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HBS Böckler Impuls

Europa: Deutschland ist kein Vorbild

Ausgabe 03/2018

Der Arbeitsmarkt entwickelt sich hierzulande besser als im größten Teil Europas. Doch andere Länder werden nicht auf die Beine kommen, indem sie Deutschlands Reformen nachahmen.

Deutschland geht es gut. Es hat seine Hausaufgaben in Sachen Arbeitsmarkt gemacht und glänzt mit einer der niedrigsten Erwerbslosenquoten in Europa. Die schwächelnden Problemländer Südeuropas sollten sich daran ein Beispiel nehmen. Diese Erzählung ist populär, doch im Kern falsch, warnt der Wirtschaftsweise Peter Bofinger. 

Es beginnt schon mit der Analyse der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands. Bofinger fragt: Was ist dran an der Geschichte, Deutschland, „der kranke Mann Europas“, sei seinerzeit „auf wundersame Weise von Kanzler Schröders Agenda 2010 geheilt“ worden? Seine Antwort: ziemlich wenig. Zwar sei die Arbeitslosigkeit seit ihrem Höchststand im Jahr 2005 beständig gesunken. Doch dies sei kaum mit der Kürzung der Arbeitslosenunterstützung und Deregulierung des Arbeitsmarkts zu erklären. Denn dabei würden die großen Linien der Wirtschaftsentwicklung völlig ausgeblendet – nämlich dass der Arbeitsmarkt begann, sich von den großen Belastungen der Vorjahre zu erholen: der Abwicklung der DDR-Wirtschaft und der Integration von 2,8 Millionen Menschen aus der früheren Sowjetunion. 

Wolle man den Effekt der Hartz-Reformen isolieren, müsse man zumindest Vergleichsjahre mit ähnlicher Konjunkturentwicklung wählen. Dafür eigenen sich dem Sachverständigenratsmitglied zufolge 2001 und 2016, zwei wirtschaftlich starke Jahre, in denen die Produktionskapazitäten in gleichem Maße ausgelastet waren. Dabei zeigt sich: In Westdeutschland gab es 2016 gerade einmal 350000 Stellen mehr als im Jahr 2001. „Vom Hartz-Wunder bleibt nicht viel übrig“, so Bofinger. Selbst detaillierte ökonomische Studien wiesen nur sehr geringe Auswirkungen der Hartz-Reformen nach.

Doch auch ohne viel zu rechnen, könne man sich klar machen, dass Hartz IV keine Lösung für Europa ist: Wenn eine möglichst niedrige finanzielle Unterstützung der Langzeitarbeitslosen für eine hohe Beschäftigung sorgen würde, müssten die Arbeitsmärkte in Italien und Griechenland boomen. Dort erhalten Arbeitslose nach einem Jahr überhaupt keine staatliche Unterstützung mehr, aber die Arbeitslosigkeit ist nach wie vor sehr hoch. Auch mit der Flexibilisierung des Kündigungsschutzes lasse sich die gute Beschäftigungssituation in Deutschland nicht erklären. Denn trotz der Reformen sei der Kündigungsschutz in Deutschland weitaus stärker als in den meisten anderen europäischen Staaten. 

Die in Deutschland verbreitete Neigung, sich zurückzulehnen und von bestimmten Ländern reflexhaft „Strukturreformen“ zu fordern, sieht Bofinger kritisch. Warum, fragt der Professor, gehe man bei Italien wie selbstverständlich davon aus, dass das schwache Wachstum der falschen Wirtschaftspolitik geschuldet ist, während niemand dem ökonomisch ähnlich kränkelnden US-Bundesstaat Michigan einen Mangel an Strukturreformen unterstellen würde. Michigan wird zugestanden, Opfer äußerer Faktoren zu sein, auf die es keinen Einfluss hat, nämlich der Weltmarktkonkurrenz Chinas. Ebenso könne man Italien als Opfer der deutschen Wettbewerbsstärke sehen – und über mögliche Kompensationen nachdenken, bevor das Land aus der vor allem für Deutschland vorteilhaften Währungsunion aussteigt.


  • Trotz „Jobwunder“: Die Kosten der Arbeitslosigkeit entsprechen mehr als dem Dreifachem aller Bundesausgaben für Bildung und Forschung oder sind höher als die Ausgaben für Verteidigung und Gesundheit zusammen oder …. Zur Grafik

Die Ausgaben für die Arbeitslosenunterstützung sowie durch Erwerbslosigkeit verursachte Steuer- und Beitragsausfälle sind wegen der relativ guten Lage am Arbeitsmarkt gesunken. Dennoch verursacht die Arbeitslosigkeit „weiterhin beträchtliche gesamtfiskalische Kosten“, so das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). 2016 betrugen sie nach Berechnungen des IAB 55,5 Milliarden Euro. Das entspricht 1,77 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zwölf Jahre zuvor lag die Quote bei 4,2 Prozent. 

Den größten Teil der Kosten tragen der Bund mit 32 und die Arbeitsagentur mit 23 Prozent. Der übrige Betrag verteilt sich auf Sozialversicherungen, Länder und Gemeinden. Die Ausgaben für aktive Arbeitsmarktpolitik, rund elf Milliarden Euro, sind darin noch nicht enthalten.

Quelle: IAB 2017 

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