Quelle: HBS
Böckler ImpulsWirtschaftspolitik: Staat soll für sozialen Ausgleich sorgen
Viele Menschen in Deutschland beklagen zunehmende Ungleichheit und Abstiegsrisiken, zeigt eine Umfrage. Sie wünschen sich, dass der Staat stärker eingreift.
Die Mehrheit der Deutschen sieht den gesellschaftlichen Zusammenhalt durch zunehmende Ungleichheit gefährdet. Abstiegsängste sind weit verbreitet. In dieser Situation wünschen sich die meisten eine stärkere Rolle des Staates in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Das zeigt eine repräsentative Umfrage unter 1009 Personen, die das Marktforschungsinstitut Forsa im Auftrag des Forums New Economy durchgeführt hat. Das Forum New Economy ist ein Netzwerk von Ökonomen, die für ein Umdenken in der Volkswirtschaftslehre und der Wirtschaftspolitik eintreten. Zu den wissenschaftlichen Partnern des Forums zählt das IMK.
Wie aus der Umfrage hervorgeht, teilen viele Menschen die Einschätzung, dass die bisherige wirtschaftspolitische Ausrichtung zu Fehlentwicklungen führt: 87 Prozent der Befragten halten das wachsende Gefälle zwischen Arm und Reich für gefährlich. Offenbar schätzen die meisten steigende Ungleichheit nicht als wirtschaftlich nachvollziehbar ein: Nur ein Drittel sagt, dass jemand, der in Deutschland sehr reich ist, diesen Reichtum „in aller Regel auch verdient“. Ebenfalls gut ein Drittel der Befragten ist der Meinung, dass das Prinzip des sozialen Ausgleichs in Deutschland heute noch funktioniert.
Die Ergebnisse lassen erkennen, dass sich die Menschen andere Antworten auf die Herausforderungen der Zeit wünschen. Eine Politik, die allein auf freie Märkte mit möglichst wenig Regulierung ausgerichtet ist, lehnen die meisten Deutschen ab: So sagen 78 Prozent der Befragten, dass die Privatisierung öffentlicher Leistungen in den vergangenen Jahrzehnten zu weit gegangen ist. Stattdessen befürworten viele ein stärkeres Eingreifen des Staates: 80 Prozent stimmen der Aussage zu, die Bundesregierung solle Beschäftigte schützen, wenn infolge der Digitalisierung oder Globalisierung in größerem Umfang Arbeitsplatzverluste drohen. Und 87 Prozent sind der Meinung, der Staat solle mehr Geld in Klimaschutz, moderne Schulen und Universitäten sowie die Bahn investieren.
„Die Bundesregierung muss die Bedenken der Bevölkerung ernst nehmen und gegensteuern“, sagt Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des IMK. So seien etwa öffentliche Investitionen viel zu lange vernachlässigt worden – eine Erkenntnis, die sich mittlerweile auch bei vielen eher marktliberalen Wirtschaftsforschern durchsetze. „Der Investitionsbedarf ist in vielen Bereichen immens, zum Beispiel wenn es um den Ausbau des Schienennetzes und des öffentlichen Nahverkehrs, die Sanierung der Autobahnen und Brücken, die frühkindliche Betreuung und nicht zuletzt den Klimaschutz geht.“ Außerdem sei die Einführung einer Vermögensteuer eine denkbare Option. Sie würde nicht nur der Finanzierung von Investitionen zugutekommen, sondern nebenbei die Vermögensungleichheit eindämmen. Als Maßnahme gegen eine zunehmende Spreizung der Einkommen empfiehlt der Ökonom, die Tarifbindung zu stärken, am dringendsten im Niedriglohnsektor. „Wenn weite Teile der Bevölkerung das Gefühl haben, sie profitierten kaum vom wirtschaftlichen Aufschwung, gefährdet das die soziale Marktwirtschaft“, so Dullien.
Thomas Fricke: Ein neues Paradigma? Was die Deutschen wirklich wollen, Forum New Economy, Oktober 2019