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Neue Steuerschätzung des IMK bis 2022: Steueraufkommen steigt auf 913 Milliarden Euro – Doch „Schwarze Null“ könnte Spielraum für Koalitionsprojekte schnell zerstören

02.05.2018

Dank guter Konjunktur sprudeln 2018 und in den kommenden Jahren die Steuern – sogar deutlich stärker als noch im November vom Arbeitskreis „Steuerschätzungen“ prognostiziert. Deshalb können die von der großen Koalition geplanten prioritären Investitionen in Bildung, Kinderbetreuung, Wohnen und Infrastruktur nach gegenwärtigem Stand finanziert werden. Doch die Regierung hat keinen Plan für den Ernstfall, dass sich die Konjunktur spürbar eintrübt, etwa in Folge eines weltweiten Handelskonflikts. Dann ergäbe sich bei einem Festhalten an der „Schwarzen Null“ bis 2022 ein Kürzungsbedarf von bis zu 55 Milliarden Euro. Damit müssten die prioritären Maßnahmen weitgehend zurückgenommen werden oder Einsparungen an anderer Stelle erfolgen. Zu diesen Ergebnissen kommt die neue Steuerschätzung des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. Eine sichere Basis für notwendige Investitionen sei in der gegenwärtigen Situation weitaus wichtiger als die unnötige Festlegung auf einen ausgeglichenen Haushalt, mahnen die Forscher.

Das deutsche Steueraufkommen wird in den kommenden Jahren kräftig steigen: Für 2018 prognostizieren die IMK-Steuerschätzer Dr. Katja Rietzler, Prof. Dr. Achim Truger und Dieter Teichmann der öffentlichen Hand Einnahmen von gut 770 Milliarden Euro – knapp 36 Milliarden mehr als 2017. Bis 2022 wächst das Steueraufkommen dann jährlich um durchschnittlich über vier Prozent auf insgesamt fast 913 Milliarden Euro. Das wären allein im Jahr 2022 rund 23 Milliarden Euro mehr, als der Arbeitskreis „Steuerschätzungen“ im Herbst 2017 veranschlagt hat. Die Abweichung nach oben beruht auf günstigeren Konjunkturprognosen: Das IMK und zahlreiche andere Institute haben ihre Voraussagen für das Wirtschaftswachstum zuletzt angehoben. Allerdings ist durch die aggressive Handelspolitik von US-Präsident Donald Trump auch das Risiko gewachsen, dass es anders kommt.

Wegen der guten Auftrags- und Beschäftigungslage rechnet das IMK besonders bei Steuern auf Arbeitseinkommen und Gewinne mit kräftigen Zuwächsen. So dürften die Einnahmen aus der Lohnsteuer in diesem und dem kommenden Jahr um 5,4 beziehungsweise 7,5 Prozent steigen. Die Körperschaftsteuer soll heuer 8,3 Prozent mehr in die öffentlichen Kassen spülen als im Vorjahr und 2019 erneut um 6,9 Prozent zulegen. Die Umsatzsteuer soll im Schnitt mit einer Rate von 3,8 Prozent wachsen, erwarten die IMK-Finanzexpertin Rietzler, der Volkswirtschafts-Professor Truger (Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin) und der Berliner Finanzwissenschaftler Teichmann.

Schwächer entwickeln sich – weniger konjunkturabhängige – reine Bundessteuern wie Energie- oder Kraftfahrzeugsteuer. Die Einnahmen aus Tabaksteuer und Branntweinsteuer gehen der IMK-Prognose zufolge sogar zurück. Die Steuereinnahmen der Länder werden bis 2022 voraussichtlich moderat ansteigen, wobei einer schwachen Entwicklung bei der Erbschaftsteuer eine stärker sprudelnde Grunderwerbsteuer gegenübersteht. Die Einnahmen der Gemeinden wachsen ein wenig schneller als die der Länder (absolute Werte und Wachstumsraten für die einzelnen Steuerarten und Jahre im Tabellenanhang).

Die Regierung kann die geplanten Projekte finanzieren und hat noch Luft im Haushalt, wenn …
Der finanzpolitische Spielraum der Bundesregierung ist nach der IMK-Steuerschätzung derzeit deutlich größer, als von der Regierung eingeplant. Über die gesamte Legislaturperiode gerechnet ergäbe sich ohne die Maßnahmen aus dem Koalitionsvertrag ein Überschuss von 70 Milliarden Euro. Damit wären die von der Regierung geplanten „prioritären“ Zusatzausgaben von 46 Milliarden Euro etwa für Bildung, Kindergeld, Rente oder regionale Strukturpolitik und der Einnahmeausfall durch die geplante Soli-Abschaffung auf den ersten Blick problemlos zu finanzieren. Allerdings, so das IMK, „wäre eine solche Einschätzung vorschnell“. Denn eine weiterhin gute Konjunkturentwicklung und entsprechend steigende Steuereinnahmen halten die Wirtschaftsforscher zwar für das wahrscheinlichste Szenario, aber keineswegs für das einzig denkbare.

… die gute Konjunktur anhält
Angesichts „der von US-Präsident Donald Trump hervorgerufenen Angst vor einem globalen Handelskrieg“ könnten sich die Aussichten der exportabhängigen deutschen Wirtschaft auch schnell wieder eintrüben. Die Rezessionswahrscheinlichkeit ist nach dem IMK-Konjunkturindikator in jüngster Zeit gestiegen. Sollte es mit der Konjunktur wieder bergab gehen, „müssten die Einnahmeerwartungen sehr schnell wieder nach unten angepasst werden“.

Scheitern an der Schwarzen Null
In diesem Fall wären die vom IMK – mit Ausnahme der Soli-Abschaffung – überwiegend als positiv bewerteten Ausgabenpläne zum Scheitern verurteilt. Bereits die Schuldenbremse würde den Spielraum beschränken, allerdings eher moderat. Schwerer wiege, dass sich der neue Finanzminister Olaf Scholz ohne Not auf eine Haushaltspolitik der „Schwarzen Null“ festgelegt habe, so die Experten. Und das „bedeutet nichts anderes als eine Finanzpolitik nach Kassenlage, bei der die finanzpolitischen Projekte des Koalitionsvertrages letztlich zur Disposition stehen, sollten die Steuereinnahmen deutlich hinter den Erwartungen zurückbleiben.“

In Simulationsrechnungen sind die Forscher verschiedene mögliche Szenarien durchgegangen. Dabei zeigt sich beispielsweise: Würden die im Koalitionsvertrag vereinbarten Zusatzausgaben getätigt, die Konjunktur einbrechen, der Finanzminister aber strikt an einem ausgeglichenen Haushalt festhalten, wären schnell enorme Einsparungen an anderer Stelle nötig. Von 2019 bis 2022 müssten den Berechnungen zufolge insgesamt 55 Milliarden Euro eingespart werden. Damit wären alle Maßnahmen aus dem Koalitionsvertrag Makulatur.

Damit dieser Fall nicht eintritt, sollte die Regierung „vorausschauend eine Strategie mit klaren Prioritäten benennen“, mahnen die IMK-Forscher. Wenigstens die von der grundgesetzlichen Schuldenbremse gebotenen Spielräume sollte sie im Fall eines Konjunkturabschwungs nutzen und sich von der "Schwarzen Null" verabschieden. Eigentlich bedürfte es jedoch „einer – nicht von Schuldenbremsen, Steuertabus oder der Schwarzen Null verstellten – Debatte um die gesellschaftlichen Bedarfe an zentralen Zukunftsinvestitionen und ihre langfristige sichere und gerechte Finanzierung“.

Weitere Informationen:

Katja Rietzler, Dieter Teichmann, Achim Truger: IMK-Steuerschätzung 2018-2022. Hohe Einnahmen, viele Vorhaben, aber keine Strategie. (pdf) IMK-Report 138, Mai 2018.

Video-Statement von Dr. Katja Rietzler

Kontakt

Dr. Katja Rietzler
IMK, Expertin für Steuer- und Finanzpolitik

Rainer Jung
Leiter Pressestelle

Die Pressemitteilung mit Tabellen (pdf)

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