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HBS Böckler Impuls

Arbeitsbedingungen: Jobcenter: Stress durch Zielvereinbarungen

Ausgabe 11/2015

Mitarbeiter in Jobcentern sind deutlich gestresster als andere Beschäftigte. Das hängt auch mit den Steuerungsformen in der Arbeitsverwaltung zusammen – die eigentlich als modern gelten.

Erklärtes Ziel der Hartz-Reformen war es nicht nur, Arbeitslose stärker zu fördern und zu fordern, sondern auch, die Arbeitsämter effizienter zu machen: Aus einer „zentralistischen Bürokratie“ sollte eine flexible, kundenorientierte Dienstleistungseinrichtung werden, schreiben Wenzel Matiaske, Michael Olejniczak, Dirk Salmon und Mandy Schult. Die Wirtschaftswissenschaftler von der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg haben analysiert, wie sich die damals eingeführten Instrumente der Mitarbeiterführung auf die Beschäftigten in Jobcentern auswirken, und stellen fest: Die neuen Steuerungsformen erhöhen den Stress.

Die Reform der Arbeitsverwaltung orientierte sich laut Matiaske und seinen Koautoren am sogenannten „New Public Management“. Ein wichtiges Prinzip entsprechender Konzepte bestehe darin, Handlungs- durch Ergebniskontrolle zu ersetzen, indem Entscheidungskompetenzen in der Hierarchie nach unten delegiert und mit Zielvereinbarungen sowie Erfolgskontrollen verbunden werden. Ganz in diesem Sinne habe die Regierung Schröder das Führen über Ziele im Sozialgesetzbuch II verankert. Die Arbeitsleistung der Jobcenter-Beschäftigten werde seitdem anhand von Kennzahlen wie beispielsweise der Summe der Beratungsgespräche bewertet.

Das Problem: Die Vorgaben würden den individuellen Problemen der Arbeitslosen kaum gerecht, so die Forscher. Die einseitige Ausrichtung des Controllings führe dazu, dass sich die Vermittler bevorzugt um leicht vermittelbare Jobsuchende kümmern, um so ihre Zielmarken zu erfüllen. Langzeitarbeitslose, die Unterstützung wesentlicher nötiger hätten, gingen dagegen oft leer aus. Studien zufolge werde die vom Controlling diagnostizierte Effizienz von den Beschäftigten als sinnloses Scheinbild wahrgenommen.

Dabei sei die Tätigkeit in Jobcentern ohnehin emotional ausgesprochen belastend. Als Bewältigungsstrategie bleibe den Vermittlern oft nur der Rückzug auf Gesetze, Weisungen und Pflichterfüllung. Das wiederum komme bei den Betreuten negativ an und könne aggressive Reaktionen provozieren. Wer bei der Arbeit Zuwendung und Offenheit zeigt, wecke dagegen Erwartungen, die oft nicht erfüllbar sind. Die Folge: emotionale Belastung auf der einen, Frust auf der anderen Seite. Die Wissenschaftler vermuten, dass die Rezepte des „New Public Management“ diese Probleme verschärfen, da die enge Orientierung an Kennzahlen den Handlungsspielraum der Mitarbeiter und damit die Möglichkeiten der Stressbewältigung zusätzlich einschränkt.

Zur Überprüfung ihrer Vermutung haben die Ökonomen eine bundesweite Online-Befragung durchgeführt, an der sich 4.500 Jobcenter-Beschäftigte beteiligt haben. Zudem hatten sie Gelegenheit, 190 Mitarbeiter eines ostdeutschen Jobcenters zu interviewen. Als Maß für die psychische Belastung wurde der „Effort-Reward-Balance-Index“ verwendet, der die Verausgabung im Job zur Summe der wahrgenommenen Belohnungen ins Verhältnis setzt.

Die Berechnungen zeigen, dass die Arbeit in Jobcentern tatsächlich überdurchschnittlich belastend ist. Der Index-Wert der dort Beschäftigten liegt im Schnitt bei 1,1 und damit im gesundheitsgefährdenden Bereich. Der Durchschnittswert aller Erwerbspersonen, den die Wissenschaftler anhand von SOEP-Daten ermittelt haben, beträgt dagegen 0,6. Der kritische Schwellenwert von 1 wird bei 12,3 Prozent aller und 44,6 Prozent der in Jobcentern Beschäftigten überschritten. Selbst Berufsgruppen wie Sozialarbeiter, Polizisten oder Justizvollzugsangestellte, die ebenfalls in emotional schwierigen Bereichen tätig sind, schneiden im Vergleich deutlich besser ab. Dabei können die Wissenschaftler nachweisen, dass Zielvorgaben und Controlling die Belastung der Jobcenter-Mitarbeiter signifikant erhöhen – auch wenn das Geschlecht der Befragten, ihr Alter und Informationen zum Beschäftigungsverhältnis sowie zur ausgeübten Tätigkeit statistisch berücksichtigt werden.

Die Forscher weisen darauf hin, dass gerade der Staat als Arbeitgeber eine Verpflichtung gegenüber seinen Mitarbeitern zur Schaffung guter Arbeitsbedingungen habe – zumal sich Verbesserungen in diesem Bereich auch positiv auf die Qualität der Dienstleistungen auswirken dürften.

  • Die Arbeit in Jobcentern ist seelisch überdurchschnittlich belastend: Der entsprechende Indexwert liegt im gesundheitsgefährdenden Bereich. Zur Grafik

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