Quelle: HBS
Magazin MitbestimmungRecht: Warum wir ein Gesetz brauchen
Betriebsräte, die den Missbrauch von Werkverträgen unterbinden wollen, sind auf sich allein gestellt. Im Koalitionsvertrag wurde versprochen, per Gesetz Abhilfe zu schaffen. Wann wird das Versprechen eingelöst? Von Gunnar Hinck und Jörn Boewe
Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles hat die Erwartungen der Gewerkschaften geweckt, als sie im vergangenen Jahr eine gesetzliche Regelung gegen den Missbrauch von Werkverträgen noch im Jahr 2015 ankündigte. Inzwischen äußert man sich im Ministerium zurückhaltender, was den Zeitplan angeht. Das Ministerium werde in diesem Jahr „eine Vorlage öffentlich machen“, sagt ein Sprecher. Über Details ist noch nichts bekannt. Der zuständige Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales tagte im Juni – in zwei nichtöffentlichen Sitzungen.
Hintergrund der Verzögerung dürften Differenzen innerhalb der Regierungsfraktionen sein. Der Wirtschaftsflügel von CDU/CSU, aber auch die Arbeitgeberverbände lehnen nach der Einführung des Mindestlohns weitere Regulierungen am Arbeitsmarkt ab. Das Ministerium hat deswegen weitere Branchendialoge mit Gewerkschaften und Arbeitgebern angesetzt, um erst einmal Kompromissmöglichkeiten auszuloten. Die Arbeitgeber lehnen die Beweislastumkehr als bürokratisch ab. Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer erklärte: „Wer glaubt, dass Missbrauch mit einem Werkvertrag vorliegt, kann dagegen vor Gericht ziehen. Ein neues Gesetz würde dagegen schon die Entstehung eines Werkvertrages behindern können.“
Dabei ist im Koalitionsvertrag bereits festgeschrieben worden, dass die Bundesregierung dem Missbrauch von Werkverträgen in dieser Legislaturperiode einen Riegel vorschieben will. „Rechtswidrige Vertragskonstruktionen bei Werkverträgen zulasten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern müssen verhindert werden“, heißt es dort. Wesentliche Regulierungspunkte sind, die Informationsrechte der Betriebsräte sowie die Abgrenzungskriterien zwischen „ordnungsgemäßem und missbräuchlichem Fremdpersonaleinsatz“ festzulegen.
GRAUZONE
Klare Kriterien für den Missbrauch festzulegen ist die zentrale Forderung des DGB. Bislang nutzen Unternehmen eine gesetzliche Grauzone aus: Sie lassen Werkvertragsnehmer bei sich arbeiten – entweder als Selbstständige oder als Beschäftigte eines Werkvertragsunternehmens –, die in Wahrheit in die organisatorischen Abläufe bei ihnen, also beim Auftraggeber, eingebunden sind. Zwar hat das Bundesarbeitsgericht bereits eine Grenze zwischen „echten“ und missbräuchlichen Werkverträgen gezogen. Allerdings verlangt es eine „Gesamtwürdigung“ aller Umstände des Einzelfalls und gibt den Unternehmen damit einen großen Spielraum – oft auf Kosten der Beschäftigten.
„Wichtig ist, dass Kriterien ins Gesetz kommen, die eine Arbeitnehmereigenschaft vermuten lassen“, sagt Helga Nielebock, Abteilungsleiterin Recht beim DGB-Bundesvorstand, und nennt: Weisungsgebundenheit gegenüber dem Auftraggeber, Tätigkeiten, die vorher Stammbeschäftigte erledigt haben, und das Nutzen von Geräten und Werkzeugen, die der Auftraggeber stellt. Würde man lediglich formale Merkmale festschreiben, die ein Werkvertrag erfüllen muss, bliebe das Risiko bestehen, dass Unternehmen weiterhin versucht sein könnten, Schlupflöcher zu finden.
Unverzichtbar für die Gewerkschaften ist auch eine Beweislastumkehr: Wenn ein Werkvertragsnehmer anhand eines vorher definierten Kriterienkatalogs glaubwürdig darlegt, dass er seine Arbeit nicht selbstständig erledigt, würde dies ausreichen, um vor Gericht einen Fall von Arbeitnehmerüberlassung und damit einen Scheinwerkvertrag festzustellen – es sei denn, der Arbeitgeber kann das Gegenteil beweisen. Das Problem ist: Die Beweislastumkehr steht wegen des Widerstands der CDU/CSU-Fraktion nicht im Koalitionsvertrag.
„Der Koalitionsvertrag reicht uns nicht“, sagt deswegen die Rechtsexpertin Helga Nielebock. „Der Arbeitnehmer ist der schwächere Vertragspartner. Durch eine Beweislastumkehr würde er gestärkt. Für ihn sind die Abläufe zwischen seinem Werkvertragsunternehmen und dem Auftraggeber oft nicht durchschaubar.“ Den Widerstand der Arbeitgeberseite kann sie nicht nachvollziehen: „Die Beweislastumkehr würde den Arbeitgebern überhaupt nicht wehtun, solange die Werkvertragsnehmer korrekt beschäftigt sind.“
Ebenso wichtig sind dem DGB wirkliche Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates und damit die Möglichkeit, Werkverträgen die Zustimmung zu verweigern, wenn die Interessen der Stammbelegschaft berührt sind. Jetzt geht es dem Bundesvorstand erst einmal darum, dass die Ziele des Koalitionsvertrags umgesetzt werden.
DIE FÄLLE
Fall 1: Bertelsmann-Tiefdruckerei Prinovis, Ahrensburg
In der Bertelsmann-Tiefdruckerei Prinovis in Ahrensburg arbeiten rund 300 Beschäftigte im Drei-Schicht-Betrieb. Von der Branchenkrise ist wenig zu spüren. „Die Auftragsbücher sind voll“, sagt Betriebsrat und ver.di-Mitglied Jörn Burmeister. Doch nur ein Teil der Belegschaft profitiert davon. Gut 40 Kollegen wurden von der Geschäftsleitung in die Prinovis-Service-Gesellschaft ausgelagert. Anstatt des Tariflohns von 18,93 Euro wie ihre Kollegen bekommen sie 13,76 Euro plus eine kleine Zulage. Und sie arbeiten zwei Stunden pro Woche länger. Außerdem wird ein Teil der Produktion durch Leiharbeiter besorgt. Sie tragen ein schwarzes T-Shirt der Firma Tabel. Sie kommen auf gut 15 Euro die Stunde. Doch die meisten Sorgen macht dem Betriebsrat eine dritte Gruppe von Beschäftigten, die ebenfalls schwarze Tabel-T-Shirts tragen, aber über einen Werkvertrag beschäftigt sind. Prinovis hat eine der Druckanlagen an Tabel vermietet – vertraglich vereinbart ist nur ein Output, für Arbeitslohn und Arbeitsbedingungen ist der Dienstleister zuständig. Hier liegt der Lohn rund 30 Prozent unter dem Tarif. Für den Betriebsrat stellt nicht nur die ungleiche Bezahlung ein Problem dar. Auch bei der Urlaubsplanung gibt es immer wieder Unstimmigkeiten. Ein weiteres Problem sind die Arbeitszeiten. Anders als beim Rest der Belegschaft gibt es bei Tabel kein transparentes Schichtsystem, die Kollegen arbeiten mehr oder weniger auf Abruf. Doch er kann für die Werkvertragsleute kaum mehr tun, als sich ihre Probleme anzuhören, und muss dazu noch um Erlaubnis fragen. „Um mit ihnen zu reden, muss ich mich beim Vorarbeiter anmelden.“ Für Burmeister führt daher kein Weg an einer gesetzlichen Regulierung vorbei: „Die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats müssen auf alle Beschäftigten im Betrieb ausgedehnt werden.“
Fall 2: Zentral- und Landesbibliothek, Berlin
„Wenn der Vertrag sorgfältig formuliert ist, haben wir sehr wenig Handhabe“, sagt Lothar Brendel, Personalratsvorsitzender der Berliner Zentral- und Landesbibliothek (ZLB), und zeigt auf einen dicken Papierstapel vor sich. Auf der ersten Seite steht: „Vertrag über die Betreuung von Bibliotheksbeständen in der Amerika-Gedenk-Bibliothek“. Details aus dem Inhalt darf Brendel nicht nennen: Die ZLB-Leitung hat ihn zur Geheimhaltung verpflichtet. Der Einstelldienst ist in einer Bibliothek für das Ordnen und Einsortieren der Medien verantwortlich. Im Tarifvertrag der Länder ist die Tätigkeit in den unteren Entgeltgruppen angesiedelt. Im Juni 2014 hat das Management begonnen, einen Teil des Einstelldienstes an ein externes Unternehmen zu vergeben. Die Maßnahme diene der „Entlastung der eigenen Mitarbeiter“ und der Verbesserung der Wirtschaftlichkeit, hieß es zur Begründung. Für den Personalrat ist es der Versuch, den Tarif zu unterlaufen. „Durch Outsourcing dieser Kernaufgaben sparen zu wollen, halten wir für inakzeptabel“, so Brendel. Die nun zuständige Firma Bibliotheca beschäftigt zu schlechteren Bedingungen und zahlt nur den Mindestlohn. Dies soll rechtlich zulässig sein, wenn keine Integration der Fremdfirmenbeschäftigten in die Dienststelle erfolgt. Deshalb wurde den Bibliotheca-Beschäftigten verboten, mit den ZLB-Kollegen über ihre Arbeit zu sprechen. Die arbeitsbezogene Kommunikation darf nur über einen Vorarbeiter laufen. Für die Bibliotheca-Beschäftigten wurde ein eigener Pausenraum angemietet. Brendels Problem: Er kann wenig tun. „Wir brauchten starke Beteiligungsrechte, um einen Missbrauch von Werk- und Dienstverträgen zu verhindern“, so Brendel. Erst auf Nachfrage erhielt er den Vertrag mit Bibliotheca. Er macht sich wenig Hoffnung, dass man die Sache juristisch anfechten kann: „Das muss politisch ausgekämpft werden.“ Für Brendel ist es „ein Unding, dass sich ausgerechnet eine SPD-geführte Kulturverwaltung zum Vorreiter von Tarifflucht und Lohndumping macht“.
Fall 3: Trinks GmbH, Großbeeren
Der Getränkegroßhändler Trinks beschäftigt rund 1400 Mitarbeiter bundesweit, 230 davon in Großbeeren bei Berlin. Die Firma, die zu gleichen Teilen Nestlé, Bitburger, Krombacher und Warsteiner gehört, hat einen Tarifvertrag mit der NGG geschlossen. Der Betrieb in Großbeeren liefert Bier und Erfrischungsgetränke an die Berliner Supermärkte – hauptsächlich in Mehrwegflaschen, die später wieder ihren Weg zurück nach Großbeeren finden. „Das sind 100 000 Kästen am Tag“, sagt Betriebsratsvorsitzender Volkmar Berthold. Das alles muss sortiert werden – es müssen die richtigen Flaschen in die richtigen Kästen. Kein Job, den man gerne auf Dauer macht. „Wir haben einfach nicht genug Leute auf dem Arbeitsmarkt dafür gefunden“, sagt Berthold. Deshalb vergab Trinks die Kastensortierung vor einigen Jahren an einen externen Dienstleister – per Werkvertrag. Vor allem Osteuropäer arbeiten hier, bezahlt nach Zeitarbeitstarifvertrag, dessen unterste Lohngruppe seit April bei 8,20 Euro liegt, dazu kommt ein Leistungszuschlag, sodass sie „deutlich über 8,50 Euro“ kommen. „Wir versuchen, die Sache vernünftig zu gestalten“, sagt Berthold. „So haben wir uns dafür eingesetzt, dass die Kollegen anständige Umkleide- und Sozialräume bekommen.“ Auch überprüft er die Dokumente zu Arbeitsschutzbelehrungen für die Werkvertragsbeschäftigten. Bei den Belehrungen selbst ist der Betriebsrat nicht dabei. Da es eine hohe Fluktuation bei den Werkvertragsbeschäftigten gibt, hat sich der Arbeitgeber verpflichtet, wöchentlich Namenslisten vorzulegen. „Wir müssen schließlich wissen, wer hier auf dem Betriebsgelände arbeitet.“ Von der geplanten Gesetzesnovelle des Arbeitsministeriums wünscht sich Berthold grundsätzlich eine Ausweitung der Mitbestimmungsrechte bei der Werkvertragsvergabe. „Arbeitgeber müssen verpflichtet werden, vor Fremdvergaben den Betriebsrat zu informieren. Und am besten“, fügt er hinzu, „sollte man sie verpflichten, gleich noch eine Wirtschaftlichkeitsberechnung mitzuliefern.“
Fall 4: Rockwood Lithium, Langelsheim
Rockwood Lithium ist der internationale Marktführer für das Leichtmetall Lithium. In Langelsheim am Harz produziert der Konzern unter anderem chemische Metallverbindungen, wie sie für Batterien oder medizinische Geräte hergestellt werden. Auf dem Gelände gibt es eigene Betriebshandwerker wie Tischler, Schlosser und Elektriker – Gewerke, die viele andere Industrieunternehmen längst ausgelagert haben. Eine Betriebsvereinbarung verpflichtet den Arbeitgeber, vor einem Outsourcing gegenüber dem Betriebsrat die Wirtschaftlichkeit darzulegen. Allerdings gilt dies nicht für die Vergabe einzelner Aufträge. Hier tut sich eine Lücke für Werkverträge auf. „Ein schleichender Prozess“, meint Betriebsratsvorsitzender Michael Bachmann und gibt ein Beispiel: „Wir haben sehr gute Elektriker in der Firma. Doch um kein neues Personal einstellen zu müssen, wurden die einfacheren Tätigkeiten fremdvergeben. Das sind Jobs, die unsere Leute auch nicht so gerne machen – lange Strippen ziehen zum Beispiel. Jetzt haben wir dauerhaft bis zu einem Dutzend Elektriker eines externen Dienstleisters bei uns auf dem Gelände.“ Immer mehr Aufgaben werden als Werkvertrag vergeben. „Der Betriebsrat bekommt das erst mit, wenn hier neue Leute unterwegs sind“, meint Bachmann. Die Werkverträge sind keine Personalangelegenheit, sondern werden über den Einkauf abgeschlossen. Um sich schlauzumachen, ließ sich der Betriebsrat gemeinsam mit Unternehmensvertretern durch die IG BCE zum Thema schulen – und forderte offensiv Rechte ein. „Mittlerweile bekommen wir die Listen, wenn ein neuer Werkvertrag anläuft.“ Das ist mehr, als in den meisten Unternehmen üblich ist. Doch das Grundproblem ist aus Bachmanns Sicht keineswegs gelöst. Was eine gesetzliche Neuregelung angeht, hat Bachmann eine klare Meinung: „Betriebsräte müssen ein Zustimmungsverweigerungsrecht bei Fremdvergaben bekommen“, meint der Betriebsratsvorsitzende, „genau wie beim Einsatz von Leiharbeitern.“