Quelle: HBS
Böckler ImpulsDigitalisierung: Roboter am Schreibtisch
Künstliche Intelligenz wirkt sich zweischneidig auf Büroarbeit aus. Sie kann zu Dequalifizierung und Personalabbau, aber auch zur Aufwertung von Tätigkeiten führen.
Lange Zeit hat sich der technische Fortschritt vor allem auf die Arbeit in der Produktion ausgewirkt, die durch Dampfmaschinen, Fließbänder oder Roboter revolutioniert wurde. Vom Automatisierungsschub durch künstliche Intelligenz (KI) sind aktuell dagegen insbesondere Tätigkeiten von Angestellten betroffen. Wie sich diese Entwicklung aus Sicht der Beschäftigten darstellt, haben Thomas Lühr vom Münchner Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung und Tobias Kämpf von der University of Labour in Frankfurt mit Unterstützung der Hans-Böckler-Stiftung untersucht. Sie haben die Situation in den Büros von 21 Unternehmen der Branchen Automobilindustrie, IT sowie Banken und Versicherungen analysiert und dafür insgesamt 76 Interviews geführt. Ihre Befunde deuten „auf den Beginn eines grundlegenden Strukturwandels“ hin.
„Die öffentliche Diskussion dreht sich oft nur um die Frage, wie viele Arbeitsplätze durch KI ersetzt werden. Viel spannender ist die Frage, wie sich Angestelltenarbeit qualitativ verändert. Diese Veränderungen sind vielfältig und zum Teil widersprüchlich. Das bietet Ansatzpunkte für Betriebsräte, die digitale Transformation im Sinne der Beschäftigten zu gestalten“, so Stefan Lücking von der Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung.
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KI wirke sich sowohl auf die Arbeitsinhalte als auch auf die Arbeitsorganisation und die betriebliche Stellung von Angestellten aus, schreiben Lühr und Kämpf. Als ein Beispiel nennen sie die Lohnbuchhaltung eines großen IT-Unternehmens, wo Datensätze ursprünglich von Hand in IT-Systeme übertragen und überprüft werden mussten. Diese Aufgaben hat eine KI-Software übernommen, die Arbeit der verbliebenen Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter hat sich grundlegend verändert: Sie „verschieben“ nicht mehr bloß Daten, sondern analysieren sie vor allem und trainieren die Software-Roboter. Dabei arbeiten sie in selbstorganisierten Teams und teilen sich ihre Arbeit eigenverantwortlich ein.
Ein weiteres Beispiel für die Aufwertung von Arbeit durch KI haben die Wissenschaftler bei der Sachbearbeitung einer Filialbank ausfindig gemacht. Kundenbilanzen werden dort bislang manuell zusammengetragen und nach Vorgabe der Bank gegliedert. Künftig soll das per Software geschehen. Die Angestellten sollen stattdessen Bilanzen selbstständig analysieren, beurteilen und eigenverantwortlich Entscheidungen treffen, für die bislang Vorgesetzte zuständig waren. Der Fachkräftemangel in der Region setze die Bank unter Druck, Sachbearbeitungstätigkeiten aufzuwerten und Beschäftigte weiterzubilden, so Lühr und Kämpf. In Unternehmen mit Absatzproblemen könne allerdings auch ein „Sog in Richtung Personalabbau“ entstehen.
Wie die Automatisierung von Routinetätigkeiten zu einer Abwärtsspirale führen und Beschäftigte zu bloßen „Heizern auf der E-Lok“ machen kann, veranschaulichen die Sozialwissenschaftler anhand eines mittelständischen Unternehmens in der Finanzbranche. Hier mussten Sachbearbeiter und Sachbearbeiterinnen bis vor Kurzem den Zahlungsverkehr für verschiedene Geldinstitute abwickeln und sich zum Beispiel um fehlerhafte Geldautomaten-Transaktionen kümmern. Mittlerweile werden sämtliche Prozessschritte bis hin zur Veranlassung der Zahlung und der Mail an die Kundschaft von einer KI erledigt. Die verbliebenen Beschäftigten überprüfen lediglich, ob die Software fehlerfrei agiert. Sie „bilden faktisch nur noch das Back-up für den Fall, dass die Maschine einmal ausfallen sollte“, urteilen Lühr und Kämpf. Insofern sei es hier zu einer Dequalifizierung gekommen.
Auch an Hochqualifizierten geht die KI-Revolution nicht spurlos vorbei: Die Autoren haben beobachtet, dass am Forschungsstandort eines großen Automobilzulieferers die Software-Entwicklung bis vor ein paar Jahren „bloß eine Art Anhängsel der Hardware-Bereiche“ war. Karriere hätten dort traditionell Maschinenbau-Ingenieure gemacht. Inzwischen habe sich das Verhältnis umgekehrt: Während sich für Software-Entwicklerinnen und -Entwickler im Zusammenhang mit Produkten wie hochautomatisiertem Fahren neue Aufstiegschancen eröffnen, sei die Hardware-Entwicklung zur „beruflichen Sackgasse“ geworden.
Alles in allem sprächen die Befunde dafür, dass der Strukturwandel durch KI „Potenziale für Aufwertung und Höherqualifizierung“ aufweist, resümieren Lühr und Kämpf. Zugleich gebe es aus Beschäftigtensicht Risiken bis hin zum Jobverlust. Um die Chancen zu nutzen und die Risiken zu minimieren, müsse der Wandel durch Qualifizierungsprogramme begleitet werden. „Eine solche Vorwärtsstrategie gilt es gegen die Kurzfristperspektive von Kostensenkungsstrategien des Managements zu verteidigen.“
Thomas Lühr, Tobias Kämpf: KI und der Wandel von Angestelltenarbeit, WSI-Mitteilungen 2/2024