Quelle: Rolf Schulten
StipendienAltstipendiatin: Die Forschungsreisende
Anja Reitz will in einem Forschungsprojekt dem Ökosystem des Atlantiks auf die Schliche kommen. Als Wissenschaftsmanagerin koordiniert sie derzeit ein EU-Projekt mit 62 internationalen Partnern.
Von Susanne Kailitz
Es sind nur wenige Schritte von Anja Reitz’ Büro bis zur Kieler Förde. Hier kann man die Fähren nach Skandinavien sehen, es riecht nach Salz, das Meer scheint ganz nah zu sein. Auch Anja Reitz bekommt hier manchmal Fernweh – und träumt sich auf eins der Forschungsschiffe, mit denen sie bis 2011 unterwegs war.
„Das Leben an Bord ist aufregend“, erinnert sie sich. „Man lebt und arbeitet eng im Team zusammen, der Rhythmus ist sehr speziell.“ Die promovierte Geochemikerin hat damals auf dem Mittelmeer und dem Atlantik den Meeresboden und das Porenwasser erforscht, das sich in den feinen Hohlräumen des Meeresbodens befindet „und uns viel über den Zustand und die Geschichte des Meeres erzählen kann“.
Doch die Zeit der Forschungsreisen ist für Reitz vorerst vorbei – weil sie heute den Rhythmus einer Familie mit Schulkind und nicht mehr den eines Forschungsteams lebt. Bereuen tut sie das nicht. Denn aus der Grundlagenforscherin ist eine Wissenschaftsmanagerin mit Leib und Seele geworden. Reitz forscht nicht mehr selbst, sondern ist am öffentlich finanzierten GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel für die Koordination von Forschungsprojekten verantwortlich. Gerade haben sie ein EU-Forschungsprojekt zu den Risiken und Nebenwirkungen der Kohlendioxidspeicherung unter dem Meeresboden abgeschlossen. „Wir wissen momentan noch nicht viel über die Auswirkungen dieser Speicherung auf das marine Ökosystem“, sagt sie, „unsere Forschung will das ändern.“
Dass das Forschungsprojekt überhaupt in Kiel stattfinden konnte, war mit ihr Verdienst: Anja Reitz, die vorher nie mit der komplexen Beantragung von EU-Projekten zu tun hatte, hat sich vor vier Jahren in die Materie eingegraben und den erfolgreichen Antrag mitgeschrieben. „Ich habe irgendwann festgestellt, dass ich das gut kann: ein Team strukturieren, den Fahrplan für Forschung entwerfen und Projekte koordinieren.“ 27 europäische Partner waren beteiligt – und auf Reitz’ Schreibtisch liefen alle Fäden zusammen. „Es geht darum, die Relevanz jedes Einzelbeitrags für das Gesamtprojekt herauszuarbeiten“, sagt Reitz. Auch beim neuen EU-Projekt mit
62 internationalen Partnern, das Anja Reitz seit April betreut, ist das so. Dabei haben die Wissenschaftler um sie den Atlantischen Ozean im Blick: Sie wollen die Überwachungssysteme für das Meer verbessern, um sein Ökosystem besser verstehen und genauere Vorhersagen treffen zu können. Eine internationale Truppe von Natur-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlern zu koordinieren, mit unterschiedlichen Kommunikationsstilen klarzukommen und gleichzeitig die wissenschaftliche Herangehensweise der Forscher mit den ökonomischen Interessen der Partner aus der Industrie, die an den meisten EU-Projekten beteiligt sind, auszubalancieren, das sei eine hochkomplizierte Wissenschaft für sich – und genau das, was sie auch in Zukunft tun wolle. Dass die Projekte und damit auch ihre Arbeitsverträge immer nur befristet sind, beunruhigt die 46-Jährige nicht: Sie ist davon überzeugt, dass es immer Arbeit für sie geben werde.
Diese Zuversicht ist wohl auch in Anja Reitz’ Biografie begründet. Eigentlich war der Landwirtstochter der Pfad vorgegeben: Wäre es nach ihren Eltern gegangen, hätte sie nach der Schule den Hof übernommen, eine Ausbildungsstelle stand schon bereit. „Aber ich wollte das alles nicht.“ Reitz sagte die Lehre ab und suchte sich eine Lehrstelle in einer Arztpraxis. Doch schnell wurde ihr klar, dass auch der Job als Arzthelferin nichts fürs ganze Leben sein könne. „Mathe und Naturwissenschaften haben mir immer Spaß gemacht.“ Reitz machte ihr Abitur auf dem zweiten Bildungsweg, studierte mit Unterstützung eines Böckler-Stipendiums Geologie und promovierte schließlich im Fach Geochemie. Wandel ist eine Konstante in Anja Reitz’ Karriere. Und der Ozean: In dem gebe es schließlich immer was zu erforschen.