Quelle: HBS
Böckler ImpulsBedingungsloses Grundeinkommen: „Die Mittelschicht wird zahlen“
Der Vorschlag ist populär: 1.000 Euro im Monat. Für jeden, ohne Vorbedingung. Andere Sozialleistungen könnten wegfallen. Doch das Konzept hat viele Nachteile, sagt WSI-Direktorin Anke Hassel.
Es gibt verschiedene Versionen des bedingungslosen Grundeinkommens (BGE). Den neoliberal inspirierten Modellen geht es darum, den Sozialstaat zu schleifen. Bei den Vorschlägen von weiter links steht der Plan im Zentrum, Menschen von Hartz-IV-Repressionen zu befreien. Kann man die verschiedenen Ansätze überhaupt vergleichen?
Es gibt eine Reihe von Vorschlägen, die in der Tat sehr unterschiedliche Ziele haben. Das BGE von Thomas Straubhaar, dem ehemaligen Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts, ist eine negative Einkommenssteuer. Er will ein Grundeinkommen einführen und zugleich alle Sozialversicherungen einschließlich der Krankenversicherung wie auch Mindestlohn und Kündigungsschutz abschaffen. Viele Aktivisten haben jedoch ganz andere Vorstellungen, insbesondere in Bezug auf die Sozialversicherungen. Den Vorschlägen ist gemein, dass alle Bürgerinnen und Bürger grundsätzlich und unabhängig von ihren Bedürfnissen einen Anspruch auf staatliche Transferleistungen haben.
Ob ein BGE wie von seinen Befürwortern gewünscht funktioniert, hängt davon ab, welche Verhaltensänderungen es auslöst. Gibt es sozialwissenschaftliche Forschungsergebnisse, die eine Prognose erlauben?
In den USA wurde in den 1970er-Jahren mit der negativen Einkommenssteuer in einzelnen Bundesstaaten experimentiert. Den Teilnehmern wurde über einen Zeitraum von drei Jahren ein Einkommen garantiert, das an der Armutsgrenze lag. Zusätzliches Erwerbseinkommen wurde zwar versteuert, aber nicht mit hundert Prozent, sondern nur zum Teil. In dem Experiment wollte man überprüfen, ob sich das Arbeitsverhalten der Teilnehmer verändern würde. Es zeigte sich, dass die Arbeitszeiten der Familien mit negativer Einkommenssteuer deutlich niedriger lagen als in der Kontrollgruppe. Bei den Männern sank das Arbeitsvolumen um bis zu acht Prozent, bei verheirateten Frauen, die nicht die Haupternährer der Familie waren, um bis zu 55 Prozent. Haupternährerinnen lagen in der Mitte. Auch das Erwerbsverhalten änderte sich. Die Erwerbstätigkeit ging zurück und Phasen der Arbeitslosigkeit wurden länger, ohne dass dies zu besseren Jobs geführt hätte. Zwar nutzten einige junge Bezieher die Zeit, um wieder zur Schule zu gehen. In dem Experiment wurde jedoch kein Anstieg der Löhne durch höhere Qualifikation gemessen. Seit dieser Zeit gab es zumindest in den Industrieländern keine kontrollierten Experimente mehr. Ein ähnliches Projekt wurde im letzten Jahr in Finnland gestartet. Die Ergebnisse stehen noch aus.
Oft wird eingewandt, schlecht Qualifizierte würden sich mit BGE gänzlich von der Arbeitsgesellschaft abwenden. Wäre es nicht auch denkbar, dass sich der Arbeitsmarkt so weit entspannt, dass beispielsweise auch Schulabbrecher wieder Chancen bekommen?
Der Arbeitsmarkt ist heute in weiten Teilen entspannter als früher. Die Arbeitslosigkeit ist auf dem niedrigsten Stand seit den frühen 1980er-Jahren. Dennoch haben wir Probleme. Wir haben einen sehr großen Niedriglohnsektor, der fast ein Viertel der Beschäftigten umfasst. Für Schulabbrecher bedeutet dies, dass sie fast nur im Niedriglohnsegment eine Chance haben. Das würde sich aber durch ein BGE nicht ändern. Das BGE würde zwar vielleicht zu Engpässen im Niedriglohnsektor führen, da schlecht Qualifizierte nicht mehr jede Stelle annehmen würden. Ich vermute, dass diese Stellen dann einfach wegfallen oder an solche Menschen gehen, die das BGE nicht beziehen können. Das sind zum Beispiel Ausländer, deren Aufenthaltsstatus an einen Arbeitsvertrag oder ein eigenes Einkommen gebunden ist. Bessere Jobangebote bekommen Schulabbrecher deswegen nicht. Dafür braucht man eine andere Schulpolitik.
Wäre ein BGE nicht ein probates Mittel gegen die zunehmende Ungleichheit? Es böte die Gelegenheit, das Steuersystem so verändern, dass auch die Reichen einen angemessenen Beitrag zahlen.
Es gab schon viele Vorschläge, das Steuersystem radikal zu verändern. Man erinnere sich an die Steuermodelle, die auf einen Bierdeckel passen sollten. Tatsächlich wird das Steuersystem immer komplizierter und in den letzten zwanzig Jahren immer ungerechter. Die Steuersätze für hohe Einkommen wurden gesenkt, die unteren Einkommen nicht dementsprechend entlastet. Wir schaffen es noch nicht einmal, eine gerechte Erbschaftssteuer einzuführen. Die Hoffnung, dass bei der Einführung des BGEs das Steuersystem gerechter gestaltet würde, ist mehr als naiv. Drogerie-Unternehmer und BGE-Befürworter Götz Werner möchte das BGE über eine Konsumsteuer finanzieren; das ist die Steuer, die niedrige Einkommen viel stärker trifft als hohe. Thomas Straubhaar schlägt eine proportionale Einkommenssteuer von 50 Prozent vor. Die Verteilungswirkung hängt stark von der Ausgestaltung einer dann rein privaten Kranken- und Rentenversicherung ab. Selbst wenn eine so radikale Steuervereinfachung politisch durchsetzbar wäre, lassen sich damit die 1.000 Euro für alle aber nicht finanzieren. In jedem Fall wird die Mittelschicht für das Grundeinkommen zahlen. Da sollte man sich nichts vormachen.
Gibt es überhaupt eine Alternative zum BGE, falls der technische Fortschritt – Computer, Roboter – Millionen Arbeitsplätze dahinrafft?
Die Warnung, dass der technische Fortschritt Beschäftigung vernichtet, ist so alt wie der technische Fortschritt selbst. In jeder Phase der radikalen Innovation – der Dampfmaschine, der Elektrifizierung, der Einführung der computergestützten Fertigung – wurde über das Ende der Arbeitsgesellschaft diskutiert. Hannah Arendt schrieb darüber schon in den 1950er-Jahren. Tatsächlich ist uns die Arbeit nicht ausgegangen. Das wird auch jetzt so sein. Aber die Arbeitsgesellschaft wird sich wieder einmal verändern. Es wird noch mehr Jobs im Bereich der sozialen Dienstleistungen, Pflege, Erziehung und Gesundheit geben. Diese Arbeitsplätze müssen gut gestaltet werden. Das ist die Alternative zum BGE.
Anke Hassel ist wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts in der Hans-Böckler-Stiftung