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Magazin Mitbestimmung

Industrie 4.0: Mit Beteiligung zum Erfolg

Ausgabe 03/2016

Die Digitalisierung und Vernetzung der Produktion kann kleinen und mittelständischen Unternehmen helfen, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Doch dafür müssen sie die Beschäftigten an der Einführung der neuen Technologie von Beginn an beteiligen. Von Andreas Kraft

Seit 1850 stellt die Firma Heusch in Aachen Schermesser für die Textilindustrie her. Mit dem handwerklichen Geschick der Beschäftigten hat es das Unternehmen, das bis heute in Familienbesitz ist, geschafft Weltmarktführer zu werden. „Natürlich sind wir viel teurer als die Konkurrenz aus Übersee“, sagt Geschäftsführer Hanns Peter Spaniol. „Das Rennen um den niedrigsten Preis könnten wir nie gewinnen. Wir können uns nur behaupten, weil wir die besten Messer machen.“

Doch dafür müssen die 66 Mitarbeiter und sechs Auszubildenden stetig an ihrer Arbeit feilen. Ihr Chef hat in dem Traditionsunternehmen kürzlich die vierte industrielle Revolution ausgerufen, um sie dabei zu unterstützten - mit einer Datenbrille. Sie blendet ein CAD-Modell des Messers ein. Die Beschäftigten bekommen so angezeigt, ob ihre Bleche so millimetergenau auf den Zylinder gebogen sind, dass das rollenförmige Messer etwa die Fasern eines Teppichs auch sauber auf eine Länge schneidet.

Die Beschäftigten hat Spaniol schon früh in die Entwicklung einbezogen. „Man muss die Beschäftigten mitnehmen“, sagt er. „Dann kann man sie auch dafür begeistern.“ Schließlich hilft es den Beschäftigten dabei, noch bessere Qualität abzuliefern und so langfristig ihren Arbeitsplatz zu sichern. Mit Blick auf den Datenschutz ist er auch froh, einen Betriebsrat im Unternehmen zu haben. Der kontrolliert genau, was mit den über die Brille gesammelten Daten passiert und kann den Beschäftigten so die Angst nehmen, überwacht zu werden. Spaniols Fazit: „Ohne eine entsprechende Unternehmenskultur bekommt man das nicht hin.“

Beim dritten Workshop von acatech und Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf zur Zukunft der Industriearbeit wurde so auch deutlich: Gegenseitiges Vertrauen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern scheint in der Industrie 4.0 noch wichtiger zu werden. Alle Teilnehmer waren sich entsprechend einig, dass die Beschäftigten an den Entscheidungen so früh wie möglich beteiligt werden müssen. Nur dann kann die Vernetzung der Produktion die Effizienz wirklich steigern und auch zum Erfolg werden.

Das bestätigt auch Yves-Simon Gloy von der RWTH Aachen. Der Maschinenbau-Professor erforscht in einem interdisziplinären Projekt die Möglichkeiten von Assistenzsystemen, um so dem demographischen Wandel und älter werdenden Belegschaften gerecht zu werden. Die Soziologen in seinem Team gehen dazu in Betriebe und befragen die Beschäftigten. Darauf bauen die Ingenieure dann ihre Assistenzsysteme auf, die anschließend von den Beschäftigten im Betrieb auf ihre Praxistauglichkeit getestet werden. „Nur wenn man die Arbeitnehmer fragt, bekommt man letztlich die Informationen, die zum Erfolg führen“, fasst er seine Erfahrungen zusammen.

Das passt zu den Erfahrungen der IG Metall. Die Gewerkschaft setzt sich dafür ein, dass die Beschäftigten in die konkrete Gestaltung von Industrie 4.0 eingebunden werden. „Wir wollen die Chancen der Digitalisierung nutzten“, sagt Knut Giesler, der NRW-Bezirksleiter der IG Metall. „Für eine neue Humanisierung der Arbeit.“ Damit das auch in kleinen und mittelständischen Betrieben gelingt, erstellt die Gewerkschaft derzeit eine Betriebslandkarte mit Beispielen vernetzter Produktion von Mittelständlern. Derzeit denkt die IG Metall auch über neue Arbeitszeitmodelle nach, da bisherige Regelungen von der technischen Entwicklung überrollt werden. „Nicht nur die Betrieben wünschen sich da mehr Flexibilität“, sagt Giesler. „Sondern auch die Beschäftigten.“ Nun gelte es auch mit Hilfe der Tarifpolitik Lösungen zu entwickeln, die trotz mobilen Arbeitens einen Feierabend ermöglichen und den Stress eher reduzieren, anstatt ihn stetig anwachsen zu lassen.

Kleinen und mittleren Unternehmen empfiehlt Unternehmensberater Jürgen Bischoff von agiplan, sich auf ihre Kernkompetenzen zu konzentrieren und zu prüfen wie vernetzte Technologie ihre Produktion oder ihre Logistik verbessern kann. Eine große Strategie die in weiter Ferne liege, sei kein gangbarer Weg. Mit ihren kurzen Entscheidungswegen könnten gerade kleinere Firmen so ihre Wettbewerbsfähigkeit zielsicher steigern. Für ihn ist dabei ganz klar: Die Erfolgsfaktoren sind eine entsprechende Unternehmenskultur und der Wille zur Innovation. Beides dürfte ohne die Beschäftigten nicht gehen.

Günther Schuh, Professor für Produktionssystematik an der RWTH Aachen, der die Diskussion als acatech Präsidiumsmitglied und Projektleiter moderierte, wirbt dafür, die Einführung der neuen Technik gemeinsam anzupacken. „Die Ängste und Unsicherheiten sind bei den Arbeitgebern genau so groß wie bei den Arbeitnehmern“, sagt er. „Wir müssen jetzt einfach loslaufen. Wenn wir alle beteiligen, werden wir sicher keine Fehler machen, die sich im Nachhinein nicht wieder beheben lassen.“ Auch Michael Guggemos, Sprecher der Geschäftsführung der Hans-Böckler-Stiftung, plädiert dafür, die Herausforderungen und Chancen von Industrie 4.0 anzunehmen. Er merkt aber auch kritisch an, dass die neue Technologie ihr Wohlstandsversprechen dann auch einlösen müsse. Das könnte tatsächlich gelingen - vor allem wenn die Mittelständler die neuen Technologien nutzen, um drängende Probleme zu lösen.

So wie das 50-Mitarbeiter starke Unternehmen mkPlast aus Monschau in der Eifel. Der Folienhersteller hat kürzlich 20 verschiedene Software-Lösungen in einem einzigen Programm zusammengefasst. Geschäftsführer Bernhard Dickmann hat zusammen mit seinen Mitarbeitern klare Ziele formuliert und die passenden Programmierer gefunden, die eine entsprechende Datenbank aufgesetzt haben. „Weil alle von Anfang an der neuen Technik mitentwickelt haben, mussten wir auch niemanden nach der Einführung speziell schulen“, sagt er. „Aber es braucht Mut und Risikofreude. Dann lohnt es sich am Ende.“ Heute seien seine Mitarbeiter deutlich zufriedener, weil sie sich auf den Kern ihrer Arbeit konzentrieren können, während die Software im Hintergrund für Ordnung sorgt. Und auch er sei glücklicher, weil es gelungen sei, die nervigen Sätze „Wir suchen“ und „Wir haben vergessen“ aus dem Betrieb zu verbannen.

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