Quelle: Karsten Schöne
StipendienAltstipendiat: Der Überflieger
Christian Proaño ist ein bekennender linker Ökonomieprofessor an der Uni Bamberg. Von Stefan Scheytt
Dass Stipendien dem Berufsweg ihrer Nutznießer einen gewissen Spin geben können, liegt auf der Hand. Bei Christian Proaño hatte das Böckler-Stipendium sogar wegweisende Wirkung. Mit hoher Wahrscheinlichkeit, glaubt Proaño rückblickend, wäre seine Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland ohne Stipendium ausgelaufen und er vermutlich zurückgekehrt in sein Heimatland Ecuador. Was wäre dort wohl geworden aus ihm, dem Enkel eines Statistikprofessors und Sohn zweier ministerialer Volkswirte? Sein Vater war zeitweise sogar stellvertretender Botschafter in Uruguay. Gut möglich, dass es Christian Proaño in der Politik Ecuadors ganz weit nach oben geschafft hätte, denn die war immer Thema am Tisch der sozialdemokratisch orientierten Familie.
Dank Böckler-Stipendium blieb er also in Deutschland, finanzierte seine Promotion und legte eine Überfliegerkarriere hin: vom Diplom-Volkswirt in Bielefeld („with honors“) zum Doktor („summa cum laude“), vom wissenschaftlichen Mitarbeiter am Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung zum Assistant Professor an der New School for Social Research in New York und schließlich, mit 35, zum ordentlichen Professor für Volkswirtschaft an der Otto-Friedrich-Universität in Bamberg.
„Vermutlich bin ich so ziemlich der einzige lateinamerikanische Ökonomieprofessor in Deutschland“, sagt der 43-Jährige. Ein bisschen hört man es am leichten spanischen Einschlag seiner Sprache, die er in der Deutschen Schule in Ecuadors Hauptstadt Quito lernte und die er besuchte, weil sie einen guten Ruf hatte und dennoch bezahlbar war. Andere Merkmale Proaños sind seine Freude am Reden und am Austausch und seine Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft. Im Regal seines Professorenbüros an der Uni Bamberg steht ein in die Jahre gekommener Schokonikolaus, mit dem Studenten regelmäßig besonders nette Menschen an der Uni auszeichnen. Privat trainiert er mit seiner Frau, einer Ostwestfälin, die er beim Schüleraustausch in Ecuador kennenlernte, eine Jugendfußballmannschaft, in der eines seiner Kinder kickt.
Sein relevantestes Merkmal freilich ist seine Positionierung als Wissenschaftler und Makroökonom. Fragt man ihn, ob er als linker Professor gelte, sagt er freudig: „Ja klar, total.“ Und das nicht nur, weil er mal für die SPD für den Bamberger Stadtrat kandidierte und seit 2022 dem Wirtschaftspolitischen Beirat des SPD-Bundesvorstands angehört.
Genuin linke Themen sind sein täglich Brot als lehrender und forschender Keynesianer mit einer beeindruckend langen Publikationsliste: Ungleichheit, Einkommensverteilung, Schuldenbremse, Geldpolitik, Bankenregulierung, Finanzkrisen, politische Polarisierung, die Verflechtung politischer und ökonomischer Sphären, Entwicklung, Nachhaltigkeit. Derzeit arbeitet sich Proaño mit seinen Studenten – er hält alle Vorlesungen auf Englisch – durch das Buch „Warum Nationen scheitern“ des US-amerikanischen Star-Ökonomen Daron Acemoğlu.
Und was liegt ihm mehr – Forschung oder Lehre? „Da schwanke ich“, antwortet Proaño. „Es gibt sehr wenige Ökonomen, die als Forscher wirklich etwas für die Ewigkeit schreiben. Vielleicht habe ich mehr Einfluss als Lehrer, auch weil ich als Professor mit Migrationshintergrund eine Vorbildfunktion erfülle, in dem Studierende aus Lateinamerika oder Afrika sehen, was sie erreichen können.“
Zu dieser Selbsteinschätzung passt seine Funktion als Sprecher des von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Promotionskollegs an der Uni. Ein Ergebnis davon ist eine Konferenz zu „Behavioral Macroeconomics“, die im kommenden Jahr zum sechsten Mal stattfinden wird. „Jedes Jahr kommen Topkollegen“, freut sich Christian Proaño: „Bamberg entwickelt sich immer mehr zum international anerkannten Forschungsstandort für Ökonomen.“