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Dieter Dzewas Stipendien

Altstipendiat: Der Bodenständige

Ausgabe 09/2012

Dieter Dzewas verzichtete auf ein Nachrücker-Mandat im Bundestag, um Bürgermeister von Lüdenscheid zu werden. Dazu muss man die Stadt, in der man lebt, wirklich lieben.

Von  Jan Martin Altgeld

Mit Leidenschaft erzählt Bürgermeister Dieter Dzewas aus der Geschichte der Stadt: von der herausragenden Position in der Eisenherstellung und -verarbeitung seit dem Mittelalter, von der Ansiedlung einer modernen Metall- und Knopfindustrie im 18. Jahrhundert, vom Zuwanderer-Boom, den Lüdenscheid nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte. Doch wenn er auf die aktuelle Finanzlage zu sprechen kommt, ändert sich sein Ton. Dzewas wird stiller, er macht lange Pausen. „Der Nothaushalt ist immerhin passé“, sagt er. Und berichtet, dass ein Haushaltssicherungskonzept der Stadt langfristig wieder schwarze Zahlen bescheren soll. Auf der Internetseite der Stadt ist dazu ein Vortrag des Stadtkämmerers eingestellt, eine PDF-Datei. Auf einer Grafik sieht man, wie das Eigenkapital der Stadt bis zum Jahr 2022 ganz verschwindet, während gleichzeitig die Kassenkredite in astronomische Höhen steigen. Das ist das Szenario, das eintritt, wenn niemand gegensteuert. Die Stadt dreht deswegen an allen Schrauben, an denen man drehen kann. Die Einnahmen müssen rauf, die Ausgaben runter. Demnächst steigt die Hundesteuer von 85,20 Euro auf 120 Euro im Jahr für den ersten Hund; etwaige Zweit- und Dritthunde sind teurer, denn sie werden in Lüdenscheid progressiv besteuert.

Dass gespart werden muss, tut dem SPD-Mann Dzewas weh. „Mich ärgert, dass ich nicht genug Geld habe, meine Schulen so auszustatten, wie Banken und Versicherungen ausgestattet sind“, sagt er. „Was vermittle ich Kindern, die in eine Schule gehen, die aussieht wie von vorvorgestern?“ Dzewas ist jetzt 56. Ehe er Bürgermeister wurde, hat er alles Mögliche gemacht – nur seiner Stadt hat er fast immer die Treue gehalten. Und der Gewerkschaft – die gehört zu seinem Leben von Anfang an dazu. „Meine Mutter war in der IG Metall, mein Vater in der IG Bau-Steine-Erden“, sagt er. Er unterschrieb mit 14 Jahren einen Aufnahmeantrag in die IG Metall – am zweiten Tag eines Ferienjobs im metallverarbeitenden Gewerbe. Dass in der schulfreien Zeit nicht gefaulenzt wurde, war für ihn selbstverständlich. „Das Verständnis für Leute, die freiwillig nicht arbeiteten, war in meinem Elternhaus eher gering.“ Politisch prägte ihn die Arbeit in der Naturfreundejugend, einem Verband, wo laut Dzewas „alles vertreten war, was SPD und links davon war“. Dort lernte er Dinge, die ihm bis heute nützlich sind: anderen Menschen zuzuhören, Zusammenhänge zu erkennen und vor allem zu verhandeln.

Besonders beeindruckte ihn damals ein Jugendbildungsreferent, den er bei den Naturfreunden kennenlernte. Am Beispiel von George Orwells Buch „Animal Farm“ erklärte er, was einen totalitären Staat ausmachte. Dzewas wollte mehr über Politik erfahren. Doch nach dem Abi und dem Zivildienst entschloss er sich für die Lehre in einem Baubetrieb. Er wollte etwas Praktisches machen und fand es nicht ungewöhnlich, als Abiturient Mörtel zu rühren und Mauern hochzuziehen. „In der Berufsschule war ich der Älteste; und die Inhalte waren für mich eher leicht“, sagt er. Er suchte deswegen bald noch eine zusätzliche Herausforderung – und wurde Ortsvorsitzender der IG Bau-Steine-Erden. Und bald saß er zudem in den Hörsälen der FH Hagen. Das Fach: Sozialarbeit. „Diese Wahl hatte mit dem Bildungsreferenten zu tun, der damals über Orwell sprach. Denn seine Tätigkeit fand ich spannend.“ Ein Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung ermöglichte ihm das Studieren zu „traumhaften Konditionen“, wie er sagt. „Ab da war es so, dass ich auf Ferienjobs nicht mehr angewiesen war. Ich hab sie aber trotzdem gemacht.“

Nach dem Studium arbeitete der Borussia-Dortmund-Anhänger Dzewas viele Jahre in der Sozialverwaltung der benachbarten Stadt Plettenberg, unter anderem als stellvertretender Sozialamtsleiter. Von 1998 bis 2002 war er Bundestagsabgeordneter für den südlichen Märkischen Kreis. Auch in der folgenden Legislaturperiode hätte er als Nachrücker wieder in den Bundestag einziehen können. Allerdings hatte er sich da bereits entschlossen, für das Bürgermeisteramt zu kandidieren. „Als ich im zweiten Wahlgang das Vertrauen ausgesprochen bekam, war für mich klar: Das Nachrücken in den Bundestag kommt für mich nicht mehr infrage.“ Die Stadt Lüdenscheid war ihm wichtiger als die Hauptstadt Berlin. Und alles sieht danach aus, dass sich das niemals ändert. Für eine spätere Zeit, in der er vielleicht einmal nicht mehr Bürgermeister ist, hat Dzwas auch schon Pläne. Einer davon: Er will anderen etwas vorlesen – zum Beispiel als Lesepate in einer Grundschule. Eine Einschränkung macht er allerdings: „Nur echte Bücher, keine E-Books.“

Text: Jan Martin Altgeld, Journalist in Meerbusch

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