Projektbeschreibung
Kontext
Der Dienstleistungssektor, auch der Finanzdienstleistungssektor, hat in der Digitalisierungsforschung bisher wenig Aufmerksamkeit erhalten – der Fokus lag auf „Industrie 4.0“. Dies mag damit zu tun haben, dass Geschäfts- und Arbeitsprozesse gerade auch in Banken und Versicherungen bereits seit längerem zu den am stärksten automatisierten und informatisierten Bereichen zählen. Gegenwärtig forcieren Unternehmen dieser Branchen freilich die Digitalisierung. Wie sich Geschäftsmodelle und -strategien, Geschäfts-, Arbeits- und Innovationsprozesse unter Bedingungen einer ‚neuen‘ Digitalisierung in der Finanz- und Versicherungswirtschaft konkret verändern und welche Wirkungen dies auf Dienstleistungsprozesse und Dienstleistungsarbeit in den Betrieben hat, ist freilich unklar: vorliegende Prognosen basieren allein auf Expertenmeinungen oder standardisierten Befragungen.
Fragestellung
Im Forschungsvorhaben wurden Digitalisierungsprozesse in Betrieben des Finanzdienstleistungssektors empirisch untersucht. Dabei wurden arbeitssoziologische, betriebswirtschaftliche und juristische Perspektiven berücksichtigt. Wichtige Fragen für die empirischen Analysen waren unter anderem:
- Welche Reichweite und Tiefe haben aktuelle Prozesse der Automatisierung, Industrialisierung und Digitalisierung in Banken und Versicherungen?
- Wie entwickeln sich Geschäftsmodelle und -strategien sowie Arbeits- und Innovationsprozesse unter Bedingungen einer „neuen“ Digitalisierung?
- Welche Perspektiven von (qualifizierter) Dienstleistungsarbeit sind mit neuartigen Digitalisierungstechnologien verbunden?
- Wie wird „digitale“ Arbeit von den betrieblichen Akteuren, nicht zuletzt auch von den betrieblichen Interessenvertretungen, bewertet und (mit-)gestaltet?
- Welche arbeits- und datenschutzrechtlichen Problemlagen sind betrieblich virulent?
Untersuchungsmethoden
Die Erhebungen folgten einem dreistufigen Vorgehen:
1. Expertengespräche mit Vertreterinnen und Vertretern der Arbeitgeberverbände und der Gewerkschaft ver.di sowie weiteren Branchenexpertinnen und -experten.
2. Betriebliche Fallstudien in verschiedenen Organisationsbereichen aus jeweils drei Unternehmen des Bank- bzw. Versicherungsgewerbes, in denen Digitalisierungsprozesse unterschiedlicher Art stattgefunden haben („Digitalisierungsfälle“). Insgesamt konnten zwischen Mai 2018 und Oktober 2019 in zehn Fallstudien 58 leitfadengestützte Experteninterviews (Vorstandsebene, Linien-/Bereichsmanagement, IT/Organisation, HR, BR/PR), 22 ausführliche, leitfadengestützte Beschäftigteninterviews in Front- und Back-Office-Bereichen sowie 9 Arbeitsplatzbeobachtungen (vier bei Finanzdienstleistern, fünf bei Versicherungen) realisiert werden.
3. Ergebnispräsentationen in beteiligten Unternehmen.
Darstellung der Ergebnisse
Ein Bruch mit etablierten Geschäftsmodellen oder eine breitflächige Anwendung grundlegender technischer Neuerungen ist nicht erkennbar. Vielmehr beobachten wir systemische Rationalisierungsprozesse auf „erweiterter Stufenleiter“, mit der die Finanzdienstleistungen auf neue technologische Potentiale und veränderte Wettbewerbskonstellationen reagieren.
Mit Blick auf Arbeit zeigt sich: Die notwendig bleibende Kommunikationsbezogenheit der Dienstleistung stellt eine grundlegende Hürde für eine Substitution qualifizierter Sachbearbeitung und Kundenberatung durch „Maschinen“ dar. Zugleich wird sich die technologische Ersetzung von Routinetätigkeiten vor allem im Back-Office fortsetzen.
Beobachten lässt sich eine Veränderung der Führungsanforderungen im Zusammenhang mit der neu eingeführten „agilen Arbeit“. Freilich müssen Unternehmenskultur und Back-End-Systeme auf die neuen kundenzentrierten Produkte und Dienstleistungen vorbereitet werden, die in agilen Arbeitsumgebungen entwickelt werden.
Aus arbeitsrechtlicher Sicht virulent sind Fragen zu Änderungen des Tätigkeitsprofils durch moderne Technologien, zur Zulässigkeit von Leistungskontrollen sowie zum häuslichen und mobilen Arbeiten.