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Jan Wulf-Schnabel ist Sozialwissenschaftler Stipendien

Altstipendiat: Der Brückenbauer

Ausgabe 05/2021

Jan Wulf-Schnabel ist Sozialwissenschaftler und besitzt viel Geduld. Langfristig will er das Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderung grundlegend verändern. Von Marc von Lüpke

„Der Wald“, antwortet Jan Wulf-Schnabel, wenn man nach seinem Lieblingsort an der Arbeit fragt. Eine erstaunliche Antwort für jemanden, der die Beschäftigung mit Menschen zu seinem Beruf gemacht hat. Wulf-Schnabel ist Sozialwissenschaftler und Sozialmanager, er leitet mit der Stiftung Drachensee in Kiel eine der größten Einrichtungen in Schleswig-Holstein, die Menschen mit geistigen Behinderungen unterstützt.

Wobei Wulf-Schnabel wenig Sympathie für die Bezeichnung „Behinderung“ hegt, denn es handelt sich dabei um eine wenig aussagekräftige Etikettierung. Ein gesellschaftliches Umdenken fordert der Stiftungsvorstand im Umgang mit Menschen mit Behinderungen. „In Deutschland wird man als Mensch mit sogenannter geistiger Behinderung in die Sozialhilfe hineingeboren und stirbt auch in ihr“, kritisiert Wulf-Schnabel. 2013 hat er deshalb innerhalb der Stiftung Drachensee ein Vorhaben umgesetzt, das neue Wege geht.

Mithilfe des bis dahin weltweit einzigartigen Modellprojekts „Inklusive Bildung“ wurden Menschen mit geistiger Behinderung zu Bildungsfachkräften ausgebildet. „Zum ersten Mal überhaupt unterrichten diese Menschen selbstständig als hauptamtliche Lehrende an Hochschulen“, erklärt Wulf-Schnabel, „und zwar Menschen ohne Behinderung über die Lebenssituation von Menschen mit Behinderung.“

Zu 95 Prozent ist die Verwaltung der Stiftung Drachensee inzwischen der Hauptjob des 52-Jährigen. Geografisch gesehen, ist Wulf-Schnabel seiner Heimat verbunden geblieben, er wurde Ende der 60er Jahre in Ostholstein geboren. Beruflich ist er hin­gegen einen weiten Weg gegangen. „Ich stamme aus einem, wie es heute heißt, bildungsfernen Milieu“, so der Sozialmanager. Bereits früh war er unwillig, sich mit herrschenden Missständen abzufinden. Wulf-Schnabel baute als Heranwachsender in seinem Heimatort eine Ortsgruppe des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland auf: „Das war etwas merkwürdig, weil ich als 13-Jähriger mit dem Bürgermeister verhandelte.“

Es folgte Lübeck, wo Wulf-Schnabel nach einem mittleren Bildungsabschluss eine Ausbildung als Chemielaborant begann. Zugleich engagierte er sich in der IG Metall und in der Jugendvertretung der Drägerwerke. Aber Angestellter bleiben? „Das war nichts für mich“, erinnert er sich, wechselte zum Studieren an die Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik, wo dies ohne Abitur möglich war. Unterstützt mit einem Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung. Nach Stationen bei einer ökologischen Beratungsfirma, in der Bildungsarbeit sowie einer – damals für Väter ungewöhnlichen – Elternzeit besuchte Wulf-Schnabel die Hamburger Universität mit dem Ziel eines Masterabschlusses, erneut unterstützt von der Hans-Böckler-Stiftung. Es folgte eine Promotion und die Berufung auf eine Professur an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen in Berlin 2010.

Da hörte der Forscher, dass eine Sozialpädagogin der Stiftung Drachensee den Versuch unternommen hatte, gemeinsam mit Menschen mit Behinderung an einer Fachhochschule zu unterrichten. „Das war die beste Brücke zwischen Theorie und Praxis im Sozialen, von der ich je gehört habe“, erinnert sich der Sozialwissenschaftler. Wulf-Schnabel kehrte nach Kiel zurück, um das Projekt weiter zu professionalisieren. So wurde der Initiator des Modellprojekts „Inklusive Bildung“ 2017 Fellow der nichtkommerziellen Förderorganisation Ashoka.

Auch wenn sich Jan Wulf-Schnabel gegenwärtig auf die Leitung der Stiftung Drachensee konzentriert, bleibt seine Berufung der Systemwandel. Besprechungen führt er im nahe gelegenen Wald in Begleitung des Vierbeiners Lio: „Der Hund ist mein Wohlfühl-Beauftragter.“

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