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Frank Hantke auf dem Television Hill in Kabul: „Ich versuche, Ideen in ein paar Köpfe zu pflanzen.“ Stipendien

Altstipendiat: Der Optimist

Ausgabe 12/2011

Länder, die nicht den besten Ruf haben, haben Frank Hantke immer angezogen. Denn dort gibt es meist eine Menge zu tun. Jetzt leitet er das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Afghanistan.

Von Kay Meiners

Im Dachgeschoss seines Kabuler Gästehauses hat sich Frank Hantke noch einmal eine Studentenbude eingerichtet. Stolz führt er eine Erfindung vor, die Ashraf, sein Vermieter, gemacht hat: Die undichte Zimmerdecke ist mit einer Plastikfolie abgespannt. Weil sich bei Regen das Wasser darauf sammelt und irgendwann ins Zimmer läuft, hat Ashraf ein Loch in die Folie gebohrt, in das man einen Nagel mit einem Bindfaden hängen kann. So gleiten die Tropfen lautlos in einen blauen Plastikeimer. Nur das Gerät, das die Spannungsschwankungen des Stromnetzes ausgleicht, surrt ab und zu. Hantke zahlt 2000 Dollar Miete im Monat.

„Meine Tochter hatte Tränen in den Augen, als sie hörte, dass ich nach Kabul gehe“, sagt Hantke. Es gibt Autobomben hier, Entführungen, Angriffe. Keiner weiß wann und wo. Jeden Abend ruft der Sicherheitsdienst der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) an, fragt, ob alles OK ist. Man könnte vermutlich lange herumlaufen, ohne dass etwas passiert. Aber einmal erwischt es einen doch. „Arbeiten, essen, schlafen“, ist deshalb Hantkes Devise. Auch wenn er frei hat, meidet er das Risiko. Gerne würde er den Basar besuchen, aber er verbietet es sich. Freizeit, das bedeutet für ihn meist nicht mehr als ein Glas Whisky oder eine Zigarre, Internet-Telefonate mit seiner Frau, einen Film auf DVD. „Da bin ich wie ein Kind“, sagt er. „Wenn ich einen Film gucke oder Musik höre, dann bin ich weg.“

Schon als Hantke noch bei Renault Automechaniker lernte, reiste er gerne – auch mit dem Motorrad. Dann, von 1979 bis 1983, studierte er mit einem Böckler-Stipendium Germanistik und Maschinenbau. 1000 Mark Stipendium im Monat, gutes Geld, das er aufstockte, indem er die R4 und R5 seiner Kommilitonen reparierte. Dann ging er zur GEW, später zum DGB-Bundesvorstand und in den späten 90ern schließlich zur Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), für die er elf Jahre lang Projekte zu Arbeitsbeziehungen in Mittel- und Südosteuropa leitete.

Jetzt soll er hier an Afghanistans Zukunft mitarbeiten. Der Westen ist auf dem Rückzug – doch die FES macht tapfer weiter, und Hantke organisiert Dialoge, Workshops und Konferenzen, trifft Parlamentarier. „Die Zivilgesellschaft ist eher eine Fiktion“, sagt er, „ich kann froh sein, wenn ich ein paar gute Ideen in einzelne Köpfe bringen kann.“ Manchmal, sagt er, fehle es in Deutschland am Verständnis für die Verhältnisse vor Ort. Etwa dafür, dass man in Kabul private Zeitungen bezahlen muss, wenn man will, dass sie über das berichten, was man tut. Sein Arbeitsort, das FES-Büro, in dem mit ihm zehn Einheimische arbeiten, liegt nur zwei Minuten zu Fuß vom Gästehaus entfernt. Es ist ein Wohnhaus der 20er Jahre mit Garten. Dort sollen wir heute Abdul Sattar Pordely treffen, den Vorsitzenden des afghanischen Gewerkschaftsbundes. Ein Herr mit ergrautem Bart erscheint, aber irgendetwas stimmt nicht. Pordely ist vollkommen aufgelöst, es muss etwas passiert sein. Leise erzählt er, dass es einen Putsch in der Organisation gegeben hat. Die alte Riege hat wieder übernommen, die sich dadurch auszeichnete, dass wenig geschah, außer dass Gewerkschaftsimmobilien lukrativ an Ausländer vermietet wurden – nicht immer lukrativ für die Gewerkschaft.

Pordely ist abgesetzt, Hantke geschockt.„Du bist hier weiter gerne gesehen“, sagt er. „Aber wir fördern Institutionen, wenn sie denn wollen – keine Personen.“ Als Pordely weg ist, sagt Hantke: „Scheiße!“ Einen Tag später soll im Park Star Hotel, direkt gegenüber dem FES-Büro, eine Konsultation der Organisationen der afghanischen Zivilgesellschaft stattfinden, die die FES mit organisiert: 34 Delegierte werden bestimmt, die im Dezember nach Bonn zur Afghanistan-Konferenz reisen werden.

„Wo die Sandsäcke am dicksten sind, da ist der Eingang“, sagt Hantke. Mehrfach werden wir mit Händen und Detektoren abgetastet, Taschen durchsucht. Erst innen zeigt das Hotel, was es zu bieten hat: die Rezeption, den grünen Innenhof, Aufzüge. In einem Festsaal mit Transparenten sitzen rund 200 Personen, die Männer auf einer Seite, die Frauen auf der anderen. Ein junger Mann tritt ans Mikrofon, hebt die rechte Hand an den Mund. Dann rezitiert er den Koran, melodisch, voll meditativer Kraft, anders als die monotonen Grußworte der Regierungsvertreter. Dann – plötzlich – knallt es. Es ist eine Tischplatte, die auf den Fußboden schlägt. „Haben Sie gemerkt, wie alle aufgeschreckt sind?“, fragt der Vertreter einer Hilfsorganisation. „Wenn hier eine Bombe hochgeht, können wir den Aufbau vergessen.“

Am Abend stehen wir auf der Dachterrasse des Park Star hinter Blenden aus Panzerglas. Wir hören, dass auch Pordely als Delegierter nach Deutschland reist, atmen die staubige, smoggesättigte Luft, die die Sonnenuntergänge aber schön macht. Man ahnt in solchen Momenten, dass Kabul Hantke verändert hat. „Im Frühjahr wurden ja die vielen Tsunami-Toten in Japan im Fernsehen gezeigt. Es hat mich angesichts der vielen Toten hier kaum noch berührt“, sagt er. Da, sagt er, sei er über sich selbst erschrocken. Er wird seiner Zentrale empfehlen, für Mitarbeiter in schwierigen Ländern eine regelmäßige Supervision einzurichten. „Hierfür“, sagt er – und zeigt auf seinen Kopf. Ein Moment nur – dann ist sein verschmitztes Lächeln wieder zurückgekehrt.

Foto: Karsten Schöne

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