Quelle: Karsten Schöne
StipendienAltstipendiatin: Die Amtsleiterin
Susanne Heynen leitet das Jugendamt Stuttgart. Ihre berufliche Laufbahn würde die Diplom-Psychologin gern im Ausland beenden. Von Stefan Scheytt
Bei einem Finanzvolumen von 700 Millionen Euro und 4400 Mitarbeitern könnte man sagen, dass Susanne Heynen ein mittelständisches Unternehmen führt. Dessen Hauptsitz in der Stuttgarter Innenstadt ist freilich ein unscheinbares Bürogebäude, in das die Chefin täglich mit dem Fahrrad kommt.
Jugendamtsleiterin Susanne Heynen ist eine Frau mit kurzen, grauen Haaren, sanfter Stimme und einer unaufgeregten Art. Fragt man sie nach ihrem Führungsstil, antwortet sie: „Ich erörtere die Dinge gerne und lege Wert auf offene Kommunikation ohne hierarchische Rücksichten.“ Aber sie sagt auch: „Es ist nicht nur kuschelig mit mir. Wir haben eine große Verantwortung den Menschen gegenüber, und dazu gehört, dass die Kollegen ihre Arbeitsleistung erbringen.“ Das tun sie in fast 250 Einrichtungen von der Kita bis zur Wohngruppe, von der Schwangerenberatung bis zur Wohnanlage für Alleinerziehende.
Gerade hat Susanne Heynen das 100-jährige Bestehen des Stuttgarter Jugendamts, das sie seit 2016 leitet, mit einer Online-Ausstellung gefeiert. Aber natürlich geht ihr Blick vor allem in die Zukunft: Immer neue Gesetze begründen Ansprüche und Erwartungen von Bürgern an die Jugendhilfe. „Darüber freut man sich natürlich – einerseits“, sagt Heynen. „Aber diese Erwartungen stehen im Missverhältnis zu dem, was umsetzbar ist.“ Größtes Problem sei der wachsende ungedeckte Fachkräftebedarf, der schon jetzt Lücken in die Arbeit reißt. „Aber wir können nicht wie eine Fabrik sagen: ‚Sorry, die Lieferkette ist unterbrochen, wir liefern später.‘ Die Menschen haben den Rechtsanspruch und den Hilfsbedarf jetzt.“
Entmutigen lässt sie sich nicht. „Noch fällt uns ja immer etwas ein, das wir tun können“, sagt sie und verweist auf viele Aktionen – von neuartiger Öffentlichkeitsarbeit über verstärktes Personalmarketing, Wohnungen für Erzieherinnen und Stipendien für Auszubildende bis zur Fachkräfteanwerbung im Ausland.
Unterhält man sich länger mit ihr, gewinnt man den Eindruck einer entspannten und gleichwohl wuselig-arbeitsamen Frau. Aufgewachsen in Hamburg und Bochum, absolvierte sie eine Ausbildung als Ergotherapeutin, arbeitete einige Monate in einem Rehazentrum in Ecuador, studierte Psychologie in Freiburg, machte autonomes Radio, saß im Chile-Komitee und ließ sich – ohne jeglichen gewerkschaftlichen Hintergrund in der Familie – zur Betriebsrätin in einer Frühförderstelle wählen.
Ihre Promotion über „Bewältigungsprozesse nach einer Vergewaltigung“ hätte sie ohne die Unterstützung der Hans-Böckler-Stiftung wohl nicht geschafft, vermutet Susanne Heynen heute. Dabei bekam sie nicht mal Geld, aber sie nutzte die Seminar- und Werkstattangebote der Stiftung und die sich daraus ergebenden Kontakte voll aus. Bis heute hat sie regelmäßigen Kontakt zu einigen der Wissenschaftlerinnen, die mit ihr damals den Doktortitel anpeilten. Nach ihrer Promotion arbeitete sie 22 Jahre im Jugendamt Karlsruhe, wo ihr Mann bis heute als Sozialarbeiter tätig ist, bevor sie vor sechs Jahren als Amtschefin nach Stuttgart wechselte.
Inzwischen 61, ist das Ende ihrer Laufbahn nicht mehr allzu fern, aber unvorstellbar sei ihr die Perspektive, einmal gar nicht mehr zu arbeiten. Geblieben ist der Wunsch, der sie schon als junge Frau umtrieb: im Ausland zu arbeiten. „Nicht als Ergotherapeutin, wie ich damals dachte. Inzwischen weiß ich ja, wie man eine große Organisation leitet und weiterentwickelt.“ Sie hat schon mal ein Fernstudium in nachhaltiger Entwicklungszusammenarbeit begonnen. „Es fehlt einfach noch etwas, um das berufliche Leben abzurunden“, sagt Susanne Heynen. Und so viel ist sicher: Ihr Mann würde mitgehen.