zurück
HBS Böckler Impuls

Prekäre Beschäftigung: Ständiger Kampf gegen den Abstieg

Ausgabe 01/2013

Zwischen den beiden Polen stabile Beschäftigung und Langzeitarbeitslosigkeit hat sich eine "Zwischenzone" des Arbeitsmarkts etabliert. Für viele Betroffene ist sie keine Durchgangsstation, sondern bedeutet ein dauerhaftes, aufreibendes Leben mit Hartz IV und wechselnden Niedriglohnjobs.

Prekäre Beschäftigung ist oft kein Übergangsphänomen. Es gibt eine wachsende Gruppe von Menschen, die nicht „aus dem Erwerbsleben herausfallen, denen es aber auch nicht gelingt, sich eine statussichere und auf Dauer gestellte Position in der Arbeitswelt zu erobern“, stellen Natalie Grimm und Berthold Vogel vom Hamburger Institut für Sozialforschung fest. Die Sozialwissenschaftler haben rund 150 Personen aus verschiedenen Regionen mit ganz unterschiedlichen Lebensläufen, die alle bereits einmal Grundsicherung bezogen haben, in mehreren aufeinander folgenden Jahren detailliert zu ihrer Arbeits- und Lebenssituation befragt. Die Untersuchung ist Teil eines größeren Forschungsprojekts unter der Regie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung.

Rasender Stillstand. Im Untersuchungszeitraum von 2007 bis 2011 blieb lediglich ein Drittel der Interviewten ohne Kontakt zum ersten Arbeitsmarkt – die meisten in dieser Gruppe hatten aber phasenweise staatlich geförderte Jobs. Insgesamt zählte mehr als die Hälfte der Befragten zu den „erwerbsgesellschaftlichen Grenzgängern“, die zwischen Hartz IV und ungeförderter Beschäftigung hin- und herpendeln oder als Aufstocker sowohl Grundsicherung als auch ein niedriges Arbeitskommen beziehen. „Dieser Befund deckt sich auch mit den Arbeitsmarktzahlen.“ Die Erwerbsquote sei in den letzten Jahren deutlich gestiegen, allerdings hauptsächlich wegen der Zunahme atypischer Beschäftigung infolge der Arbeitsmarktderegulierung, so Grimm und Vogel.

In dieser „Zwischenzone des Arbeitsmarkts“ herrscht ein „rasender Stillstand“, schreiben die Sozialforscher. Die Grenzgänger seien etwa „befristet als Elternzeitvertretung in einem Kindergarten tätig, verkaufen als Bauingenieure auf Provisionsbasis dänische Holzhäuser, sitzen als Minijobberinnen an der Supermarktkasse oder arbeiten als Leiharbeitnehmer Hand in Hand mit dem Stammpersonal in Logistikunternehmen. Sie verdienen dabei zum Teil so wenig, dass sie staatliche Unterstützungsleistungen beantragen müssen.“ Die Betroffenen stammen aus ganz unterschiedlichen Gesellschaftsschichten und haben unterschiedliche Qualifikationen. Einige sind aus stabiler Beschäftigung in die prekäre Zone abgestiegen, andere kommen direkt aus dem Ausbildungssystem in die Welt der unsteten Niedriglohnarbeit. In den vergangenen Jahren hätten sich die Erwerbsbiografien der Grenzgänger beschleunigt: Mobilität, Varianz und Flexibilität statt Sicherheit. In Zeiten ohne Beschäftigung werden die Befragten nervös und bemühen sich „hyperaktiv“, einen neuen Job zu finden, haben Grimm und Vogel beobachtet. Als Verschnaufpausen würden sie übrigens keineswegs die Phasen der Erwerbslosigkeit ansehen – sondern die Zeiten mit Arbeit.

Aktivierung wirkt – sie verstetigt die Prekarität. Die Forscher fanden keine Anzeichen dafür, dass sich Menschen mit Hartz-IV-Erfahrung von der herrschenden Arbeitsethik abwenden. Die „Moral einer erwerbsarbeitsfixierten Gesellschaft“ sei in fast allen Interviews deutlich zu spüren, so die Autoren, und werde durch die vergangenen Arbeitsmarktreformen noch verstärkt. Die Aktivierungsstrategie halte die Befragten in Bewegung und permanenter Anspannung. Was für die Betroffenen zähle, sei der nächste Job. Die Qualität des Arbeitsplatzes sei häufig zweitrangig: besser prekäre als gar keine Arbeit. Eine „Verfestigung des Hilfebezugs“ könne so zwar teilweise vermieden werden, doch sei dies häufig mit einer „Verstetigung von Prekarität verbunden“. Nur knapp 13 Prozent der Befragten gelang es, über mehr als zwei Jahre des Untersuchungszeitraums ohne Hartz IV auszukommen.

Die Lebensrealität der Grenzgänger des Arbeitsmarkts – „ständiger Kampf gegen Verdrängung und Abstieg“ – schlägt sich auch in ihren Einstellungen nieder. Ihre Konzentration auf die Gegenwart sei so stark, dass Zukunftsperspektiven häufig jenseits der Vorstellungen sind, wie es in der Untersuchung heißt. Zwar sähen sie einen festen Platz in der Erwerbsgesellschaft als Ziel an, faktisch bilde sich jedoch ein spezifisches Zwischenzonen-Bewusstsein heraus. Nirgends richtig dazuzugehören wird zur Normalität. Um die eigenen Anstrengungen zu rechtfertigen, grenzten sie sich allerdings deutlich nach unten ab – von den dauerhaft Erwerbslosen, denen sie „eigenes Versagen und Inaktivität“ zuschreiben.

Die Grenzgänger des Arbeitsmarkts konzentrieren ihre Kraft auf die Gestaltung des persönlichen Erwerbslebens. Dies überlagere auch den Blick für andere, bemerken die Autoren. Bei vielen Gesprächspartnern hätten sie eine „Desozialisierung“ bemerkt, die eine wesentliche Folge der neuen Aktivierungspolitik zu sein scheine. Mit Blick auf die Arbeitsmarktpolitik lautet das Fazit der Wissenschaftler: „Sie mag die Wettbewerbsfähigkeit einzelner Personen stärken, die Qualität des gesellschaftlichen Zusammenlebens und Zusammenarbeitens bekräftigt sie nicht.“

  • Wer in den Hartz-IV-Bezug gerutscht ist, findet zwar auch wieder heraus - aber selten dauerhaft Zur Grafik

Natalie Grimm, Berthold Vogel: Die Grenzgänger. Prekarisierte Erwerbsbiografien in der neuen Arbeitswelt, unveröffentlichtes Arbeitspapier, November 2012

Impuls-Beitrag als PDF

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrem Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen