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Christoph Bieber Stipendien

Altstipendiat: Der Vorausdenker

Ausgabe 06/2011

Christoph Bieber hat einen Riecher für zukunftsträchtige Themen. Schon früh war er dem Phänomen Berlusconi auf der Spur. Jetzt widmet er sich auf einem neuen Lehrstuhl der Ethik im Politikmanagement. Von Carmen Molitor

Ein großer Raum mit bildlosen weißen Wänden, links ein kleiner Besuchertisch mit zwei Stühlen, rechts ein Schreibtisch, auf dem vorläufig nur das Netbook summt – das neue Büro von Christoph Bieber in der NRW School of Governance in Duisburg wirkt noch unfertig. Anfang Mai hat er den Lehrstuhl für Ethik in  Politikmanagement und Gesellschaft, eine Stiftungsprofessur der Welker-Stiftung – genannt nach dem ehemaligen Haniel-Manager Johann Wilhelm Welker – übernommen. Bieber ist schon da, die Einrichtung kommt später. Nichts Neues für den 40-Jährigen. Es war mehrfach Motor seines akademischen Erfolges, ein bisschen vorneweg zu sein und sich früh in noch wenig betretenen Zimmern der Wissenschaft einzurichten.

Schon 1995 bei seiner Magisterarbeit an der Uni Gießen bewies er eine gute Nase für Themen. Er beschrieb am Beispiel von Silvio Berlusconi, wie das Verhältnis zu den Medien politische Karrieren beeinflusst und die Politik verändert. Der italienische Ministerpräsident war damals das erste Mal angetreten, gewählt und schon wieder abgewählt worden. „Meine These war: Der kommt wieder!“, sagt Bieber und lächelt. „Damit lag ich nicht völlig daneben.“ Die Arbeit kam gut an und markierte den Punkt, an dem der junge Politikstudent aus einer Arbeiterfamilie in Schotten, Hessen, sich für eine akademische Laufbahn entschied. Ursprünglich wollte er Journalist werden und hatte neben dem Studium als freier Mitarbeiter von Lokalzeitungen gearbeitet. Nach der gelungenen Magisterarbeit änderte sich sein Ziel, denn seine Prüferin fragte ihn, ob er promovieren wolle. „Das war für mich vorher noch nie ein Thema gewesen“, erzählt Bieber. Als auch der Zweitgutachter Claus Leggewie ihn dazu ermutigte, sah das anders aus.

Dann kam ihm eine zündende Idee für das Thema einer Dissertation. Ein Kommilitone hatte ihn mit in das Hochschulrechenzentrum genommen, um ihm etwas aufregend Neues zu zeigen: das Internet, in dem es damals erste zarte Ansätze für virtuelle Gemeinschaften gab. Biebers Interesse war geweckt: „Die politischen Akteure wagten sich Mitte der 90er Jahre erstmals in diese Kommunikationsumgebung hinein. Noch längst nicht alle Parteien waren im Netz vertreten.“ Da entwickelt sich etwas Spannendes, befand er. Das Thema der Dissertation war geboren. Er analysierte darin, wie das Netz die  Parteienkommunikation veränderte, auf welche Art es Wahlkämpfe beeinflusste und wie Protestbewegungen sich darin bewegten. „Inhaltlich und methodisch war ich damit allein auf weiter Flur, denn in Deutschland hatte das noch keiner so genau untersucht“, sagt Bieber. „Das war damals das Stochern im Nebel, aber irgendwie hatte ich den Eindruck, dass das etwas Bleibendes wird und sich weiterentwickelt.“

Seine Dissertation innerhalb eines Promotionskollegs bei Claus Leggewie finanzierte Bieber über Stipendien der Hans-Böckler-Stiftung und des Landes Hessen. „Ich weiß nicht, ob ich ohne die Stipendien überhaupt promoviert hätte“, sagt er. Als er nach drei Jahren seine Dissertation innerhalb der Mindestförderzeit abschloss, unterstützte die Hans-Böckler-Stiftung ihn dabei, an der Uni Gießen Fuß zu fassen, indem sie anfangs eine halbe Mitarbeiterstelle finanzierte. Danach bot die Uni ihm eine wissenschaftliche Assistenz an.  Arbeit an der Schnittstelle von Politik und Medien blieb sein Schwerpunkt; er bloggt und twittert bereits seit Jahren.

Die erste größere Pause in seinem akademischen Aufstieg war gewollt: Christoph Bieber ging zwei Jahre in Elternzeit und betreute seinen kleinen Sohn. „Das hat mir großen Spaß gemacht“, sagt er. Zurück ins Berufsleben kehrte der Politikwissenschaftler nun mit dem Wechsel von der Uni Gießen an die Universität Duisburg-Essen, wo er den neu eingerichteten Lehrstuhl für Ethik in Politikmanagement und Gesellschaft übernahm. Seine Studierenden sind künftige politische Akteure, mit denen er Fragen diskutiert, die üblicherweise in der klassischen Ausbildung kaum Raum finden. „Es geht darum, zu hinterfragen, ob im politischen System und wie in politischen Entscheidungsprozessen Ethik eine Rolle spielt. In welchen Situationen wird man mit Fragestellungen konfrontiert, die auch eine ethische Perspektive haben? Wie kann man das erkennen und in die eigenen Entscheidungs- und Arbeitsprozesse einfließen lassen?“, fasst er zusammen. Die grundsätzliche Ausrichtung des Lehrstuhls entwickelte die Welker-Stiftung gemeinsam mit der NRW School of Governance, Bieber sieht seine Aufgabe in der Etablierung des Ethik-Themas im Fach. Er ist überzeugt, dass die Ethik und Nachhaltigkeit von politischen Entscheidungen mehr und mehr gesellschaftliche Bedeutung bekommen wird. Ein Blick auf die aktuellen Nachrichten zeigt, dass er da wieder den richtigen Riecher haben könnte.

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