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Magazin Mitbestimmung

Onsite-Werkverträge: Eine neue Wertschöpfungskette?

Ausgabe 07/2015

Mit einer repräsentativen Managerbefragung und zwölf Fallstudien erhellt ein Forscherteam, gefördert von der Hans-Böckler-Stiftung, Umfang und Umgang mit Werkverträgen in der verarbeitenden Industrie und im Einzelhandel. Wir befragten sie zu ihren Befunden. Von Markus Hertwig, TU Chemnitz; Johannes Kirsch, Universität Duisburg-Essen/IAQ, und Carsten Wirth, Hochschule Darmstadt

Warum liegen Werkverträge im Trend?

Dass die Zahl der Werkvertragsarbeitskräfte zunimmt, wird gemeinhin angenommen, gesicherte Daten zu bekommen ist allerdings schwierig. Die Annahme eines Trends gründet meist auf unsystematischen Beobachtungen oder Berichten. In unserer Befragung, die zum ersten Mal für das verarbeitende Gewerbe und den Einzelhandel repräsentative Daten liefert, haben wir Hinweise sowohl für eine Ausweitung als auch für Rücknahmen gefunden: 30 Prozent der Betriebe aus beiden Branchen gaben an, Werkverträge als Ersatz für Leiharbeit zu nutzen. Und dies ist nur die Untergrenze, weil man hier sozial erwünschtes Antwortverhalten vermuten muss. Die Vermutung einer Zunahme von Werkverträgen kann weiterhin mit dem radikalen Umbau der zwischenbetrieblichen Arbeitsteilung begründet werden, der in den letzten Jahren in einigen Branchen zu beobachten war; das Outsourcing von Ingenieurdienstleistungen ist hierfür ein markantes Beispiel. Auch berichten immer mehr Betriebsräte vom Einsatz von Werkvertragsarbeitskräften in ihrem Betrieb. In unseren Interviews mit Betriebsräten zeigte sich allerdings, dass viele gerade erst beginnen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Möglicherweise ist es so, dass nicht die Zahl der Werkverträge bzw. Werkvertragsarbeitskräfte gewachsen ist, sondern die Sensibilität der Akteure für dieses Thema. In bestimmten Branchen ist auch eine Abkehr von Werkvertragspraktiken anzutreffen. So gibt es Einzelhandelsketten, die tarifvertragliche Konzessionen – konkret eine neue, besonders niedrige Entgeltstufe für Regalauffüllarbeiten – nutzen, um zuvor fremdvergebene Leistungen wieder einzugliedern. Insgesamt zeigt sich, dass das Feld sehr dynamisch ist: Was heute in einem Unternehmen selbst erstellt wird, kann morgen per Werkvertrag outgesourct werden – und umgekehrt.

Gibt es Unterschiede zwischen Branchen ?

Ja, es gibt sehr große Unterschiede. Unsere Befragungsdaten zeigen zweierlei: Im verarbeitenden Gewerbe werden Werkverträge – auch in der spezifischen Form des Onsite-Werkvertrags – viel häufiger genutzt als im Einzelhandel. Dies liegt vor allem an den Branchenstrukturen, denn jenseits der führenden Einzelhandelskonzerne besteht der Großteil der Branche aus Kleinstbetrieben, die Werkverträge nicht sinnvoll nutzen können. Werkvertragsnutzer sind in beiden Branchen vor allem Großbetriebe, die in der Privatwirtschaft die Kernbereiche von Mitbestimmung und Tarifbindung darstellen. Zu weiteren Branchen fehlen repräsentative Daten.

Ist Werkvertragsarbeit für die Auftraggeber tatsächlich billiger?

In vielen Fällen gelingt den Unternehmen durch die Nutzung von Tarifverträgen mit Nicht-DGB-Organisationen, deren Bedingungen deutlich schlechter sind als die Branchentarifverträge, eine Kostensenkung – zum Beispiel der Tarifvertrag Instore-Logistik statt des ver.di-Einzelhandelstarifvertrags. In unregulierten Bereichen lässt sich zudem der Arbeitsdruck leichter verschärfen. Allerdings – so zeigen unsere Fallstudien – erfassen die etablierten Kostenrechnungssysteme die Kosten der Onsite-Werkverträge nicht adäquat, da sie die Koordinations- bzw. Transaktionskosten vernachlässigen, strategische Aspekte (etwa die Möglichkeit, mit der Dienstleistung selbst am Markt aufzutreten) nicht berücksichtigen und insgesamt die letztlich unkalkulierbaren Risiken ausblenden, die mit Onsite-Werkverträgen einhergehen. So mussten Werkunternehmen Insolvenz anmelden, weil die Finanzkontrolle Schwarzarbeit Scheinwerkverträge, Schwarzarbeit und Sozialversicherungsbetrug feststellte. Dies war besonders problematisch, wenn die Werkunternehmen mit sensiblen oder strategisch relevanten Aufgaben wie der Kommissionierung von verderblichen Waren beauftragt waren. Lohnbetrug und darauf folgende Arbeitsniederlegungen, Sabotage von Arbeitsmitteln und andere Formen des Widerstandes von Werkvertragsarbeitskräften sind in unregulierten Bereichen der Volkswirtschaft übliche Phänomene. In anderen Fällen gerieten die Werkbesteller in eine kostenträchtige Abhängigkeit von Werkunternehmen, weil sie durch die Fremdvergabe Kompetenzen einbüßten.

Lässt sich der oft behauptete Zusammenhang mit der Regulierung der Leiharbeit empirisch erhärten? 

Auch wenn allgemein akzeptierte Begründungen – etwa Konzentration auf das Kerngeschäft – unter den Antworten dominierten, gaben immerhin 30 Prozent der befragten Manager von Betrieben mit Onsite-Werkverträgen an, dass sie die verteuerte Leiharbeit durch Onsite-Werkverträge absichtsvoll substituieren. Unsere Fallstudien zeigen darüber hinaus, dass Leiharbeit ein schlechtes Image beim Management hat und deshalb reduziert wird. Die Arbeitsproduktivität von Leiharbeitern bleibt – insbesondere bei formal gering qualifizierten, aber körperlich anspruchsvollen Tätigkeiten – hinter den Erwartungen zurück, sodass die Betriebe Onsite-Werkverträge präferieren, die überwiegend mit ausländischen Werkvertragsarbeitskräften abgearbeitet werden.

Was wissen wir über den gewerkschaftlichen Organisationsgrad von Werkvertragsarbeitnehmern?

Gesichertes Wissen gibt es hierzu nicht. In unseren Fallstudien ist der gewerkschaftliche Organisationsgrad der Werkvertragsarbeitskräfte nahe null. Vor allem gilt dies bei Werkvertragsarbeitskräften, die aus dem Ausland zum Arbeiten nach Deutschland kommen und in ihren Herkunftsländern ihren Lebensmittelpunkt behalten, zu dem sie in unregelmäßigen Abständen zeitweise zurückkehren. Hinzu kommt: In Werkunternehmen gibt es kaum Betriebsräte, und nur wenige Betriebsräte bei den Werkbestellern fühlen sich für die Werkvertragsarbeitskräfte zuständig.

Werden Stammbeschäftigte zunehmend ersetzt?

Man weiß, dass in einigen Betrieben Stammbeschäftigte durch Werkvertragsarbeitskräfte ersetzt worden sind. In welchem Ausmaß dies insgesamt geschieht, ist bislang Spekulation. Unsere Fallstudien zeigen, dass Onsite-Werkverträge schon seit Längerem verbreitet sind, aber jetzt erst problematisiert werden. 

Gibt es „gute Arbeit“ auf Werkvertragsbasis?

„Werkvertrag“ als rechtliche Kategorie sagt nichts aus über die damit verbundene Qualität der Arbeit. Faktisch wird die Entscheidung zur Werkvertragsvergabe – zumindest in der Form des Onsite-Werkvertrags – aber in sehr vielen Fällen aus Kostensenkungsmotiven und zur Steigerung der Flexibilität gefällt. Deshalb ist das Entlohnungsniveau in Werkunternehmen im Durchschnitt niedriger und die Flexibilitätslasten der Werkvertragsarbeitskräfte sind höher als bei den Stammbeschäftigten. Damit korrespondierend unterliegt der größte Teil der Werkunternehmer entweder überhaupt keinem Tarifvertrag, oder es gelten tarifliche Bestimmungen, die deutlich ungünstiger sind als diejenigen des Werkbestellers. Gleichwohl gibt es auch Beispiele „guter Arbeit“ in Werkunternehmen. Diese sind umso wahrscheinlicher anzutreffen, je stärker die per Werkvertrag eingekauften Leistungen an spezifische und am Arbeitsmarkt eher knappe Qualifikationen und Kompetenzen gebunden sind. Häufig werden jedoch Werkvertragsarbeitskräfte in besonders belastenden Arbeitsbereichen eingesetzt.

Was ist ein Scheinwerkvertrag? 

Gegenstand eines Werkvertrags ist immer ein bestimmtes Ergebnis; wie es erreicht wird, fällt in den Verantwortungsbereich des Werkunternehmers. Nimmt der Werkbesteller hierauf Einfluss, könnte die betreffende Praxis rechtlich als (illegale) Arbeitnehmerüberlassung, also als Scheinwerkvertrag einzuordnen sein. Dies birgt ein erhebliches Sanktionsrisiko. Bei entsprechendem Verdacht nimmt die Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls – und anschließend eventuell ein Gericht – anhand der folgenden Kriterien eine Einzelfallprüfung vor: 

- Wurde ein qualitativ individualisierbares und dem Werkunternehmer zurechenbares Werkergebnis vereinbart und erstellt?

- Besitzt der Werkunternehmer die volle unternehmerische Dispositionsfreiheit? 

- Hat der Werkunternehmer gegenüber seinen im Betrieb des Werkbestellers tätigen Arbeitnehmern Weisungsrecht, und sind diese nicht in die Arbeitsabläufe oder Produktionsprozesse des Bestellers eingegliedert? 

- Trägt der Werkunternehmer das Unternehmerrisiko, insbesondere das der Gewährleistung? 

- Wird die Werkleistung erfolgsorientiert und in der Regel nicht nach Zeiteinheiten abgerechnet

Verändern Werkverträge die Gestalt eines Betriebs und die Branchenstrukturen?

Durch Onsite-Werkverträge kommt es zu einem grundlegenden Wandel der Betriebs- und Branchenstrukturen: Bislang relativ einheitliche Betriebe lösen sich nun auch in den Bereichen auf, in denen Mitbestimmung und Tarifverträge bislang wirksam gegriffen haben, und zerfallen in ein Konglomerat von Betrieben, die unterschiedlichen Unternehmen und auch Branchen angehören. In der Folge entstehen „englische Verhältnisse“: In einer räumlichen Einheit sind – wenn überhaupt – unterschiedliche Betriebsräte und Gewerkschaften aktiv. Es gelten unterschiedliche, meist von verschiedenen Gewerkschaften abgeschlossene Tarifverträge, die eine Unterschiedlichkeit der Arbeitsbedingungen hervorbringen. Zugleich signalisiert der Einsatz von Werkunternehmen Substituierbarkeit der Beschäftigten des Werkbestellers. Diese Beschäftigten und ihre Interessenvertreter geraten in der Folge durch die schlechteren Arbeitsbedingungen der Werkunternehmen, deren Stückkostendegressionsvorteile oder auch Kompetenzvorsprünge, unter Druck. Es konstituieren sich aber auch neue Branchen (zum Beispiel industrienahe Dienstleistungen), die häufig erst noch in das Tarifvertragssystem integriert werden müssen.

Was unterscheidet Werkvertragsarbeitnehmer von Stammbeschäftigten? 

Auch wenn bei Onsite-Werkverträgen die Beschäftigten des Werkunternehmers auf dem Betriebsgelände des Werkbestellers arbeiten und Leistungen erbringen, die mit dessen betrieblichen Abläufen oft eng verzahnt sind, gehören sie doch zu einem eigenen Betrieb mit getrennten Organisationsstrukturen und -kulturen, einer separaten Interessenvertretung – wenn überhaupt – und in der Regel schlechteren Beschäftigungsbedingungen. Außer in den – eher seltenen – Fällen, in denen per Werkvertrag spezifische, hoch qualifizierte Leistungen eingekauft werden, können Werkvertragsbeschäftigte insgesamt als benachteiligt gegenüber der Stammbelegschaft gelten. Von daher sind es Personen mit eher schlechten Zugangsvoraussetzungen in die Kernsegmente des deutschen Arbeitsmarkts – wie formal gering Qualifizierte, zuvor (Langzeit-) Arbeitslose oder Zuwanderer ohne anerkannten Berufsabschluss –, die von Werkunternehmern rekrutiert werden.

Was können Betriebsräte tun? 

Wir haben auf Basis unserer Studie das Verhalten und auch die Sichtweisen von Betriebsräten analysiert und dabei vier Typen des Betriebsratshandelns in Bezug auf Onsite-Werkverträge festgestellt: Beim ersten Typ gehen Betriebsrat und Geschäftsleitung einen Wettbewerbspakt ein. Der Betriebsrat akzeptiert Werkverträge, um die Stammbelegschaft zu schützen. Beim zweiten Typus akzeptieren die Betriebsräte zwar Werkverträge, stellen aber mindestens zwei Bedingungen: Sie dürfen bei der Ausgestaltung der Werkvertragspraktiken mitreden, und die Werkvertragsarbeitskräfte werden nicht allzu schlecht entlohnt und behandelt. Andere Betriebsräte, der dritte Typus, zeigen eine grundsätzliche Ablehnung von Werkverträgen. Sie sind aber hochgradig verunsichert. Für viele, auch große und professionelle Betriebsräte, ist das Thema noch neu. Ein vierter Betriebsratstyp lehnt Onsite-Werkverträge mit dem Hinweis auf die schlechteren Arbeitsbedingungen rundherum ab und bekämpft sie mit allen zur Verfügung stehenden Machtmitteln. Diese Betriebsräte nutzen alles, um sich gegenüber der Geschäftsleitung Einfluss zu verschaffen, der ihnen durch das Betriebsverfassungsgesetz bei Onsite-Werkverträgen bislang verwehrt ist. Gewerkschaften können die Betriebsräte dabei etwa über die Vermittlung von Know-how und Expertise oder durch handfeste Unterstützung auf Betriebsversammlungen stärken. Letztendlich bleibt vor allem der Gesetzgeber gefordert, neue Regeln zu entwickeln, damit Mitbestimmung und Tarifverträge gesichert werden können.

BÖCKLER-STUDIE: Onsite-Werkverträge in Deutschland

Gefördert von der Hans-Böckler-Stiftung, untersuchte ein Forscherteam der Universität Duisburg-Essen/IAQ, der Hochschule Darmstadt und der TU Chemnitz in dem Projekt „Praktiken der Onsite-Werkvertragsvergabe in Deutschland“ mittels einer repräsentativen Telefonbefragung und in zwölf Fallstudien, welche Verbreitung diese Form von Werkverträgen im verarbeitenden Gewerbe und im Einzelhandel hat, wie sie gemanagt werden und wie Mitbestimmungsträger Interessen der Beschäftigten aufgreifen. Unter Onsite-Werkverträgen verstehen die Autoren die spezifische Form des Werkvertrags, mit der Werkbesteller in ihren Räumen und betrieblichen Kernbereichen (also zum Beispiel in der Produktion eines Betriebs des verarbeitenden Gewerbes) relativ dauerhaft oder unbefristet Arbeiten durch Werkunternehmen ausführen lassen. Diese setzen hierfür eigene Beschäftigte – Werkvertragsarbeitskräfte – ein. Andere Formen, beispielsweise Werkverträge mit Solo-Selbstständigen, wurden nicht berücksichtigt.

Markus Hertwig/Johannes Kirsch/Carsten Wirth: PRAKTIKEN DER ONSITE-WERKVERTRAGSVERGABE IN DEUTSCHLAND. Die Forschungsergebnisse werden 2016 veröffentlicht.

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