Quelle: Rolf Schulten
StipendienAltstipendiaten der Stiftung: Die Gamedesignerin
Jasmina Kloss entwickelt Computerspiele. Die Mitbestimmung ist in der Branche kaum verwurzelt. Es dominiert eine unverbindliche Feedbackkultur. Von Jeannette Goddar
Jasmina Kloss’ erster Weg in die Uni führte in ein Fach quasi mit Jobgarantie: Mathematik. „Eine sichere Bank eben“, sagt sie, wissend, wie wichtig das ist, wenn ein Studium nicht selbstverständlich ist. Als die heute 33-Jährige ihr Abitur absolvierte, wurde eine Tante im Magazin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft auf ein neues Stipendium aufmerksam: die Böckler Aktion Bildung. „Eine Riesenhilfe war das“, erinnert sie sich, „vor allem, als ich mit meinem Studium noch einmal von vorn begann.“
Nach wenigen Semestern nahm die Bremerin ihren Mut zusammen und begann ein Studium, das sie mehr reizte als das der Mathematik: Kommunikationsdesign mit dem Schwerpunkt Multimedia an der Hochschule Hannover. „Schon mit zehn habe ich kleine Websites programmiert, auch Computerspiele haben mich immer fasziniert“, erzählt sie. Ihr Weg führte schließlich in einen jener Berliner Gewerbehöfe, in denen sich die Kultur- und Kreativwirtschaft tummelt, mit einer Terrasse zur Spree, auf der sich schon am Nachmittag zuweilen ein DJ über sein Mischpult beugt. Die Oberbaumbrücke, einst ein Fußgängerübergang von Kreuzberg nach Ostberlin, ist nur wenige Meter entfernt.
Hier arbeitet Jasmina Kloss für Yager, einen Computerspieleentwickler, der mit einem Shootergame bekannt wurde, das den Schrecken statt die Verherrlichung von Krieg ins Zentrum stellt. Als UI-UX-Designerin – die Abkürzungen stehen für „User Interface“ und „User Experience“ – hat sie die flüssige und schlüssige Bedienbarkeit der Spieleoberfläche im Blick, zusammen mit Programmierern und anderen Digitalexperten. „Seit ich berufstätig bin, denke und arbeite ich in Teams, Projekten, Sprints und Zwischenzielen“, erzählt Jasmina Kloss. Agile Arbeit ist ihr täglich Brot.
Der pandemiebedingte Wechsel ins Homeoffice war in der technikaffinen Branche ein kleiner Schritt; der 33-Jährigen kam die Kommunikation per Video zudem entgegen: Seit ihrer Kindheit lebt sie mit einer Hörbeeinträchtigung. „Hallige Konferenzräume sind oft die Hölle, erst recht, wenn alle mit verschiedenen Akzenten Englisch sprechen. Das Headset erleichtert vieles.“ Die Arbeit in internationalen Teams ist die Regel, nicht selten mit Spezialisten, die nur für einige Monate nach Berlin kommen.
Die Frage nach Gewerkschaften ist da fast so etwas wie eine 100.000-Dollar-Frage – und das in einer Branche, deren Jahresumsatz im Pandemiejahr 2020 von 3,8 auf 5,2 Milliarden Euro hochschnellte. „Klassische Mitbestimmung spielt in der Spielebranche so gut wie keine Rolle“, erzählt Jasmina Kloss. Start-up-szeneüblich hat sich eine Feedbackkultur mit Tools und Techniken etabliert, die Namen wie Moodboard oder Health Map tragen. Nicht alles daran sei schlecht, findet sie, es gäbe „schon so etwas wie ein konstruktives Miteinander“. Im Ernstfall allerdings „trägt das natürlich nicht“, ergänzt sie und weiß, wovon sie spricht: Mitten in der Pandemie, noch in der Probezeit und jüngst Mutter geworden, stand sie ohne Job da, weil ihr Arbeitgeber seinen deutschen Standort aufgab.
Positiv bewertet die Wahlberlinerin die zunehmende Vielfalt in den virtuellen Welten. „Mit den Teams werden die Spiele diverser“, erzählt sie – und wünscht sich nun vor allem stärkere weibliche Akteurinnen: „Das Frauenbild lässt oft noch zu wünschen übrig“, sagt sie mit Blick auf die „Hauptsache sexy“-Rollen, die weiblichen Charakteren nach wie vor häufig zugeschrieben werden. Dabei seien Computerspielerinnen zwar leiser als ihre männlichen Pendants, doch keineswegs selten: „Fast die Hälfte der Gamer sind weiblich“, weiß Jasmina Kloss und führt gleich noch einen Gedanken für überfälligen Wandel an: „Ich glaube kaum, dass Frauen in außergalaktischen Welten sich schminken.“