Projektbeschreibung
Kontext
Die zunehmende Flexibilisierung der Erwerbsarbeitszeiten beruht auf den betrieblichen Interessen an einer größeren Marktnähe, der Entlastung des Managements von Steuerungsaufgaben und an Lohnkostensenkung. Neue Arbeitszeitformen zielen auf die Begrenzung der Flexibilisierung und die Berücksichtigung der persönlichen Zeitinteressen der Beschäftigten. Die geregelte Optionalität könnte eine neue Qualität der Arbeitszeitpolitik bedeuten, die durch Begriffe wie Zeitsouveränität und work-life balance benannt wird. Die Einschätzung der realen Möglichkeiten fällt allerdings weit auseinander. Auf der einen Seite stehen Urteile wie legitimatorische Floskel für neue Verfügbarkeitsansprüche, auf der anderen Seite stehen Hoffnungen auf neue Gestaltungsmöglichkeiten des Alltags.
Fragestellung
Das Projekt untersucht individuelles Zeithandeln im Umgang mit Arbeitszeitkon-ten sowohl im betrieblichen als auch im sozialen Kontext. Das Forschungsinte-resse richtete sich auf:
- die betriebliche Regulierung von Optionalität und Aushandlungsprozessen,
- die Nutzung der Optionen durch die Beschäftigten (Dauer, Lage, Zweck) und deren Auswirkungen auf die Zeitinstitutionen Feierabend, Wochenende und Jahresurlaub,
- die Auswirkungen von Flexibilisierung auf das Verhältnis der Lebensbereiche und mögliche neue Optionen für die Balance von Arbeit und Leben,
- die Bedeutung sozialstruktureller und individueller Merkmale für die Selbstregulierung von Arbeitszeiten.
Zur Strukturierung der Fragen wurde auf das Konzept der alltäglichen Lebensführung zurückgegriffen und die Formel der Balance analytisch unterlegt.
Untersuchungsmethoden
Im Rahmen einer explorativen, qualitativen Studie befragten wir abhängig Beschäftigte und Betriebsexperten in fünf Unternehmen unterschiedlicher Branchen (verarbeitende Industrie, Banken, Pflegebereich, IuK-Sektor). Die Betriebe waren für Arbeitszeitregelungen bekannt, die den Beschäftigten eine Entnahme von Blockfreizeiten ermöglichen (2Tage bis 1 Monat). Wir werteten insgesamt 73 leitfadengeführte Beschäftigteninterviews aus, die nach den Kriterien Alter, Geschlecht, Lebensform und Qualifikation gruppiert waren. Darüber hinaus sichteten wir Betriebsvereinbarungen zu Arbeitszeiten und work-life balance. Die Auswertung erfolgte fallspezifisch und entlang von Querschnittsfragen nach individuellem Zeithandeln, sozialem Zeithandeln und betrieblicher Regulierung.
Darstellung der Ergebnisse
Die Nutzung von Zeitkonten erfordert Lernprozesse bei den Beschäftigten und im Management. Während sich Unternehmensstrategien auf einen marktangepassten Personaleinsatz konzentrieren, hängt die Realisierung von Zeitsouveränität für die Beschäftigten von der Arbeitszeitkultur und den Arbeitsbedingungen ab. Hohe Leistungsanforderungen und Personalengpässe verhindern die Entnahme von Blockfreizeiten. Hemmnisse liegen zudem im privaten Alltag und der persönlichen Zeitorganisation: persönliche Zeitrhythmen bleiben grundlegend und es fehlt die Kompetenz, neue Zeitmuster im Alltagsleben umzusetzen. Optionale Arbeitszeitmodelle führen weder automatisch zu höherer Zeitsouveränität noch zu höherer Lebensqualität. Sie erfordern einen Erfahrungsraum, um neue Zeitinteressen zu erkunden und zu balancieren.