zurück
HBS Böckler Impuls

Soziale Dienstleistungen: Altenbetreuung: Verschenkte Job-Chancen

Ausgabe 19/2007

Die Betreuung älterer Menschen verbessern und gleichzeitig die Arbeitsmarktchancen von Frauen erhöhen: Schweden macht vor, wie dies gelingen kann.

Für die Altenpflege sind in der Praxis meist Frauen zuständig - nicht nur in Deutschland. Allerdings unterscheiden sich die Organisationsformen von Land zu Land erheblich: Während sich Frauen in Italien oder Deutschland vor allem im eigenen Haushalt um die ältere Generation kümmern, setzt Schweden auf professionelle Angebote. Wie der schwedische Ansatz die Arbeitsmarktchancen von Frauen verbessert hat, analysierte Hildegard Theobald, Professorin für Gerontologie an der Universität Vechta.

Die Wissenschaftlerin analysiert die Entwicklung auf der Grundlage der international vergleichenden Wohlfahrtsstaatenforschung. Diese unterscheidet unterschiedliche Ländertypen je nach Zusammenspiel von Staat, Markt und Familie. Dahinter stehen unterschiedliche Wertvorstellungen und Entwicklungspfade. Italien und Deutschland zählen zu den "familienorientierten" Wohlfahrtsstaaten. Hier wird die Betreuung der Alten - und der Jüngsten - noch immer weitgehend im privaten häuslichen Rahmen erledigt, wobei der Staat in Deutschland zumindest finanzielle Unterstützung leistet, im Falle der Älteren durch die Pflegeversicherung. Dagegen steht Schweden für den Prototyp des so genannten "sozialdemokratischen" Modells. Charakteristisch hierfür ist der Ausbau des sozialen Dienstleistungssektors unter staatlicher Regie. Dadurch sei ein stabiler Arbeitsmarkt für die Pflege entstanden, der sich als gute Ausgangsbasis für die Professionalisierung der Altenpflege erwiesen habe, so Theobald.

Der Aufbau des sozialen Dienstleistungssektors begann in Schweden bereits in den 50er-Jahren. Das Ziel: allen älteren Menschen bei Bedarf eine soziale und pflegerische Betreuung zu gewährleisten. Bis dahin war bezahlte Altenpflege mangels öffentlicher Finanzierung lediglich in großbürgerlichen Haushalten üblich. Seit den 60er-Jahren wurde die kommunale Infrastruktur für Senioren weiter ausgebaut mit einer zusätzlichen Zielsetzung: Es ging jetzt auch darum, Frauen von familiärer Arbeit zu entlasten und ihnen damit den Zugang ins Erwerbsleben zu erleichtern. Im Ländervergleich zeigen sich die Folgen dieser Politik:

  • Fast 7,4 Prozent der Erwerbstätigen in Schweden sind in der kommunalen Altenbetreuung tätig. In Deutschland arbeiten dagegen nur 2,1 Prozent in der ambulanten oder stationären Altenpflege und -betreuung.
  • In Schweden haben 72 Prozent der erwerbsfähigen Frauen einen Job. Die deutsche Frauenerwerbsquote liegt mit 60 Prozent deutlich niedriger.

Zwischen beiden Befunden besteht ein enger Zusammenhang: Weil neun von zehn Arbeitskräften in der Altenbetreuung weiblich sind, hat gerade dieser Wirtschaftszweig maßgeblich dazu beigetragen, die schwedische Frauenerwerbsquote auf internationales Spitzenniveau steigen zu lassen.

Was in Schweden unter staatlicher Aufsicht mit Arbeitsvertrag und sozialer Absicherung geschieht, wird in Deutschland heute häufig informell geregelt: Die Dienstleistung Altenpflege werde hierzulande teilweise illegal über einen grauen Markt bezogen oder oft innerhalb der Familie ausgeführt und nur "symbolisch bezahlt", so die Wissenschaftlerin.

Das schwedische Beispiel zeige, dass gerade Frauen "mit einfacher oder ohne formale Qualifikation" durch den Ausbau der Altenbetreuung Zugang zum Arbeitsmarkt und zu einer berufsbegleitenden Ausbildung bekommen, schreibt die Altenforscherin. Bis in die 80er-Jahre waren dies oft Frauen, die nach einer Familienphase ins Erwerbsleben zurückkehren wollten. Seit den 90er-Jahren finden vermehrt Migrantinnen Arbeit in der Altenbetreuung.

Allerdings ist der Bedarf an qualifizierten Kräften im Laufe der Jahre gestiegen. In den ersten Jahrzehnten waren eher einfache Haushaltshilfen typische Betreuungsleistungen. Erst im Verlauf der 80er kamen eigentliche Pflegeaufgaben dazu, was die "Verberuflichung" der Altenarbeit beschleunigte. Aus- und Fortbildungsprogramme wurden aufgelegt und Stellen mit längeren Arbeitszeiten geschaffen. Parallel entstanden an schwedischen Universitäten Studiengänge zur Altenbetreuung.

Pflegearbeit habe sich in Schweden "erst allmählich als eine Tätigkeit mit regulären Anstellungsformen, Arbeitszeiten und Qualifikationsanforderungen herausgebildet", so Theobald. Gerade in der Anfangsphase seien hohe Hürden zu überwinden gewesen: traditionelle Vorstellungen von den Pflichten der Hausfrau und die Praxis, bezahlte Pflegekräfte - wenn überhaupt - nicht in regulären Arbeitsverhältnissen zu beschäftigen. Außerdem sei Betreuungsarbeit zunächst noch eher als Feld für ehrenamtliche Betätigung betrachtet worden. Deshalb habe es lange gedauert, bis Betreuungsleistung Anerkennung als qualifizierte Tätigkeit gefunden habe.

Negative Erfahrungen mit Sparprogrammen in den 90er-Jahren hätten deutlich gemacht, wie wichtig die Bereitstellung "ausreichender ökonomischer Ressourcen" sei. Zudem seien langfristiges Denken und Maßnahmen zur Qualifizierung der Beschäftigten nötig. Ein öffentlich finanzierter Beschäftigungssektor biete die Chance, in Deutschland ein "vergleichbares, reguläres Arbeitsmarktsegment zu entwickeln".

  • Deutschland knausert bei der Altenpflege. Zur Grafik
  • Schweden bekommen mehr Kinder. Zur Grafik

Hildegard Theobald: Vergesellschaftung von Fürsorgearbeit - Erfahrungen aus der Altenbetreuung in Schweden, in: WSI-Mitteilungen 10/2007.

Impuls-Beitrag als PDF

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrem Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen