen Altersarmut, wenn die Hürde nicht zu hoch liegt. Sollte für diese Renten-Aufstockung  eine Mindest-Versicherungszeit von 35 Jahren nötig sein, schließt das ausgerechnet die Menschen mit dem höchsten Armutsrisiko aus. Kleine Selbstständige und Frauen würden von dieser Lösung nicht profitieren, erklären Bogedan und Leiber. Von den Männern, die 2006 in Rente gegangen sind, kamen rund 78 Prozent auf 35 und mehr Versicherungsjahre. Bei den Frauen konnten nur rund 37 Prozent diese Versicherungsdauer vorweisen, in Westdeutschland schaffen es drei von vier Frauen nicht.

Hilfen für Geringverdiener und Arbeitslose. "Es bleibt Aufgabe des Staates, Menschen zu schützen, die wegen Langzeitarbeitslosigkeit, Zeiten selbstständiger Tätigkeit, sozialversicherungsfreier Beschäftigung und niedriger Löhne nur geringe Ansprüche in der gesetzlichen Rente erwerben können und daher besonders schlechte Alterseinkommen zu erwarten haben", erklären die Expertinnen. Sie nennen einige Möglichkeiten, wie dieser Schutz aussehen kann. Die Einführung eines Mindestlohns würde höhere Rentenansprüche vieler Niedriglöhner nach sich ziehen. Die Rentenversicherung der abhängig Beschäftigten ließe sich zu einer Versicherung aller Erwerbstätigen erweitern, dann wären kleine Selbstständige und vorübergehend Arbeitslose besser erfasst, zwei besondere Risikogruppen.

Eine weiterere Stütze gegen Altersarmut wäre es, den vorzeitigen Abschied älterer Arbeitsloser aus dem Erwerbsleben nicht mit lebenslangen Rentenabschlägen zu bestrafen. Und Frauen würden im Alter davon profitieren, wenn sie in jungen Jahren bessere Berufschancen haben, etwa durch eine bessere öffentliche Kinderbetreuung. Ein rasch umzusetzender Schritt: Die Arbeitslosenversicherung zahlt den Erwerbslosen einen höhere Beitrag in die Rentenkasse. Zudem könnten die Rentenbeiträge von Geringverdienern künftig höher bewertet werden als bisher.

  • Ein Vergleich zwischen älteren Beschäftigten und etwas jüngeren: Die Zeiten der Arbeitslosigkeit im Erwerbsleben nehmen zu, die der Vollzeit-Beschäftigung dagegen ab. Zur Grafik
  • Die Alterssicherung älterer Erwerbstätiger stützt sich vor allem auf die gesetzliche Rente. Nur wenige Beschäftigte haben eine Betriebsrente und viele können nur sparen. Zur Grafik

Simone Leiber ist Referatsleiterin Sozialpolitik im WSI.

Claudia Bogedan, Annika Rasner: Arbeitsmarkt x Rentenreformen = Altersarmut?, in: WSI Mitteilungen 3/2008

Pressemitteilung zur Mindestrente für langjährig Versicherte

Seite des Forschungsprojektes AVID

Studie Altersvorsorge in Deutschland (pdf)

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