Quelle: HBS
Böckler ImpulsArbeitsförderung: 40 Jahre AFG: Am Anfang stand die Bildung
Bildung ist der beste Schutz gegen Arbeitslosigkeit - unter dieser Maxime trat am 1. Juli 1969 das Arbeitsförderungsgesetz (AFG) in Kraft. Doch mittlerweile haben sich die Schwerpunkte in eine problematische Richtung verschoben.
Nie wurde berufliche Bildung in der Bundesrepublik so groß geschrieben: Anfang der 1970er-Jahre setzte die Bundesanstalt für Arbeit den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit auf Fortbildung und Umschulung. 1971 gaben die Arbeitsämter dafür doppelt so viel aus wie fürs Arbeitslosengeld. Der Anteil an den Gesamtausgaben für Arbeitsmarktpolitik lag zeitweilig bei mehr als 30 Prozent. Grundlage für die Qualifikationsoffensive war das neue AFG, das eine aktive Arbeitsmarktpolitik etablierte. Das Ziel: Beschäftigte nicht nur im Falle eines Jobverlusts finanziell abzusichern, sondern vorbeugend Beschäftigungschancen zu erhöhen. Entsprechend erreichten die Bildungsangebote anfangs längst nicht nur Arbeitslose, zeigen Frank Oschmiansky und Mareike Ebach, Arbeitsmarktforscher am WZB: 1973 waren nicht einmal 6 Prozent der Teilnehmer ohne Job. Allerdings erhöhte sich der Anteil schnell, als die Arbeitslosigkeit nach der Ölkrise stieg: 1975 waren es bereits 31, Mitte der 1990er-Jahre etwa 95 Prozent.
Mit anhaltender Massenarbeitslosigkeit wurden neue Instrumente populär: Seit Ende der 1970er-Jahre vor allem Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die nach 1989 in Ostdeutschland - ebenso wie Kurzarbeit Null - massenhaft eingesetzt wurden. Allerdings, betonen die Forscher, allzu oft nicht mit einem realistischen Anspruch, in reguläre Beschäftigung zu führen, sondern zur "statistischen Verringerung der Arbeitslosenzahl und der sozialpolitischen Abfederung" der Beschäftigungskrise.
In den vergangenen Jahren floss zunehmend mehr Geld in die Förderung von Selbständigkeit, die Dienste externer Arbeitsvermittler, Lohnkostenzuschüsse sowie die so genannten Ein-Euro-Jobs. Parallel dazu sank der Anteil der aktiven Arbeitsmarktpolitik an den Gesamtausgaben für Arbeitslose: Zuletzt wurde nur noch ein Fünftel der Mittel darauf verwendet. "Mit dem Einsetzen der Beschäftigungskrise wurde das arbeitsmarktpolitische Instrumentarium im Wesentlichen zum Kürzungsposten öffentlicher Ausgaben", schreiben die WZB-Wissenschaftler. Das unterstreicht auch die WSI-Arbeitsmarktexpertin Claudia Bogedan: Gemessen an der Wirtschaftsleistung geben Niederländer, Franzosen, Dänen oder Belgier spürbar mehr für aktive Arbeitsmarktpolitik aus.
Die ursprünglich weit gesteckten Ziele des AFG - unter anderem der Schutz vor Qualifikationsverlust durch "unterwertige" Beschäftigung - wurden ersetzt durch "vermittlungsorientierte Maßnahmen", beschreiben Oschmiansky und Ebach den Status Quo. Diese zielten auf eine möglichst schnelle Wiederbeschäftigung ab - zu welchen Bedingungen, sei eher zweitrangig. "Angesichts der enormen Unterbeschäftigung sind die Erfolgsmöglichkeiten dieser Instrumente jedoch begrenzt. Einen arbeitsmarktpolitischen Beitrag zum Strukturwandel leisten sie nicht". Vielmehr sei die Gefahr groß, dass so reguläre Beschäftigung verdrängt werde.
40 Jahre nach Inkrafttreten empfehlen die WZB-Forscher daher, sich stärker auf die ursprünglichen Instrumente des AFG zu konzentrieren und die berufliche Weiterbildung "sukzessive wieder zum Kern aktiver Arbeitsmarktpolitik" zu machen. Dafür sprächen auch Evaluationsstudien, die zeigen, dass "vermittlungsorientierte" Instrumente "keineswegs erfolgreicher als berufliche Bildungsmaßnahmen sind". Schließlich hätten sich die meisten der durch die Hartz-Gesetze eingeführten Instrumente, etwa die Personal-Service-Agenturen, als Misserfolg erwiesen.
Das gilt auch für die so genannte Job-Rotation, bei der Betriebe hohe Zuschüsse erhielten, die ihre Beschäftigten während einer beruflichen Weiterbildung von Arbeitslosen vertreten lassen: In Dänemark höchst erfolgreich, blieb das Instrument in Deutschland bei minimalen Teilnehmerzahlen wirkungslos. Aus Sicht der WZB-Forscher ein Argument für ihren zweiten zentralen Schluss: Arbeitsmarktpolitik funktioniere am besten, wenn sie nicht auf standardisierte Patentrezepte vertraut, sondern den Fachkräften in den lokalen Arbeitsagenturen und Grundsicherungsstellen ein möglichst flexibles Instrumentarium zur Verfügung stellt. Und sie mit guten, aktuellen Informationen über den Arbeitsmarkt vor Ort versorgt.
Frank Oschmiansky, Mareike Ebach: Vom AFG 1969 zur Instrumentenreform 2009: Der Wandel des arbeitsmarktpolitischen Instumentariums. In: Silke Bothfeld, Werner Sesselmeier, Claudia Bogedan (Hrsg.): Arbeitsmarktpolitik in der sozialen Marktwirtschaft - Vom Arbeitsförderungsgesetz zu Sozialgesetzbuch II und III, August 2009