Quelle: Stephan Pramme
StipendienAltstipendiat: Der Klimaexperte
Altstipendiat Oliver Gedens Meinung hat Gewicht in der Politik. Von Andreas Molitor
Oliver Geden gehörte nicht zu jenen, die sich über Robert Habecks kleine Pappschilder-Show amüsierten, als der grüne Minister seinen ersten Auftritt vor der Hauptstadtpresse hatte und die Eröffnungsbilanz der deutschen Klimapolitik präsentierte – mit Diagrammkurven, die fast alle nicht in Richtung der selbstgesetzten Klimaziele wiesen. „Habeck hat die deutsche Klimapolitik ehrlich gemacht“, kommentiert Geden den Auftritt. Habecks Credo sei gewesen: Jetzt müssen wir liefern. „Und das war die richtige Botschaft.“
Wenn Geden so etwas sagt, hat das im politischen Berlin einen Nachhall. Der 50-jährige Klima-Chefstratege der in Berlin beheimateten Stiftung Wissenschaft und Politik zählt in Sachen Klimapolitik zur Avantgarde der Politikberatung. Als Leitautor des aktuellen Sachstandsberichts des Weltklimarats IPCC, dessen Veröffentlichungen als Goldstandard der Klimaforschung gelten, genießt er international besten Ruf. Und er ist bestens vernetzt. In die Planungsstäbe des Außen- und des Wirtschaftsministeriums war er eine Zeit lang als Energie- und Klimaexperte abgestellt, den einen oder anderen aus dem Tross der neuen Regierung kennt er persönlich.
Gedens erste Veröffentlichungen lassen einen ganz anderen Karrierepfad vermuten. Er widmete sich Themen wie den „Männlichkeitskonstruktionen der Freiheitlichen Partei Österreichs“ und promovierte über „Diskursstrategien im Rechtspopulismus“. Beim finalen Schwenk in Richtung Klimapolitik gaben vor 16 Jahren pragmatische Gründe den Ausschlag. Geden hatte per Jahresvertrag einen Einstieg bei der Stiftung Wissenschaft und Politik gefunden. „Wenn du auf Dauer hierbleiben willst“, riet ihm sein Vorgesetzter, „dann such dir ein passendes Thema.“ Die EU-Klimapolitik war gerade vakant. Manchmal ist es so einfach.
Oliver Geden wuchs auf dem Land auf, „die Eltern acht Jahre Volksschule“, in einer konservativ geprägten Gegend an der Mosel. Nach der Realschule entschied er sich für eine Ausbildung zum Industriekaufmann bei einem Automobilzulieferer. In der Freizeit begeisterte er sich für die Börsenspiele der Sparkassen. „Mit 16 hätte ich vermutlich FDP gewählt“, sagt er heute.
Als Geden 18 war, fiel die Mauer; mit dem Zusammenbruch des Kommunismus war die Systemfrage, an der sich die fünf Jahre Älteren noch abgearbeitet hatten, entschieden. Oliver Geden engagierte sich im Umweltschutz.
Nach dem Zivildienst begann er ein Studium der europäischen Ethnologie, Politikwissenschaft und Gender Studies. Die anschließende Promotion ermöglichte ihm ein Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung. Die ist für Geden „bis heute ein weltanschaulicher Bezugspunkt geblieben“ – und das, obwohl „lange Zeit ein bisschen der Themenbezug fehlte“. Eine Anspielung darauf, dass die Gewerkschaften sich mit „seinem“ Ökologiethema bis vor einigen Jahren schwertaten. Das sei nun Geschichte. Die Gewerkschaften hätten „gelernt, die ökologische Transformation nicht mehr als Jobkiller zu begreifen, sondern als industrielle Modernisierungsagenda“.
Oliver Geden ist ein unabhängiger Geist geblieben. Auch in der Klimadebatte macht er sich mit seinen Standpunkten nicht nur Freunde. So stellt er beharrlich die Frage, wie denn die EU ihr Ziel eines Treibhausgasausstoßes von netto null im Jahr 2050 erreichen will, wenn sich manche Emissionsquellen in der Landwirtschaft oder der Industrie nicht völlig eliminieren lassen. „Dann muss man zum Ausgleich aktiv CO2 aus der Atmosphäre entziehen“, erklärt Geden. „Negative Emissionen“ sind ein heißes Eisen, das viele Klimaaktivisten nicht anpacken wollen. „Wenn man netto null verkündet“, insistiert Geden, müsse man sich „eben auch mit Ansätzen beschäftigen, die man nicht so mag“.