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Magazin Mitbestimmung

Interview: "Als Aufsichtsrat kenne ich die Zahlen"

Ausgabe 04/2016

Werner Klockhaus, Konzernbetriebsratsvorsitzender und Aufsichtsrat der METRO AG, spricht darüber, wie Mitbestimmung im Einzelhandel den Beschäftigten nutzt – und inwiefern sie bei der Metro Group inzwischen unter Wettbewerbsdruck steht. Das Gespräch führten Carmen Molitor und Cornelia Girndt.

Werner Klockhaus, im Vergleich zu den Mitbewerbern im Einzelhandel funktionieren die Mitbestimmungsstrukturen und die Tarifverträge in großen Teilen der Metro AG traditionell gut. Gerät das durch die Erosion der Tarifbindung und sichtliche Mitbestimmungsvermeidung in dieser Branche unter Druck?

Ja. Es wäre toll, wenn im Einzelhandel alle die gleiche Mitbestimmung hätten und tariftreu wären. Dann würde sich aufgrund des operativen Geschäfts erweisen, ob ein Unternehmen besser oder schlechter ist – und nicht anhand der Kosten für die Mitarbeiter. Ich diskutiere die Situation oft mit den Betriebsräten von Rewe, Edeka oder Kaufland und sage: „Wir waren die, die für den Flächentarifvertrag gestreikt haben – und bei euch hält sich, zumindest in den kleineren Filialen, keiner dran! An die Tarifverträge nicht, an die Arbeitszeiten nicht!“

Auch Ihr angestammtes Unternehmen, die Metro-Tochter Real, ist 2015 aus der Tarifbindung ausgestiegen und wechselte in eine OT-Mitgliedschaft innerhalb des Handelsverbands. Seither bekommen die Beschäftigten durchschnittlich 4,5 Prozent weniger Gehalt als tarifgebundene Kollegen anderswo. Das Argument von Konzernchef Olaf Koch: Die Personalkosten bei Real lägen 30 Prozent über denen der Wettbewerber. 

Tariftreue und Mitbestimmung sind nicht kostenneutral. Wenn ich als Betriebsrat Arbeitszeiten überprüfe und Gehälter kontrolliere, überwache ich doch nur, ob das Unternehmen den Vertrag einhält, der mit dem Mitarbeiter geschlossen wurde. Ich sorge dafür, dass ein vereinbarter Standard eingehalten wird: der Tarifvertrag. Dafür bin ich da. So sehe ich den Job von Betriebsräten.

Vor Kurzem haben Spitzenvertreter von ver.di und Sie als GBR-Vorsitzender von Real ein „Zukunftspaket“ ausgehandelt, das den 36 000 Mitarbeitern erhebliche finanzielle Einbußen zumutet. Weihnachts- und Urlaubsgeld sinken um 60 Prozent, Tariferhöhungen fallen aus. Im Gegenzug sichert der Vertrag aber Standorte und Beschäftigung für dreieinhalb Jahre. Wie groß war der Druck, wie ernst ist die Lage?

Es war klar: Entweder macht ver.di Zugeständnisse, oder Real mit seinen 283 Märkten wird aufgeteilt und verkauft. Wir haben nächtelang zäh verhandelt – unser CEO Olaf Koch hatte sich eingeschaltet, ebenso der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske. Es war eine ganz schwierige Situation, weil manche meinten, es gehe um den Versuch der Gewinnoptimierung auf Kosten der Mitarbeiter. Ich aber wusste: Wir sind kurz vor der Schließung. Als Mitglied des Aufsichtsrats der Arbeitnehmerseite kenne ich die Zahlen. 

Ist das der Vorteil eines Aufsichtsratsmandats: die Zahlen zu kennen, um für Entscheidungen von dieser Tragweite als von der Belegschaft gewählter Arbeitnehmervertreter überhaupt einstehen zu können? 

Ja. Mir war klar: Ohne die Metro ist Real nicht überlebensfähig. Der Konzern schreibt rund 1,5 Milliarden Euro Ergebnis – und Real macht jedes Jahr dreistellige Millionenbeträge minus. Natürlich sagen die Anteilseigner da irgendwann: Mit Real, das wird nichts.

Drängt sich hier nicht eine Parallele zu Karstadt auf? Da haben die Mitarbeiter für einen Neustart auf viel Geld verzichtet, aber nicht viel damit erreicht. 

Stimmt, man hat dort den Leuten in die Taschen gegriffen, und nachher ist Karstadt trotzdem verkauft worden. Eins ist klar: Man wird ein Unternehmen nicht durch Einsparungen beim Personal sanieren, restrukturieren und in die Zukunft führen können. Wer das behauptet, ist ein dummer Mensch!

Aber so argumentiert die Metro Group doch: Mit den – laut ver.di – 200 Millionen Euro Einsparungen bei den Personalkosten finanzieren die Beschäftigten jetzt die Modernisierung von Real mit, für die insgesamt eine Milliarde fließen soll.

Jedem im Aufsichtsrat ist sonnenklar, dass man durch Personalkosteneinsparungen kein unternehmerisches Konzept am Leben halten kann, das nicht funktioniert. Dass eine Kollegin ihr Urlaubs- und Weihnachtsgeld abgibt, das wird das Unternehmen nicht retten. Um bei Real das operative Geschäft voranzubringen, brauchen wir ein zukunftsfähiges Konzept – und wir arbeiten ja unter dem Titel „Food Lovers“ schon daran.

Was bedeutet für Sie der neue Haustarifvertrag?

Das ist eine lebensverlängernde Maßnahme. In so einer existenziellen Situation gibt es immer viel Druck von allen Seiten. Ich habe immer darauf beharrt: Ich will diese drei Jahre, wir brauchen Zeit. Gerade jetzt, wo eine Spaltung des Konzerns bevorsteht und es die Metro AG in der alten Form bald nicht mehr geben wird. 

Wurde dank der funktionierenden Mitbestimmung für Real Zeit erkauft?

Ohne Mitbestimmung wäre Real jetzt an einem Punkt, wo ich keine Zeit für Interviews hätte, weil ich einen Sozialplan verhandeln müsste.

Dagegen ist die Elektrosparte mit Media Markt und Saturn eher ein Stiefkind in Sachen Mitbestimmung, weil es der Unternehmensgründer so wollte. Aufsichtsratsmitbestimmung wird vermieden, es gibt keinen GBR, und nur 36 der über 500 Filialen von Media-Saturn haben einen Betriebsrat. Wie sehen Sie das aus Sicht des KBR-Vorsitzenden? 

Alles, was wir im KBR beschließen, gilt für jeden Beschäftigten von Media Markt oder Saturn auch. Etwa die Vereinbarungen zur Altersvorsorge, dass jeder Mitarbeiter in Vollzeit jährlich eine Prämie von 325 Euro bekommt. Da es vor Ort kaum Betriebsräte gibt, erfahren das die Arbeitnehmer nicht. Ich versuche seit Jahren, in diese Vertriebslinie mehr Mitbestimmung reinzubringen, und bin stolz darauf, dass wir jetzt durch die gerichtliche Bestellung von Jürgen Schulz endlich einen Betriebsrat von Media-Saturn auch im Aufsichtsrat der Metro AG haben. Durch den Verkauf von Kaufhof mussten wir Mandate neu besetzen. Da hatte der KBR ein Vorschlagsrecht, und uns war wichtig, einen Media-Saturn-Vertreter zu holen. Wir sind sicher, dass es mit Jürgen Schulz und der Mitbestimmung bald nach vorne geht. 

Wieso? 

Er könnte zum Beispiel bald meinen Posten als stellvertretender Vorsitzender im Aufsichtsrat übernehmen. Mitte 2017 teilt sich der Konzern in zwei unabhängige Handelsgruppen auf: Der Elektrobereich mit Media-Saturn kommt unter das Dach der bisherigen Metro AG. Die Lebensmittelsparte geht mit Real, Metro Cash&Carry und Makro in eine neue Aktiengesellschaft über. Dann müssen wir alles neu wählen. Ich verliere durch die Zweiteilung meine Ämter, dagegen bleibt Jürgen Schulz als einziger Arbeitnehmervertreter im alten Aufsichtsrat und könnte dort stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der AG werden. Was ich sehr begrüßen würde. 

Halten die Arbeitnehmer das für eine gute Idee? Es gibt doch erhebliche Sorgen in der Belegschaft vor den Folgen dieser Konzernaufspaltung. 

Die Metro ist ein Konglomerat aus vielen Firmen, und der Verkauf von Kaufhof hat gutes Geld gebracht: rund 2,8 Milliarden. Aber die Aktie ist unterbewertet. Da ist der Vorstand auf die Idee gekommen, die schöne Metro AG zu spalten. Welche Auswirkungen das auf die Beschäftigten hat, ist nicht absehbar. Noch sind wir alle sehr skeptisch.

Wie wirkt sich das auf die Mitbestimmung aus? Es gibt Gerüchte, dass bei Media-Saturn eine SE gegründet wird. 

Das glaube ich nicht. Ich gehe auch nicht davon aus, dass es künftig Aufsichtsräte ohne Mitbestimmung geben wird, weder bei der alten AG noch bei der neuen. Bei Media-Saturn wird durch die Spaltung wesentlich mehr Mitbestimmung einkehren. Es wird danach dort auch einen Aufsichtsrat geben.

Langweilig ist es ja nicht im 20-köpfigen Aufsichtsrat der Holding. Der damalige Aufsichtsratsvorsitzende Franz Haniel hat 2012 mit seinem Doppelstimmrecht Konzernchef Olaf Koch durchgeboxt. Die Arbeitnehmervertreter haben ihn zu dem Zeitpunkt geschlossen abgelehnt. 

Ich schreibe am besten mal ein Buch darüber (lacht). Wir sind das erste DAX-30-Unternehmen in Deutschland, wo der Aufsichtsratsvorsitzende die Zweitstimme für einen neuen CEO gezogen hat. Das hat zu Aufruhr geführt, und die Arbeitnehmerseite musste starken Druck aushalten. 

Die Opposition gegen die Bestellung des von den Eigentümern ausgewählten Managers war ein riskantes Unterfangen.

Uns ging es damals nicht um die Person Olaf Koch. Wir lehnten ihn ab, weil wir einen Handelsexperten mit Fachexpertise wollten und keinen Finanzmanager von Mercedes. Es gab zwei Wahlgänge, womit alle überfordert waren, weil keiner wusste, wie das geht. Koch hat lange überlegt, ob er unter diesen Voraussetzungen überhaupt antritt. 

Zwei Jahre später haben bei der Vertragsverlängerung alle Arbeitnehmervertreter für Koch gestimmt. Wieso der Sinneswandel?

Er hat sich gut eingearbeitet, kann mit Mitarbeitern umgehen, er ist ein junger Vorstand, der Jeans trägt, A-Klasse fährt und E-Gitarre spielt. Da wird ein Gefühl vermittelt, man sei in der gleichen Liga. Ist man aber nicht. Da muss man als Arbeitnehmervertreter besonders aufpassen. 

Die Machtprobe wegen Koch war damals eher eine Imagefrage. Wie viel konkrete Macht haben Sie im Aufsichtsrat?

Eine gleichberechtigte Mitbestimmung als Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat sehe ich nicht. Aber wir können politisch sicher einiges machen. Der Riesenvorteil ist, dass wir alle betriebswirtschaftlichen Zahlen sehen und auswerten können.

Wie war die Arbeitnehmerseite beteiligt beim Verkauf von Galeria Kaufhof 2015, was sich als ziemliche Hängepartie herausstellen sollte? Es gab ja sehr viele Interessenten, auch windige. Was konnte die Mitbestimmung dabei ausrichten?

Auch da war die Mitbestimmung sehr hilfreich. Wir bekamen Einsicht in die Angebote der Bieter. Und konnten mitdiskutieren, wer den Zuschlag bekommen sollte. Wir konnten uns einbringen, was das Beste wäre für das Unternehmen und die Belegschaften. Das ist Gold wert. 

Waren Sie mit dem Ergebnis zufrieden?

Wir haben einen tollen Vertrag abgeschlossen. Es gab keine betriebsbedingten Kündigungen, die Tariftreue wurde erhalten und vieles mehr. Es gab ein gutes Zusammenspiel zwischen mir und dem GBR-Vorsitzenden von Kaufhof, der mit im Aufsichtsrat der Metro AG saß. Wir haben vieles kritisch hinterfragt und wunderbar harmoniert. Da siehst du die Vorteile eines mitbestimmten Unternehmens! Wir konnten maßgeblich daran mitarbeiten, dass der Übergang so glücklich verlaufen ist. 

Weniger gut läuft es mit dem Flächentarif im Einzelhandel. Nur 36 Prozent der Unternehmen akzeptieren ihn noch. Hat er eine Zukunft?

Aus meiner Sicht gibt es nichts Besseres für die über drei Millionen Beschäftigten im Einzelhandel als einen Tarifvertrag, den die Regierung für allgemeinverbindlich erklärt. Er muss dann allerdings auch von allen eingehalten werden. Wir können es nicht richten. Da muss die Politik ran! 

Zur Person: Der weiß, wohin er gehört

 Werner Klockhaus, 55, gibt sich beim Gespräch in der Düsseldorfer Konzernzentrale vor einer Metro-Markt-Tapete extra bodenständig. „Dass inzwischen im Aufsichtsrat auch mal eine flapsige Bemerkung geht, musste ich mir hart erarbeiten“, lacht der gelernte Einzelhandelskaufmann aus Duisburg, der seine Betriebsratslaufbahn vor 30 Jahren begann – erst bei Massa, dann bei Real, wo er heute seine Belegschaftsbasis hat. 

Klockhaus ist oberster Arbeitnehmervertreter im Konzern der Metro Group – „da muss man harmonisieren und führen können“, bestätigt er. Dazu kommt das Mandat im Aufsichtsrat der Metro AG, dessen Vize-Vorsitzender er inzwischen ist – ihm gegenüber die Anteilseignervertreter der Unternehmerfamilien Haniel, Schmidt-Ruthenbeck und Beisheim. Und Wirtschaftsprominenz wie Ann-Kristin Achleitner, Jürgen B. Steinemann und Jürgen Fitschen.

Werner Klockhaus kennt den Konzern wie wenige andere. Er ist dabei, wenn der Aufsichtsrat in Prag tagt, absolviert die Sitzungen in der Düsseldorfer Konzernzentrale, wo er ein Büro hat gleich neben dem neuen Aufsichtsratsvorsitzenden. Aber dann ist Klockhaus auch wieder in „seiner“ Duisburger Real-Filiale, wo die Kassiererin ihm zuruft, dass der Getränkeautomat kaputtgegangen ist. Genau das ist der Spagat, den er liebt und der ihn ausmacht. Da wisse er, wo er herkommt und wo er hingehört – auch nach 14 Jahren im Kontrollgremium der Metro AG, sagt Klockhaus.

Die Metro Group ist in 29 Ländern an über 2000 Standorten präsent. Sie hatte 2015 weltweit 223 000 Beschäftigte (Deutschland: 84 000). Zu ihr gehören die Real SB-Warenhäuser, Metro/Makro Cash&Carry, Media Markt und Saturn. Die Galeria Kaufhof verkaufte der Konzern 2015. Mitte 2017 spaltet sich die AG in eine Großhandel-/Lebensmittel-Sparte und eine Consumer-Electronics-Gruppe auf.

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