Quelle: dpa
PressemitteilungenWirtschaftsflaute zieht sich ins Jahr 2020, stabiler Konsum verhindert Schlimmeres: IMK prognostiziert BIP-Wachstum von 0,4 Prozent 2019 und 0,7 Prozent 2020
30.09.2019
Die zugespitzten weltwirtschaftlichen Verwerfungen treffen die exportorientierte deutsche Industrie in diesem und im kommenden Jahr schwer. Lahmende Ausfuhren und eine schwache Dynamik bei den Unternehmensinvestitionen bremsen das Wirtschaftswachstum. Bis ins Jahr 2020 hinein ist im Quartalsverlauf kaum mehr als eine Stagnation des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu erwarten. Gestützt auf spürbare Einkommenszuwächse verhindert aber ein recht robuster privater Konsum vorerst einen dramatischeren wirtschaftlichen Einbruch. Die deutsche Wirtschaft wird daher 2019 und 2020 schwach wachsen, das BIP nimmt im Jahresdurchschnitt um 0,4 und um 0,7 Prozent zu, wobei im kommenden Jahr die größere Zahl an Arbeitstagen eine wichtige Rolle für das etwas höhere Wachstum spielt. Zu diesen Ergebnissen kommt das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung in seiner neuen Konjunkturprognose, die heute auf einer Pressekonferenz in Berlin vorgestellt wird. Allerdings kommt der Beschäftigungsaufbau im Jahresverlauf 2020 zum Erliegen, die Arbeitslosenquote steigt von 5,0 im Jahresdurchschnitt 2019 auf durchschnittlich 5,2 Prozent 2020.
Gegenüber seiner Vorhersage vom Juni senkt das IMK die Wachstumserwartung für 2019 um 0,6 Prozentpunkte und für 2020 um 0,9 Prozentpunkte. Zentrale Faktoren für die Eintrübung sind die von den USA ausgelösten Handelskonflikte, das verlangsamte Wachstum in China, das insbesondere auf den weltweiten Automarkt durchschlägt, das fortbestehende Risiko eines harten Brexits sowie wachsende geopolitische Spannungen. Hinzu kommen mögliche Verzögerungen bei deutschen Autobauern während der Umstellung auf die nächsten Stufen des neuen Abgasmessverfahrens WLTP in den kommenden Monaten. Dabei gehen die Konjunkturexperten in ihrer Prognose weder von spürbar steigenden Energiepreisen infolge der Auseinandersetzungen am persischen Golf aus noch von einem No-Deal-Ausstieg der Briten.
„Die konjunkturelle Lage in Deutschland hat sich weiter zugespitzt. Bislang bewahrt aber die private Nachfrage die Wirtschaft noch vor einer echten, tiefen Krise“, beschreibt Prof. Dr. Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des IMK, das aktuelle Konjunkturbild. Insgesamt müsse sich die deutsche Wirtschaft glücklich schätzen, dass sich der Konsum in diesem Abschwung so robust entwickelt. „Wenn die Löhne und der Konsum derzeit so schwach zulegen würden wie in den 2000er Jahren, wären wir schon seit einiger Zeit wieder in einer Rezession.“ So sei in den Rezessionsphasen 2001 und 2012/13 das deutsche Bruttoinlandsprodukt schon in den ersten Quartalen mit rückläufiger Industrieproduktion ebenfalls gefallen. Im aktuellen Abschwung sei die Produktion im verarbeitenden Gewerbe dagegen nun schon seit mehr als einem Jahr rückläufig, das Bruttoinlandsprodukt liege aber immer noch höher als vor 12 Monaten.
„Die deutsche Wirtschaft ist derzeit wie ein Flugzeug, das nur noch mit einem Triebwerk fliegt – der Nachfrage der privaten Haushalte. Das kann eine Zeit lang gut gehen, aber auf Dauer sollte man sich darauf nicht verlassen. Wenn die Politik nicht entschlossen gegensteuert, greifen die Bremseffekte nach und nach auf Dienstleistungen, Konsumklima und Arbeitsmarkt über und es droht der Absturz“, so Dullien.
Die Europäische Zentralbank (EZB) tue mit ihrer erneut gelockerten Geldpolitik was sie könne, während die meisten EU-Länder fiskalpolitisch zu wenig für eine Stabilisierung unternähmen, betonen die Forscher des IMK in ihrer Analyse. So setze beispielsweise die Bundesregierung in diesem Jahr zwar einen positiven fiskalischen Impuls. Dieser sei allerdings zu klein und halbiere sich 2020 schon wieder.
Wenn die Fiskalpolitiker die EZB weiterhin weitgehend alleine ließen, wirke sich das doppelt negativ aus, warnen die Experten: „Die langanhaltende Niedrigzinsphase birgt Risiken für die Finanzstabilität und wirkt deutlich indirekter stabilisierend als es die Finanzpolitik könnte. Staatliche Investitionen könnten die Konjunktur stabilisieren und sind zugleich dringend erforderlich, um den Strukturwandel hin zur Klimaneutralität zu bewältigen und die teilweise stark veraltete Infrastruktur zu modernisieren“, so das IMK. Dabei habe insbesondere Deutschland erheblichen finanziellen Spielraum: Das IMK rechnet trotz des abgeschwächten Wachstums mit einem gesamtstaatlichen Haushaltsüberschuss von knapp 48 Milliarden Euro in diesem Jahr und immerhin noch gut 25 Milliarden Euro 2020. Zudem könne sich der deutsche Staat „gegenwärtig zu Negativzinsen verschulden, und das bei beliebiger Laufzeit.“
Kerndaten der Prognose für 2019 und 2020
Arbeitsmarkt
Die positive Entwicklung am Arbeitsmarkt verliert deutlich an Fahrt und endet zur Jahreswende: 2019 steigt die Zahl der Erwerbstätigen laut IMK noch um knapp 380.000 Personen oder 0,8 Prozent im Jahresdurchschnitt. 2020 stagniert die Erwerbstätigkeit aber bei dann 45,2 Millionen Menschen. Die Zahl der Arbeitslosen geht 2019 noch um etwa 63.000 Personen zurück, so dass im Jahresdurchschnitt rund 2,28 Millionen Menschen ohne Job sein werden. Das entspricht einer Arbeitslosenquote von 5,0 Prozent. Für 2020 erwartet das IMK, dass die Arbeitslosenzahl um rund 70.000 im Jahresdurchschnitt zunimmt. Die Quote steigt dann auf 5,2 Prozent und erreicht damit wieder den Wert von 2018.
Außenhandel
Auch das Wachstum im Euroraum ist relativ schwach, wenn auch höher als in der Bundesrepublik: Das BIP in der Währungsunion nimmt 2019 und 2020 um je 1,2 Prozent zu. Weltweit ist die Wachstumsdynamik ebenfalls verhalten. Die Nachfrage nach Investitionsgütern, die oft aus Deutschland kommen, läuft deshalb ebenso schleppend wie die nach Kraftfahrzeugen. Insbesondere in China ist der Autoabsatz stark rückläufig. Daher geht das IMK davon aus, dass die deutschen Ausfuhren im laufenden Jahr durchschnittlich geringfügig schrumpfen werden – um -0,1 Prozent. 2020 dürften sich die Exporte ein wenig erholen und um 1,3 Prozent wachsen. Die Importe verlieren ebenfalls an Tempo, nehmen 2019 wegen der stabilen Konsumnachfrage aber noch um durchschnittlich 1,3 Prozent zu, 2020 um 3,4 Prozent. Der Wachstumsbeitrag des Außenhandels ist damit in beiden Jahren spürbar negativ. Der hohe deutsche Leistungsbilanzüberschuss wird etwas sinken.
Investitionen
Auftragslage und Finanzierungsbedingungen vieler Unternehmen sind zwar im langfristigen Vergleich weiter relativ günstig. Allerdings ging der Trend bei den Neuaufträgen in den vergangenen Monaten deutlich nach unten, und die außenwirtschaftliche Verunsicherung bremst weiter. 2019 steigen die Ausrüstungsinvestitionen daher um durchschnittlich lediglich 2,3 Prozent, 2020 nur um 1,9 Prozent. Bei den Bauinvestitionen bleibt die Dynamik robust, wobei sich Wohnungsbau und öffentliche Vorhaben deutlich stärker entwickeln als der Wirtschaftsbau. 2019 nehmen die Bauinvestitionen unter dem Strich um 3,9 Prozent und 2020 um 2,9 Prozent zu.
Einkommen und Konsum
Die verfügbaren Einkommen wachsen im Jahresdurchschnitt 2019 real um 1,4 Prozent und 2020 um 1,2 Prozent. Die realen privaten Konsumausgaben nehmen ebenfalls um 1,4 und 1,2 Prozent zu. Damit trägt der private Konsum in beiden Jahren maßgeblich zum BIP-Wachstum bei.
Inflation und öffentliche Finanzen
Die Verbraucherpreise steigen spürbar langsamer als 2018 und bleiben unter der Zielinflationsmarke der EZB: 2019 und 2020 nehmen sie um jeweils 1,4 Prozent zu.
Die wirtschaftliche Abschwächung reduziert die Überschüsse der öffentlichen Budgets, die trotzdem deutlich im Plus bleiben: 2019 beträgt der gesamtstaatliche Finanzierungssaldo 1,4 Prozent vom BIP, im kommenden Jahr sind es 0,7 Prozent.
Weitere Informationen:
Sebastian Dullien, Peter Hohlfeld, Christoph Paetz, Sabine Stephan, Thomas Theobald, Silke Tober, Sebastian Watzka: Wirtschaftsflaute hält an. Die Prognose der wirtschaftlichen Entwicklung 2019/2020 (pdf). IMK Report Nr. 150, September 2019.
Podcast von IMK-Konjunkturfachmann Peter Hohlfeld zur Prognose 2019/2020
Kontakt:
Prof. Dr. Sebastian Dullien
Wissenschaftlicher Direktor IMK
Peter Hohlfeld
IMK-Konjunkturexperte
Rainer Jung
Leiter Pressestelle