Quelle: HBS
Böckler ImpulsEU-Taxonomie: Nachhaltig sozial?
Die Taxonomie-Verordnung der EU sieht auch soziale Mindeststandards für Unternehmen vor. Das ist grundsätzlich zu begrüßen – es braucht aber noch mehr verbindliche Vorgaben.
Die EU hat sich Klimaneutralität bis 2050 auf die Fahnen geschrieben und will dieses Ziel per „Green Deal“ erreichen. Um Investitionen zur Finanzierung der Transformation anzuregen, soll mehr Transparenz geschaffen werden. Ein wichtiges Element dabei stellt die Ökologische Taxonomie dar, die Unternehmen verpflichtet, die Nachhaltigkeit ihrer Geschäftstätigkeit offenzulegen. Bestimmte Berichtspflichten gelten für börsennotierte Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten bereits ab dem Finanzjahr 2021. Welche Rolle die soziale Dimension in diesem Zusammenhang spielt, hat I.M.U.-Expertin Maxi Leuchters analysiert. Sie macht in den Verordnungen und Vorschlägen der EU-Institutionen durchaus sinnvolle Ansätze aus. Die Anforderungen an Unternehmen sollten aber gesetzlich konkretisiert werden.
Für ihre Untersuchung hat Leuchters vor allem Berichte der „Plattform für ein nachhaltiges Finanzwesen“ ausgewertet, einem Beratungsgremium der EU-Kommission, in dem Fachleute aus Wirtschaft, Finanzwesen, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Behörden vertreten sind. Eine Untergruppe dieses Gremiums hat sich mit der Frage beschäftigt, wie eine Soziale Taxonomie aussehen könnte.
Im entsprechenden Bericht werden drei Ziele formuliert, zu denen wirtschaftliche Aktivitäten einen substanziellen Beitrag leisten können: faire Arbeit, angemessene Lebensstandards und Wohlergehen der Verbraucherinnen und Verbraucher sowie nachhaltige und inklusive Kommunen und Gesellschaften. Die I.M.U.-Expertin lobt, dass Beschäftigtenrechte als zentrales Ziel und Unternehmensmitbestimmung als ein mögliches Kriterium auftauchen. Sie betont, dass eine Soziale Taxonomie im Sinne eines ganzheitlichen Verständnisses von Nachhaltigkeit eine folgerichtige Ergänzung der Ökologischen Taxonomie wäre. Dabei müsse aber gewährleistet sein, dass die Daseinsvorsorge weiterhin durch die öffentliche Hand und nicht von privaten Investoren finanziert wird. Ob die EU-Kommission tatsächlich in Sachen Soziale Taxonomie aktiv wird, sei indes fraglich.
Vorläufig umso wichtiger sind der Analyse zufolge die sozialen Mindeststandards, die die Ökologische Taxonomie beinhaltet. Die Plattform für ein nachhaltiges Finanzwesen hat auch zu diesem Thema einen Bericht veröffentlicht, der Vorschläge zur Konkretisierung der Berichtspflichten von Unternehmen enthält.
Vorgeschlagen werden jeweils ein prozessorientiertes und ein ergebnisorientiertes Kriterium für die Einhaltung von sozialen Mindeststandards. Im Bereich Menschenrechte müssten Unternehmen einerseits nachweisen, dass sie einen „Due-Diligence-Prozess“ etabliert haben, der geeignet ist, Menschenrechtsverletzungen zu vermeiden und, falls nötig, Missstände zu identifizieren, um sie abstellen zu können. Andererseits sollen sie offenlegen, ob sie oder das Topmanagement für Verstöße unter anderem gegen Beschäftigtenrechte, Datenschutz oder Strafrecht gerichtlich belangt worden sind. Ähnliche Vorgaben sind für die Bereiche Korruption, Steuern und fairer Wettbewerb vorgesehen. Unternehmen, die „kontroverse Waffen“ wie biologische oder chemische Waffen oder Antipersonenminen herstellen, sollen die Mindeststandards grundsätzlich nicht erfüllen. Die Angaben nach der Taxonomie-Verordnung müsste der Aufsichtsrat im Rahmen des nicht-finanziellen Berichts prüfen.
Da es bislang keine gesetzlichen Vorgaben dafür gibt, wie Unternehmen zur Einhaltung der sozialen Mindeststandards berichten sollen, und die Anregungen der Plattform nicht bindend sind, sei es Sache der Unternehmen, über die Ausgestaltung ihres Berichts zu entscheiden, erklärt Leuchters. Daher empfehle es sich, dieses Thema im Aufsichtsrat möglichst früh zu diskutieren und auf anspruchsvolle Transparenzvorgaben zu drängen. Die Plattform-Vorschläge böten dafür sinnvolle Ansatzpunkte. Auf politischer Ebene wiederum sollten unbedingt verbindliche Anforderungen für die sozialen Mindeststandards angestrebt werden, die sich konkret auf Beschäftigten- und Mitbestimmungsrechte beziehen.
Zugleich sei in Rechnung zu stellen, dass die Taxonomie ein Element einer ganzen Reihe von Initiativen auf europäischer Ebene darstellt, die zur Umsetzung des Green Deal beitragen sollen, so die Expertin. Die „Corporate Sustainability Due Diligence Directive“ zum Beispiel, die sich aktuell noch im Gesetzgebungsverfahren befindet, soll Unternehmen verpflichten, effektive Prozesse zur Sicherung von Menschenrechten entlang der Lieferkette tatsächlich zu etablieren, und sieht zivilrechtliche Haftung vor, wenn Sorgfaltspflichten verletzt werden. Eine solche progressive Gesetzgebung könnte ebenfalls Aufwind für die sozialen Mindeststandards in der Taxonomie bedeuten.
Maxi Leuchters: Soziale Mindeststandards in der Taxonomie, I.M.U. Policy Brief Nr. 8, Mai 2023