Quelle: HBS
Böckler ImpulsGesundheit: 2025: Alle Versicherten im Sozialausgleich
Das System von pauschalen Zusatzbeiträgen zur Krankenversicherung droht den Staatshaushalt schwer zu belasten. Bis 2025 könnte jedes Kassenmitglied zum Fall für den Sozialausgleich werden.
Stärkere Belastung kleiner Einkommen, mehr Bürokratie - die Liste der Bedenken gegen die Gesundheitsreform ist lang. Wissenschaftler der Universität zu Köln identifizieren weitere Probleme: Der von der Regierung so genannte Sozialausgleich ist anfällig für Schätzfehler und Manipulationen. Das wiegt umso schwerer, weil die pauschalen Zusatzbeiträge schnell steigen dürften.
Wie stark, haben Markus Lüngen und Guido Büscher vom Kölner Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie (IGKE) berechnet. Sie gehen in ihrem Szenario davon aus, dass die Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung künftig um durchschnittlich zwei Prozent pro Jahr stärker zunehmen als die Einnahmen - ein moderater Wert. Da der Anstieg laut Regierung aber ausschließlich über die Pauschalbeiträge der Versicherten gedeckt werden soll, steigen diese schnell: 2015 müsste jedes beitragspflichtige Kassenmitglied im Schnitt bereits 21 Euro pro Monat bezahlen. 2020 wären es knapp 56 Euro und 2025 schon rund 97 Euro.
Entsprechend schnell wächst die Zahl der Versicherten, die Anspruch auf den Sozialausgleich aus Steuermitteln haben, weil der durchschnittliche Pauschalbetrag zwei Prozent ihres Einkommens übersteigt. Bei 50 Euro Zusatzbeitrag wären gut 38 Millionen Mitglieder vom Ausgleichsverfahren betroffen. Um das Jahr 2025 hätten dann rechnerisch alle gut 50 Millionen gesetzlich Versicherten einen Anspruch. Das lässt einen gigantischen bürokratischen Aufwand erwarten - und bedeutet, dass danach alle Ausgabensteigerungen faktisch aus Steuermitteln bezahlt werden müssten.
Bei diesen Perspektiven sehen die Forscher einen schweren Interessenkonflikt heraufziehen: Die Regierung hätte nämlich Möglichkeiten, die enorme Belastung für den Staatshaushalt zu mindern - auf Kosten der Versicherten. Denn der durchschnittliche Zusatzbeitrag als Basis für den Sozialausgleich wird laut Gesetzesvorhaben nicht empirisch ermittelt, sondern für das jeweils folgende Jahr geschätzt. Durch die vielen Variablen bei der Entwicklung von Kosten und Einnahmen ergeben sich dabei spürbare Bandbreiten, zeigen die Forscher. Setzt die Regierung den erwartbaren durchschnittlichen Beitrag im Rahmen der Schätzung nun niedrig an, erhalten weniger Versicherte den Sozialausgleich "obwohl dieser ihnen bei einer korrekten Schätzung zugestanden hätte. Zudem erhalten die anspruchsberechtigten Mitglieder einen niedrigeren Zuschuss", so Lüngen und Büscher. Eine rückwirkende Korrektur bei Fehlschätzungen sieht das Gesetz nicht vor.
M. Lüngen, G. Büscher: Anmerkungen zum geplanten Sozialausgleich in der gesetzlichen Krankenversicherung (pdf). IGKE Studien zu Gesundheit, Medizin und Gesellschaft, Nr. 2, Oktober 2010.