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Jurist Singelnstein: Mit Genuss durch den Parcours der juristischen Theorie Stipendien

Altstipendiat: Der Vollblut-Akademiker

Ausgabe 03/2013

Tobias Singelnstein, Juniorprofessor für Strafrecht an der FU Berlin, macht sich Gedanken, wie sich Zeitgeist und Recht beeinflussen.

Von Susanne Kailitz

Wer sich mit Tobias Singelnstein unterhält, muss manchmal länger auf Antworten warten. Der 35-Jährige überlegt, wägt seine Worte genau – und formuliert dann druckreif. Dass der Jurist es mit seinen Aussagen häufig in die Medien schafft, liegt allerdings weniger an der geschliffenen Rhetorik Singelnsteins als an seinen ungeschminkten Positionen – auch wenn er damit gelegentlich aneckt. Zum Beispiel als die „Süddeutsche Zeitung“ ihn kürzlich zum Thema Polizeigewalt befragte. Die Theorie der schwarzen Schafe habe sich längst erledigt, stellte Singelnstein klar, „die Polizei hat ein strukturelles Problem mit Gewalt in ihren Reihen“. Deutliche Worte. Noch vor seiner Dissertation schrieb der Berliner Strafrechtsprofessorer mit seinem Kollegen Peer Stolle das Buch „Die Sicherheitsgesellschaft“. Aus purem Interesse am Thema: „Das waren einfach die Dinge, über die wir uns ständig unterhalten haben. Eigentlich sollte es nur ein Aufsatz werden, aber dann hat sich die Sache irgendwie verselbstständigt.“

Er habe das Bedürfnis gehabt, die Frage, ob die Gesellschaft heute Freiheit zugunsten von Sicherheit aufgebe, aus einer kritischen Perspektive anzugehen. Und kam zu Ergebnissen, die nicht dem Mainstream entsprachen. „Statt des viel zitierten Abbaus von Freiheit für mehr Sicherheit haben wir es eher mit einem immensen Bedeutungswandel dieser beiden Grundwerte zu tun.“ Sicherheit sei zum „Regime des täglichen Lebens“ geworden, Werte wie Freiheit im bürgerrechtlichen Sinn oder Teilhabe seien ihr untergeordnet. Das Paradox: „Die Grundlage unserer gegenwärtigen individuellen Freiheit ist gerade nicht Sicherheit, sondern Unsicherheit, die das Handeln der Einzelnen leitet. Dabei werden durch das Streben nach größtmöglicher Sicherheit immer neue denkbare Bedrohungen produziert.“

Hochanspruchsvoll sind die gedanklichen Konstrukte des zweifachen Vaters, er genießt den Parcours durch die juristische Theorie. Wenig verwunderlich, dass er sich auch für seine Dissertation nicht mit leichter Kost zufriedengeben mochte: „Diskurs und Kriminalität“ ist der Titel der 2008 abgeschlossenen Arbeit, mit der Singelnstein das Reservoir kriminologischer Ansätze um diskursanalytische Methoden ergänzte. „Das hört sich kompliziert an, lässt sich aber auf die Frage herunterbrechen: Wie beeinflusst der Zeitgeist die Anwendung des Rechts – und umgekehrt?“

Für die Beantwortung dieser Fragen scheint kaum ein Ort geeigneter zu sein als der Campus der Freien Universität, auf dem Singelnstein forscht und lehrt. Doch hier, an einem der Hauptschauplätze der 68er-Studentenproteste, scheint heute kaum noch revolutionärer Geist zu wehen. Nur die rote Couch im Büro des Professors scheint daran noch vage zu erinnern. Dies mag auch an der Ökonomisierung der Hochschulen liegen. Angesichts massiver Sparvorgaben müssten sich Lehrende wie Studierende mit steigenden Belastungen auseinandersetzen. „Die Anforderungen wachsen, gleichzeitig ist die Zahl der Professuren in den letzten Jahren trotz ansteigender Studentenzahlen drastisch gekürzt worden. Was das für das Pensum des Einzelnen bedeutet, kann man sich ja vorstellen.“ Auch für die Studenten sei es an der Uni härter geworden. „Jura war schon immer ein anspruchsvoller Studiengang, der sehr voll gepackt war. Aber ich habe den Eindruck, dass der Druck noch größer geworden ist. Abseits der Pflichtveranstaltungen mal woanders hineinzuschnuppern, das leisten sich immer weniger.“

Trotzdem: Dienst nach Vorschrift ist nichts für Singelnstein. Er hält es für selbstverständlich, sich als Mentor und Vertrauensdozent der Hans-Böckler-Stiftung um seine Studenten zu kümmern. Das liegt vermutlich auch daran, dass die Stiftung ein Jahrzehnt lang feste Konstante im Leben des Berliners war: „Ich hatte das ganze Paket – von der ideellen Förderung während des Studiums über ein Promotionsstipendium bis hin zur kofinanzierten Stelle als Postdoc.“ Die Stiftung habe ihn immer gefördert, obwohl er als Akademikersohn nicht zur vorrangigen Zielgruppe des Bildungswerks gehört habe. Genau diese Offenheit aber habe die Zeit bei Böckler für ihn so bedeutsam gemacht. „In der Stiftung habe ich eine so spannende Mischung von Leuten getroffen wie nirgendwo sonst. Alle haben einen unterschiedlichen Hintergrund; da kommen ganz verschiedene Lebenswege zusammen.“ Für den leidenschaftlichen Akademiker zählte vor allem: „Jeder dort hatte ein politisches Interesse und Lust, zu diskutieren – ich habe mich einfach aufgehoben gefühlt.“ 

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