Forschungsprojekt: Tariflosigkeit auf dem Weg zum Normalzustand?

Die tarifpolitischen Folgen von personalpolitischer Flexibilisierung und verbandlicher Desintegration

Projektziel

Im Projekt wurden die Ursachen einer seit Mitte der 1990er Jahre schleichenden Normalisierung der Tariflosigkeit in Deutschland untersucht. Im Zuge einer netzwerkförmigen Reorganisation der Wertschöpfung jenseits traditioneller Branchen- und Unternehmensgrenzen entstehen offenbar Parallelwelten, die tariflose Bereiche begünstigen. Die Sozialpartner verfügen jedoch über Optionen der Intervention.

Veröffentlichungen

Dorigatti, Lisa, 2017. Trade Unions in Segmented Labor Markets. Evidence from the German Metal and Chemical Sectors, ILR Review, 70(4), S. 919-941.

Helfen, Markus und Manuel Nicklich, 2016. Interorganisationale Wertschöpfung, Personalpolitik und Arbeitsbeziehungen. Ein Fallstudien-Ansatz qualitativer Netzwerkforschung, In: Matiaske, Wenzel; Czaya, Axel (Hrsg.), Periphere Arbeit im Zentrum. Periphere Arbeit im Zentrum, 10. Band, Baden-Baden: Nomos, S. 49-70.

Helfen, Markus, 2015. Institutionalizing Precariousness? The Politics of Boundary Work in Legalizing Agency Work in Germany, 1949-2004. The Politics of Boundary Work in Legalizing Agency Work in Germany, 1949-2004, Organization Studies, S. 1-36.

Helfen, Markus, Manuel Nicklich und Jörg Sydow, 2015. Interorganisationale Netzwerke und tarifpolitische Fragmentierung: Hebt Mehr-Arbeitgeber-Beschäftigung die Tarifeinheit aus den Angeln? In: Ausdifferenzierung der Tariflandschaft oder Tarifeinheit?, Düsseldorf, 26 Seiten.

Nicklich, Manuel, Jörg Sydow und Markus Helfen, 2014. Hybride Wertschöpfung als Herausforderung für die Tarifpolitik. Mehr-Arbeitgeber-Beziehungen als arbeitspolitische Herausforderung. Mehr-Arbeitgeber-Beziehungen als arbeitspolitische Herausforderung, Gegenblende - Das gewerkschaftliche Debattenmagazin, .

Helfen, Markus und Manuel Nicklich, 2014. Gewerkschaften zwischen Konkurrenz und Kooperation? Inter-organisationale Beziehungen in der Facility Services-Branche. Inter-organisationale Beziehungen in der Facility Services-Branche, Industrielle Beziehungen, 21(2/2014), S. 161-204.

Helfen, Markus, 2014. Netzwerkförmige Tertialisierung und triangularisierte Beschäftigung: Braucht es eine interorganisationale Personalpolitik?, In: Jörg Sydow u.a. (Hrsg.), Arbeit - eine Neubestimmung, Managementforschung, 24. Band, Wiesbaden: Springer Fachmedien, S. 171-206.

Nicklich, Manuel, 2013. Tarifpolitische Positionen der deutschen Arbeitgeberverbände, WSI Mitteilungen, 7/2013, S. 526-532.

Helfen, Markus, 2013. Sozialpartnerschaft bei Arbeitgeberverbänden: "Schnee von gestern" oder vor der Renaissance?, WSI Mitteilungen, 7/2013, S. 482-490.

Nicklich, Manuel und Markus Helfen, 2013. Wirtschaftsverbände in Deutschland 2012/2013: Mitgliedergewinnung und -bindung als zentrale Herausforderung, Berlin, 21 Seiten.

Helfen, Markus, 2013. Tertialisierung von Wertschöpfungsnetzwerken: Eine globale Herausforderung für die Gewerkschaften, In: Stefan Rüb; Torsten Müller (Hrsg.) (Hrsg.), Arbeitsbeziehungen im Prozess der Globalisierung und Europäischen Integration, Baden-Baden: Nomos, S. 81-96.

Helfen, Markus und Manuel Nicklich, 2013. Zwischen institutioneller Kontinuität und De-Institutionalisierung - Industrielle Dienstleistungen als Parallelwelt überbetrieblicher Arbeitsbeziehungen, Berliner Journal für Soziologie, 23(3-4), S. 471-491.

Benassi, Chiara, 2013. Political economy of labour market segmentation: agency work in the automotive industry, ETUI Working Paper 16, [online] https://www.etui.org/Publications2/Working-Papers/Political-economy-of-labour-market-segmentation-agency-work-in-the-automotive-industry, zuletzt abgerufen am 08.06.2018Brussels: European Trade Union Institute, 38 Seiten.

Helfen, Markus und Manuel Nicklich, 2013. Dienstleistungsorientierte Projektifizierung und tarifpolitische Fragmentierung: Zwei Fallstudien aus dem Maschinen- und Anlagenbau, Industrielle Beziehungen, 20(2/2013), S. 142-161.

Helfen, Markus, 2011. Tarifpolitische Parallelwelten, Magazin Mitbestimmung, 07+08/2011, S. 20-23.

Weitere Informationen

Helfen, Markus: Neue Dreiecksverhältnisse.- In: Mitbestimmung, 10/2013.- S. 32-35
http://www.boeckler.de/44324_44341.htm

Benassi, Chiara: Political economy of labour market segmentation:
http://www.etui.org/content/download/11879/99183/file/13+WP+2013+06+Benassi+Political+economy+EN+Web+version.pdf

Projektbeschreibung

Kontext

Ausgehend von der Gleichzeitigkeit stabiler rechtlich-formaler Grundlagen der Arbeitspolitik einerseits und einer erheblichen Abnahme ihrer Reichweite andererseits, gruppieren sich die Forschungsarbeiten um eine interorganisationale Erklärung arbeitspolitischer Parallelwelten in der kollektiven Vergütungspolitik. In den letzten zwei Jahrzehnten hat die flächendeckende Erfassung der Beschäftigten durch das branchenbezogene Zusammenspiel der Tarifpartner abgenommen. Während beispielsweise Mitte der 1990er Jahre noch knapp über 70 Prozent der westdeutschen und noch über die Hälfte der ostdeutschen Beschäftigten von einem (Flächen-)Tarifvertrag erfasst wurden, unterlagen im Jahr 2012 nur noch 53 Prozent der Beschäftigten in West- und 36 Prozent in Ostdeutschland einem Branchen- oder Flächentarifvertrag. Wo zuvor ein branchenbezogenes Tarifwerk Anwendung fand, gelten nun unterschiedliche Vergütungsstandards, da neuartige Dienstleistungsunternehmen hinzukommen, die nicht tarifgebunden sind.

Fragestellung

Die Ausgangsfrage des Forschungsvorhabens zielt auf die Nachhaltigkeit der arbeitspolitischen Institutionen angesichts des Auseinanderfallens von branchenbezogenen Regeln einer kollektiven Vergütungspolitik für die Gesamtheit von Beschäftigten und der netzwerkförmigen (Re-)Organisation der Wertschöpfung. Dabei wird eine unternehmensbezogene Erklärung des Auftretens einzelner Formen von Tariflosigkeit entwicklet, die aus zwei Richtungen eine Mesoebene in den Vordergrund rückt, und zwar indem Wertschöpfungsnetzwerke und Verbandsorganisationen betrachtet werden. Auf diese Weise wird ermittelt, wie netzwerkförmige Wertschöpfung eine arbeits- und personalpolitische Fragmentierung auch in den Bereichen der deutschen Industrie befördert, die gemeinhin der Kernzone des deutschen Systems der industriellen Beziehungen zugerechnet werden (etwa Automobilbau, Maschinen- und Anlagebau, Chemie).

Untersuchungsmethoden

Die Projekt nutzt einen Methodenmix aus qualitativem und quantitativem Vorgehen. Als empirischer Ausgangspunkt dienen 113 qualitative Interviews im Feld der industrienahen, unternehmensbezogenen Dienstleistungen mit arbeitsintensiven Tätigkeitsschwerpunkten (Personaldienstleistungen, technische Dienstleistungen, Facility Services). Die so ermittelten Netzwerkfallstudien erlauben es, zwischen den Perspektiven der Kundenunternehmen, der Dienstleistungsunternehmen und ihren jeweils Beschäftigten sowie einer Perspektive für das gesamte Netzwerk zu unterscheiden. Ergänzend wurde auf Verbandsebene die Effektivität der Arbeitgeberverbände zur Integration und Verpflichtung der Mitgliedsunternehmen untersucht, um das Zusammenspiel der unternehmens- und verbandsbezogenen Ebene in ihrer Interdependenz näher zu charakterisieren. Für die Jahre 2012/13 ist eine Erhebung durchgeführt worden, in der 208 Geschäftsführer von Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände befragt wurden.

Darstellung der Ergebnisse

Insgesamt zeigt sich eine Fragmentierung der industriellen Beziehungen, in der Regelambiguität und Regelkonkurrenz die Verbindlichkeit kollektiver Regelsetzung unterminieren, ohne das gesetzliche Regelwerk zu verändern. Getragen wird dieser Wandel von interorganisationalen Prozessen. Für die Kundenunternehmen zeigen die Ergebnisse eine netzwerkförmige Flexibilisierung der betrieblichen Personalpolitik. Die Dienstleistungsunternehmen stehen vor dem Dilemma einerseits kostengünstige, andererseits qualitativ hochwertige Dienstleistungen anzubieten. Für die Beschäftigten beschwören die Mehr-Arbeitgeber-Beziehungen vielfältige Herausforderungen herauf, die von der Überleitung der Regelungen für Beschäftigte bei Auslagerung bis hin zum Aufbau geordneter Vertretungsstrukturen in den weißen Flecken der arbeitspolitischen Landkarte und dem Austarieren überlappender Zuständigkeiten reichen. Aus der Perspektive des Wertschöpfungsnetzwerkes selbst sind bislang nur wenige, vereinzelte Ansatzpunkte (etwa Tarifgemeinschaften) zu erkennen, ein Netzwerkmanagement oder gar eine Netzwerkverfassung zu entwickeln, die einer inter-organisationalen Personal- und Arbeitspolitik Gestalt verleihen können.

Projektleitung und -bearbeitung

Projektleitung

Prof. Dr. Jörg Sydow
Freie Universität Berlin Fachbereich Wirtschaftswissenschaft
Management Department
joerg.sydow@fu-berlin.de

Bearbeitung

Dr. Markus Helfen
Hertie School of Governance
HuLog project
m.helfen@hertie-school.org

Manuel Nicklich
Freie Universität Berlin Fachbereich Wirtschaftswissenschaft
Management Department
manuel.nicklich@fu-berlin.de

Kontakt

Dr. Stefan Lücking
Hans-Böckler-Stiftung
Forschungsförderung
stefan-luecking@boeckler.de

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen