Quelle: Cira Moro
Magazin MitbestimmungAltstipendiatin: Die Entscheiderin
Christine Hohmann-Dennhardt war Ministerin und Bundesverfassungsrichterin. Jetzt kämpft sie als erste Frau im Daimler-Vorstand gegen Korruption.
Von Carmen Molitor
Etwas Besonderes zu sein ist für Christine Hohmann-Dennhardt nichts Besonderes: „Ich war in meinem Berufsleben häufig als Frau die Erste, die Einzige“, erzählt die 62-Jährige. Das prägte sie, schärfte ihren Kampfgeist und ihr Selbstbewusstsein. Der jüngste Schritt in ihrer Karriere trägt wieder dieses Label: Christine Hohmann-Dennhardt ist die erste Frau im Vorstand der Daimler AG. Die ehemalige Bundesverfassungsrichterin leitet seit Februar 2011 das neu geschaffene Ressort Integrität und Recht. Ihre Aufgabe unter anderem: bei dem Autobauer weltweit Strukturen zu implementieren, die zuverlässig Korruption verhindern. Damit ist sie zuständig für eine saftige Strafarbeit, die das US-Justizministerium und die Börsenaufsicht SEC dem Stuttgarter Konzern 2010 verpassten. Damals war Daimler noch an der US-Börse gelistet und den strengen Kontrollen der SEC unterworfen. Nach Ermittlungen hatte sich das Unternehmen der Korruption in 22 Ländern schuldig bekannt, Strafgeld bezahlt und zugesagt, den Kampf gegen unsaubere Machenschaften im Unternehmen aufzunehmen. Auf den guten Willen müssen nun Taten folgen: Gelingt es bis März 2013 nicht, die Anti-Korruptionsstruktur zur Zufriedenheit der US-Behörden aufzubauen, drohen Strafen in Milliardenhöhe.
Für Christine Hohmann-Dennhardt, die mit ihrer Körperhaltung Eleganz und Selbstdisziplin ausstrahlt, spielt Integrität schon seit der Kindheit eine große Rolle. „Ich entstamme einer gewerkschaftlich und sozialdemokratisch geprägten Familie aus Leipzig“, sagt sie. Ihr Großvater, den sie nicht mehr kennengelernt hat, war Abgeordneter im sächsischen Landtag, „ein Arbeiterführer durch und durch“, den die Nazis verfolgten. Ihr Vater, ein Maurermeister, engagierte sich in der DDR als Gewerkschafter und kam einer Verhaftung durch Flucht in den Westen zuvor, ihre Mutter und sie folgten ihm wenig später. Sie wuchs in einfachen Verhältnissen als Einzelkind in der Flüchtlingsstadt Espelkamp im Westfälischen auf. Eine prägende Zeit. Die Mutter war immer ein Rückhalt, erzählt sie; politisch geprägt haben sie aber die Diskussionen mit dem dominanten Vater, durch dessen Engagement als Betriebsrat die Probleme der Arbeitnehmer zu Hause täglich Thema waren. Er zeigte sich wenig begeistert, als seine Tochter auf das Gymnasium ging, und fremdelte später noch mehr mit ihrer Begeisterung dafür, Jura zu studieren. „Jura? Du? Als Mädchen?“, war die Reaktion, die ihr überall entgegenschlug. Da wollte sie es erst recht wissen und begann 1968 als eine von wenigen Frauen in Tübingen ein Jurastudium. Das Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung machte das finanziell möglich, die Seminarangebote der Stiftung bewogen sie, Arbeits- und Sozialrecht als Schwerpunkte zu wählen.
Nicht Anwältin, sondern Richterin wollte sie sein. Keine Verteidigerin, eine Entscheiderin. Zwischen Interessen abzuwägen und anhand der Gesetze einen befriedigenden und gerechten Weg für alle Seiten zu finden, das reizte die Juristin. Sie machte Karriere und war schon Direktorin des Sozialgerichts Wiesbaden, als sich die Option auftat, in die Politik zu gehen. „Ich dachte: Du schimpfst so oft über die, die da entscheiden, mach’s mal selber!“ Die Sozialdemokratin hängte das Richteramt an den Nagel, wurde 1989 Sozialdezernentin in Frankfurt/Main und später in Hessen erst Ministerin der Justiz und dann für Wissenschaft und Kunst. Ihre Prinzipien habe sie sich in dieser Zeit erhalten können, sagt sie. „Man muss Kompromisse machen, aber das bedeutet nicht, dass man seine Gradlinigkeit aufgeben muss“, erklärt Hohmann-Dennhardt. Wäre das passiert, wäre sie ausgestiegen, ist sie sich sicher. Die nötige Unabhängigkeit dafür verschaffte ihr, dass sie einen Beruf hatte, in den sie zurückkehren konnte.
1999 erhielt sie den Ruf an den Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts. Eine abrupte Umstellung nach den geschäftigen Jahren in der Politik, denn hier geschah die Arbeit im Stillen. Sie hatte wieder Zeit, den Themen auf den Grund zu gehen, was sie sehr genoss. Bis 2011 entschied sie über Verfahren, die die Republik bewegten, von der Gleichwertigkeit von Familien- und Erwerbsarbeit über das Lebenspartnerschaftsgesetz, die heimlichen Vaterschaftstests bis hin zur Höhe der Hartz-IV-Bezüge.
Nach zwölf Jahren in der Karlsruher Denkerenklave kam das Angebot vom Vorstandsvorsitzenden Dieter Zetsche, den sie aus der gemeinsamen Arbeit im Universitätsrat Karlsruhe kannte, bei Daimler zu arbeiten. Die Frage, wie ein globaler Konzern es schaffen kann, dass die Mitarbeitenden nicht nur die Gesetze einhalten, sondern auch von Spielregeln und Werten nachhaltig überzeugt werden können und danach handeln, habe sie sofort fasziniert. Sie sagte zu – und kehrte in einen ähnlich hektischen Alltag zurück, wie sie ihn als Ministerin kannte.
Bei Daimler habe sie bisher ein erstes Etappenziel erreicht, bilanziert die Vorstandsfrau. Die Diskussion über die Werte des Unternehmens und seine Handlungsrichtlinien stoße bei den Beschäftigten auf gute Resonanz, klare Regeln seien abgesteckt. Sie will weiter „Konzepte und Ideen hineingeben, Motor sein“, sie will etwas bewegen. Wie immer.