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HBS Böckler Impuls

Pflege: Untergrenzen reichen nicht aus

Ausgabe 16/2018

In Krankenhäusern fehlen mehr als 100 000 Pflegekräfte. Die von der Bundesregierung geplanten Gesetze lösen das Problem nicht. Erfolgversprechender wäre ein anderer Ansatz.

Die Bundesregierung will die Personalsituation in der Pflege verbessern. Doch die von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vorgelegten Gesetzentwürfe greifen zu kurz. Zu diesem Ergebnis kommt Michael Simon von der Hochschule Hannover. In seiner von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie erklärt der Pflegeexperte, warum sowohl die geplante Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung als auch das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz in der gegenwärtigen Form ihr Ziel verfehlen werden, für „ausreichend“ Pflegepersonal zu sorgen. Zudem skizziert der Wissenschaftler alternative Modelle.

Nach Berechnung des Forschers fehlen aktuell im Pflegedienst deutscher Krankenhäuser mehr als 100 000 Vollzeitstellen. Diese Lücke sei „keine unvermeidbare quasi naturwüchsig entstandene Situation, sondern vor allem durch Regelungen der Krankenhausfinanzierung hervorgerufen, die Krankenhäuser zu Kostensenkungen zwangen und dadurch einen starken Anreiz zum Stellenabbau insbesondere im Pflegedienst setzten“, schreibt Simon. Ein wesentlicher Treiber dafür sei die Einführung eng kalkulierter Fallpauschalen gewesen. Aufgrund von andauernder Unterbesetzung seien viele Pflegekräfte inzwischen chronisch überlastet, was sich wiederum auf die Pflege auswirke. „Da eine ausreichende Besetzung im Pflegedienst des Krankenhauses von erheblicher Bedeutung für die Qualität der Patientenversorgung ist, handelt es sich bei der seit mehr als zwei Jahrzehnten anhaltenden Unterbesetzung auch um eine für die Krankenhauspatienten hochgradig gefährliche Entwicklung.“

Was hat die Politik in den vergangenen Jahren getan? Zu wenig, meint der Wissenschaftler. Vor allem eine zentrale Forderung sei bisher nicht erfüllt worden: Seit mittlerweile mehr als zehn Jahren fordern die Gewerkschaft Verdi und Pflegeverbände staatliche Vorgaben, die die Krankenhäuser verpflichten, genügend Personal vorzuhalten. Auch die von Spahn geplante Verordnung bringe keine echte Verbesserung, sondern setze „die Linie der vorherigen Regierungen fort“, kritisiert Simon. Denn nach dem Entwurf des Bundesgesundheitsministeriums sollen die Personaluntergrenzen unmittelbar oberhalb des Niveaus liegen, das den derzeit 25 Prozent am schlechtesten besetzten Krankenhäusern entspricht. Zudem sollen sie nur für Intensivstationen, Geriatrie, Unfallchirurgie und Kardiologie gelten. Der Wissenschaftler hält derartige Untergrenzen für viel zu niedrig angesetzt: Sie definieren bestenfalls eine Minimalbesetzung, decken aber nicht den tatsächlichen Bedarf in vielen Kliniken.

Positiver wertet der Forscher die grundsätzliche Stoßrichtung des geplanten Pflegepersonal-Stärkungsgesetzes. So sei es wichtig, dass in Zukunft Tariferhöhungen voll refinanziert und der Druck auf die Finanzierung der Pflege gemildert werden, indem das Budget dafür aus den Fallpauschalen ausgegliedert werden soll. Allerdings sehe das Gesetz ebenfalls kein geeignetes Instrumentarium vor, um den wirklichen Bedarf in der Pflege zu ermitteln.

Der Forscher schlägt vor, die sogenannte Pflege-Personalrechnung aus den 1990er-Jahren flächendeckend zu reaktivieren und an die aktuelle Situation anzupassen. Damals mussten alle Krankenhäuser nach einem einheitlichen Verfahren erheben, wie groß der Pflegebedarf der Patienten auf ihren Stationen ist. So ließ sich realitätsnah und detailliert berechnen, wie viel Personal notwendig ist. 1996 wurde die Pflege-Personalrechnung auf Betreiben der Krankenkassen ausgesetzt – in vielen Häusern werde sie für die interne Einsatzplanung aber nach wie vor verwendet und genieße hohe Akzeptanz, schreibt der Experte. Da sich die Möglichkeiten der Datenverarbeitung fortentwickelt haben, sei die Erhebung der für die Personalplanung nötigen Daten heute erheblich leichter als früher. Und Aufsichtsbehörden könnten künftig ohne großen Aufwand kontrollieren, ob Kliniken den nötigen Personalschlüssel wirklich erfüllen – zum Wohle von Patienten und Beschäftigten.

  • Die Personaldecke in deutschen Kliniken ist ziemlich dünn. Zur Grafik

Michael Simon: Von der Unterbesetzung in der Krankenhauspflege zur bedarfsgerechten Personalausstattung (pdf), Working Paper der Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung Nr. 96, Oktober 2018
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