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Altstipendiatin Katarina Günther, Richterin am Finanzgericht in Cottbus Stipendien

Altstipendiatin: Die Menschenkennerin

Ausgabe 03/2023

Richterin Katarina Günther weiß, wie Menschen leben. Sie liest es aus den Steuererklärungen ab. Von Andreas Schulte

Die Plattenbauten sind hoch, die Aufstiegschancen niedrig. Wer in Marzahn aufwächst, hat mit Klischees zu kämpfen. Katarina Günther kann sie weglächeln. Sie erlebte im Berliner Brennpunkt eine glückliche Kindheit – gefolgt von einer beeindruckenden Karriere. 22 Lebensjahre verbrachte sie in Marzahn. „Plattenbau war für mich super“, sagt die Richterin am Finanzgericht in Cottbus. Der Plattenbau hat sie etwas gelehrt: „Alle dort besaßen das Gleiche: das gleiche Bad, das gleiche Wohnzimmer, die gleiche Wohnung. Das hat uns zusammengeschweißt.“

Gleichheit begleitet sie seither. Sie macht ihr Abitur und setzt sich schon als Jugendliche für mehr Gerechtigkeit ein. Als Teamerin der DGB-Jugend hilft sie jungen Menschen bei der Berufswahl und bei Bewerbungen. Dann muss sie sich selbst entscheiden. „Für mich kamen nur Jura oder Betriebswirtschaftslehre infrage“, erzählt sie. Dass es schließlich Jura wurde, ist das Produkt einer Mischung aus Berufung und Pragmatismus. „Die Grundrechte haben mich immer interessiert, außerdem wollte ich in Berlin bleiben und an die renommierte
Humboldt-Uni.“

Überhaupt Berlin: „Das ist meine Stadt. Hier gibt es so viel. Hier will ich sterben“, sagt sie. Aber jetzt hat sie Cottbus! Nicht gerade die Stadt ihrer Träume, gesteht sie ein und lacht, denn Arbeitsort und Tätigkeit kann sie gut trennen. Die 39-Jährige wohnt in der Hauptstadt und pendelt seit fast vier Jahren zum Finanzgericht Berlin-Brandenburg. Nur zweimal insgesamt habe sie in Cottbus übernachtet.

Rein beruflich hat sie dennoch hier ihr Glück gefunden. „Hier im Gericht spielt das Leben“, sagt sie. In ihren Fällen geht es fast immer um Klagen gegen das Finanzamt. Ein Beispiel: Ein Jungunternehmer unterschreibt als Strohmann wissentlich Scheinlieferungen. Was er nicht bedacht hat: Die Umsatzsteuer von mehreren Zehntausend Euro muss er dennoch zahlen.

Die Streitigkeiten gehen auch eine Nummer kleiner: Ein Tennislehrer will keine Umsatzsteuer zahlen, ein Gastronom fühlt sich bei einer Schätzung über seine schlecht geführte Kasse benachteiligt. Katarina Günther mag solche Fälle. Sie sei neugierig, räumt sie ein. Sie will herausfinden, was Menschen bewegt. Steuern helfen ihr dabei. „Steuererklärungen verraten, wie Unternehmen geführt werden und wie Leute leben“, sagt sie. während ihrer Anwaltskarriere vor ihrer Zeit als Richterin hat sie Nichtregierungsorganisationen vertreten. „Das waren Non-Profit-Unternehmen, weniger Verbrecher und Skandale als bei meiner Arbeit heute. Schön, aber manchmal eben auch langweilig“, sagt sie.

Jetzt erfordere ihre Arbeit neben fachlichem Know-how viel Menschenkenntnis. Die Lüge ist im Gerichtssaal zwar Stammgast. „Aber oft wollen die Menschen einfach auch nur, dass ihnen jemand zuhört. Als Richterin muss ich jedem zuhören können. Das kann der Schlüssel zu einer Einigung sein.“

90 Fälle hat sie derzeit auf dem Tisch. Durchschnittliche Laufzeit: zwei bis drei Jahre. Über Mangel an Arbeit kann sie sich nicht beklagen, auch wenn ihre Kolleginnen und Kollegen an den Amtsgerichten noch stärker überlastet seien. „Ich bin ungeduldig“, sagt sie. Deshalb treibt sie Dinge voran. Sie ist am Gericht auch Pressesprecherin und Gleichstellungsbeauftragte. Nebenbei hat sie die Website der Institution mit Inhalten gefüllt.

Auch in der Hans-Böckler-Stiftung engagiert sich Katarina Günther. Die Stiftung hat sie während des Studiums und bei ihrer Doktorarbeit unterstützt. „Das war der Jackpot meines Lebens“, sagt sie. Denn von den vielen beruflichen Kontakten der Stiftung profitiere sie noch heute. Seit vielen Jahren ist sie Sprecherin des Netzwerks Rechtswissenschaften der Hans-Böckler-Stiftung. „Deshalb habe ich schon lange auf mein Porträt im Magazin Mitbestimmung gewartet“, sagt sie, halb im Scherz. Aber dieses Warten hat nun ein Ende.

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