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Die gute Haushaltslage täuscht: Für Steuersenkungen besteht kaum Spielraum: IMK: Umfangreiche Steuersenkungen, wie von der FDP und Teilen der CDU gefordert, könnten den Staat schnell in Konflikt mit den Schuldenregeln bringen und würden die Ungleichheit verschärfen.

24.10.2017

Wirtschaftsforscher erwarten für das kommende Jahr einen Überschuss von über 35 Milliarden Euro in den öffentlichen Haushalten. Das Plus für Steuerentlastungen in ähnlichem Umfang zu nutzen, wäre jedoch ein schwerer wirtschaftspolitischer Fehler, wie eine aktuelle Analyse des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung zeigt. Der Staat würde seine gerade „wiedergewonnene Handlungsfähigkeit“ damit verspielen, so die Autoren, IMK-Steuerexpertin Dr. Katja Rietzler und Wirtschaftsprofessor Achim Truger von der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht.

Der aktuelle Haushaltsüberschuss ist der Untersuchung zufolge zu wesentlichen Teilen der guten Konjunktur und Einmaleffekten geschuldet. Um solche Effekte bereinigt liegt der Überschuss, der „strukturelle Finanzierungssaldo“, konservativ kalkuliert, nur bei etwa 17 Milliarden Euro. Im Fall einer konjunkturellen Abkühlung könnten die öffentlichen Haushalte schnell wieder ins Minus rutschen, wenn die kommenden Regierungsparteien größere Steuersenkungen beschließen. Die Politik sollte hier aus den Fehlern der Vergangenheit lernen, mahnen die Forscher. Zu Zeiten der rot-grünen Bundesregierung hätte niemand damit gerechnet, dass sich die Steuersenkungen in der Folgezeit als fatal erweisen würden: In der Rezessionsphase zu Beginn dieses Jahrtausends summierten sich die Einnahmeausfälle auf bis zu 43 Milliarden Euro jährlich. Die damaligen Steuersenkungen „sind die Ursache für viele der heute beklagten Engpässe in der öffentlichen Verwaltung und den Investitionsstau bei Infrastruktur und Bildung“, so die IMK-Analyse. Zudem seien aus gesamtwirtschaftlicher Sicht statt Steuerentlastungen zusätzliche Ausgaben nötig. Allein auf kommunaler Ebene müssten jedes Jahr zehn Milliarden Euro mehr investiert werden –um die Substanz der Infrastruktur zu erhalten und die Versäumnisse der Vergangenheit auszugleichen.

Noch etwas spricht aus IMK-Sicht gegen Steuersenkungen: Die aktuell diskutierten Steuerkonzepte kämen vor allem Besserverdienern zugute, was die Einkommensungleichheit verschärfen würde. So war es bereits unter Rot-Grün. Alle Steuerreformen seit 1998 zusammen genommen brachten dem reichsten Hundertstel eine Entlastung von 4,8 Prozent. Das ärmste Zehntel zahlt hingegen 5,4 Prozent des Bruttoeinkommens mehr; dies liegt etwa an gestiegener Energie- und Mehrwertsteuer.

Soli verteilungsgerecht modifizieren

Besonders kritisch sieht das IMK die FDP-Forderung, den Solidaritätszuschlag ersatzlos abzuschaffen. Zwar müsste das Aufkommen – 2018 voraussichtlich gut 18 Milliarden Euro – 27 Jahre nach der Wiedervereinigung nicht mehr exklusiv für Ostdeutschland verwendet werden, sondern könne zur „bundespolitischen Förderung strukturschwacher Regionen in ganz Deutschland“ genutzt werden. Der Soli dürfe aber schon wegen seiner verteilungspolitischen Wirkung nicht ersatzlos gestrichen werden. Er gehört nämlich zu den Steuerarten, die besonders progressiv wirken, also große Einkommen stärker belasten als kleine, zumal er bei Alleinstehenden unterhalb eines zu versteuernden Einkommens von 14099 Euro (2018) gar nicht erhoben wird und dann in einer Übergangsphase allmählich ansteigt. Musterrechnungen des IMK zeigen: Würde der Soli im kommenden Jahr einfach wegfallen, hätte die vierköpfige Familie eines alleinverdienenden Piloten gut 2.500 Euro weniger an den Staat zu zahlen, während die gleich große Familie eines Finanzbuchhalters überhaupt keine Entlastung erführe.

Wenn im Jahr 2020 der Solidarpakt II ausläuft und der Solidaritätszuschlag nicht in seiner bisherigen Form beibehalten werden soll, müsste zumindest seine Umverteilungswirkung im Wesentlichen aufrechterhalten werden, argumentieren die Forscher. Dies könne durch Integration in den Einkommensteuertarif erfolgen, so dass ungefähr dasselbe Aufkommen und eine ähnliche tarifliche Verteilungswirkung erzielt würden. Wolle die Politik auf die Soli-Einnahmen komplett verzichten, könne sie die Einkommensteuer im nächsten Schritt stufenweise reduzieren. Dabei würde nach den Vorstellungen des IMK nicht der Tarifverlauf der Einkommensteuer nach unten verschoben, sondern alle Steuerzahler würden mit einheitlichen Pauschalbeträgen entlastet. So könnten Piloten- und Finanzbuchhalterfamilie „in der Endstufe des vorgeschlagenen Abschmelzmodells“ beispielsweise jeweils um etwa 1.000 Euro jährlich entlastet werden. Die Entastung würde absolut gleichmäßig verteilt. Kleine Einkommen würden dabei überproportional profitieren.

Weitere Informationen:

Katja Rietzler, Achim Truger: Ein gerechterer Einkommensteuertarif ohne Soli: Spielräume und Handlungsoptionen für eine Reform der Einkommensbesteuerung (pdf), IMK Policy Brief, 24. Oktober 2017.

Kontakt:

Dr. Katja Rietzler
Referatsleiterin Steuer- und Finanzpolitik

Philipp Wolter
Stellv. Pressesprecher

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