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Altstipendiat Timo Fleckenstein, im Hörsaal der London School of Ecomics Stipendien

Altstipendiat: Der Vergleichende

Ausgabe 02/2024

Aus einem Dorf in Norddeutschland hat es den Politikwissenschaftler Timo Fleckenstein an die renommierte London School of Economics verschlagen. Von Andreas Schulte

Offensichtlich unbewusst spricht Timo Fleckenstein Denglisch „next level“: Nicht einzelne englische Modewörter fließen in die deutsche Muttersprache des Londoner Professors für Sozialpolitik ein, hin und wieder spricht er mitten im Dialog komplette Gedankengänge auf Englisch.

Der mühelose Sprach-Switch scheint ungeplant. Womöglich erreichen in diesen Momenten seine „itchy feet“ die Zunge. Itchy feet, also eine Rastlosigkeit, ein Fernweh, haben ihn vor allem in früheren Jahren angetrieben, sagt er. Nötig waren sie zunächst, um das „Niemandsland“ zu verlassen, aus dem er stamme.

In seinem Fall ist dies Oldendorf zwischen Hamburg und Cuxhaven. Dort engagiert er sich als Teenager in der Lokalpolitik. Warum? „Good question“, sagt er. Eine familiäre Prägung gebe es nicht. Sein Vater arbeitet im Industrieanlagenbau, die Mutter managt die fünfköpfige Familie. „Über Politik nachzudenken war mein Ding“, sagt der heute 46-Jährige.

Für die Jusos zieht er schon mit 18 in den Gemeinderat in Oldendorf ein. Dort sorgt er bald für Furore: Ein Investor plant eine Westernstadt. Doch Timo deckt auf, dass der Bürgermeister dem Geldgeber lange vor einer Abstimmung im Rat seine Zustimmung versichert hat. Die Westernstadt bleibt eine Luftnummer. „Aber das war natürlich nicht nur mein Verdienst“, sagt Fleckenstein. Der frühe Erfolg überzeugt ihn nicht von einer Karriere als Politiker. Der Grund: „I don’t  know. Ich glaube, öffentliche Auftritte sind nicht meine Stärke“, sagt er. Stattdessen studiert er Politikwissenschaften, Volkswirtschaft und Jura in Hamburg und Berlin. In London schließt er einen Master in europäischen Politikfeldstudien ab und dann in Bremen und Warwick einen weiteren Master in „Arbeit und industrielle Beziehungen“, anstatt zum Studienabschluss nach Berlin zurückzukehren.

In der Hauptstadt indes kristallisiert sich ein Berufswunsch heraus: Politikberatung und ein Job als Referent, das erscheint ihm vorstellbar. Er absolviert Praktika im Bundesbildungsministerium und im Arbeitsministerium. „Politikentwicklung im Ministerium and auch Vermittlung zwischen Häusern, das fand ich interessant“, sagt Fleckenstein. Aber es kommt anders.

„Eine Promotion war nicht Teil der Lebensplanung“, greift er vor. Zu verdanken hat er sie seinen itchy feet – und der Hans-Böckler-Stiftung. „In der Regel erfolgten Promotionen damals in Isolation, aber das wollte ich nicht.“ Die Stiftung ermöglicht es ihm, seinen Doktor im Ausland zu machen. 2005 geht er nach Oxford, wo ihn der Politologe Martin Seeleib-Kaiser auffordert, sein Doktorand zu werden. „Dabei habe ich ihm gesagt, dass ich nicht vorhabe, im akademischen Diskurs zu bleiben“, erzählt Fleckenstein. „Das war großmäulig. Aber irgendwann hat die Wissenschaft mehr Spaß gemacht, als ich angenommen hatte.“

In seiner Promotion untersucht er das Erlernen von Politik in der Sozialpolitik. Wie gelangen Thinktanks oder Parteien zu ihren Standpunkten? Welche Rolle spielen Ministerien im Politiklernen? Die Arbeit beruhigt offenbar seine itchy feet. „Ich bin nach der Promotion einfach hier versackt“, findet er. Schon bald schreibt er fleißig Bewerbungen und überzeugt ausgerechnet die renommierte London School of Economics and Political Science von sich. Seither widmet sich der Vater eines Sohnes der vergleichenden Sozialpolitik. Seine Frau, ebenfalls Wissenschaftlerin, stammt aus Südkorea. Auch deshalb liegt sein Forschungsschwerpunkt auf der vergleichenden Analyse von Wohlfahrtsstaaten mit einem Fokus auf Westeuropa und Ostasien. „Kinderbetreuung in Korea looks like Germany“ lautet eine Erkenntnis. Fleckenstein schätzt die Autonomie seiner Arbeit. Und, zieht es ihn wieder woanders hin? Nein, seine Zukunft plant er in London: „Im Alter wird man ruhiger.“

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