Quelle: Benjamin-Jenak
StipendienAltstipendiat: Der Investigativjournalist
Arndt Ginzel wuchs in Bautzen auf und begeisterte sich nach der Wende für den frischen Wind in den DDR-Medien. Heute ist er einer der bekanntesten Reporter des Landes. Von Carmen Molitor
Arndt Ginzel hat nie Berichte über Kaninchenzuchtvereine geschrieben. Während andere ihre journalistische Karriere mit solchen Fingerübungen beginnen, befasste sich seine erste Reportage für eine Lokalzeitung gleich mit Rechtsextremen, die im Balkankrieg kämpften. Es sind bis heute die harten politischen Themen, denen er sich widmet. Ginzel recherchiert als freier Journalist mal in korrupten, gewalttätigen und rechtsradikalen Milieus, mal in den Kriegsgebieten oder Flüchtlingslagern auf dem Balkan, in Syrien und der Ukraine.
An den ersten großen Skandal, den er mit einem Kollegen zusammen aufdeckte, erinnert er sich gut. Ihre Enthüllungen über einen Subventionsbetrug, der 2002 den Bauminister von Sachsen-Anhalt in Bedrängnis brachte, wurden im Magazin Spiegel und als Feature beim MDR-Kulturradio veröffentlicht. Die Ausstrahlung löste ein mittleres mediales und politisches Beben aus. Ginzel empfand dabei ein beklemmendes Gefühl. „Ich war mir sicher, die Geschichte ist sauber. Aber es war trotzdem irgendwie unheimlich, sie fliegen zu sehen“, erinnert er sich. Die kalte Angst, in der Recherche einen Fehler gemacht zu haben, der fatale Konsequenzen mit sich bringen könnte, ergriff ihn. Sie verfolgt ihn bei seiner Arbeit bis heute, ob er in Sachsen korrupte Politiker entlarvt, über Pegida oder Querdenker berichtet oder im Reichsbürgermilieu Skandale aufdeckt. Seine Angst macht ihn wachsam und gründlich.
Arndt Ginzel wurde 1972 in eine, wie er sagt, durchschnittliche DDR-Familie aus Ostsachsen geboren. Sein Vater war Ingenieur bei der Bahn, die Mutter Grundschullehrerin. Aufgewachsen ist er in Bautzen. „Ich war ein typisches DDR-Kind. Man dachte per se: Es ist hier ganz ok, das könnte eine gerechtere Gesellschaft sein“, erinnert er sich. Ginzel lernte Zerspanungsmechaniker und holte auf der Abendschule das Abitur nach. Sein politisches Bewusstsein erwachte, als er sich vor der Wende der evangelischen Jungen Gemeinde anschloss.
Die Wendezeit empfand er als sehr befreiend, und er begann, sich für den Beruf des Journalisten zu interessieren. „1989 war ja auch eine Befreiung unserer DDR-Medien“, erinnert sich Ginzel. „Es gab Jugendradiosender wie Sputnik und DT 64 oder auch den TV-Sender Elf99 mit investigativen Recherchen. Ich dachte: Wow, so kann Journalismus sein?“ Er entschied sich, in Leipzig den Magister in Kommunikations- und Medienwissenschaften zu machen. „Es war ein Glücksfall für mich, dass ich ein Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung bekam“, sagt der Reporter. „Ich konnte das machen, was ich wirklich wollte, und hatte Geld, um zu leben. Das war wichtig, um mich so entwickeln zu können.“
Eher zufällig ist Arndt Ginzel 2022 zu einem regelmäßigen Ukraine-Berichterstatter geworden. Als er im Februar in der Ostukraine eine Geschichte über deutsche Freiwillige recherchierte, überfiel die russische Armee das Land. Er sei kein Kriegsberichterstatter, aber er sagt: „Nun war ich schon mal dort, und ich wusste durch meine Erfahrungen aus dem Balkankrieg, was es bedeutet, sich im Krieg zu bewegen.“ Ginzel blieb und berichtete.
Als Heldentat sieht er das nicht. Er sei ein ängstlicher Mensch, gibt der dreifache Vater zu. „Das bedeutet ja nicht, dass man bestimmte Dinge nicht macht, sondern dass man ein Gefühl für Gefahren entwickelt und permanent in sich hineinhört, ob man in einer Situation die richtige Entscheidung getroffen hat.“ Jeder, der in der Ukraine arbeitet, müsse damit rechnen, verletzt oder getötet zu werden. „Es ist ein Erfolg, wenn alle aus meinem Drehteam sicher und gesund zurückkommen und wir einen Weg gefunden haben, die Arbeit zu machen und so nah wie möglich ranzugehen“, sagt er. „Tote Helden nützen nichts.“