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HBS Böckler Impuls

Erzieherinnen: Hoch beansprucht, schlecht bezahlt

Ausgabe 09/2015

Ihre Arbeit ist abwechslungsreich und mit dem kollegialen Miteinander sind die meisten zufrieden. Doch gleichzeitig wird die Tätigkeit von Erzieherinnen fachlich zunehmend anspruchsvoller, die körperlichen und psychischen Belastungen sind groß. Und Rahmenbedingungen wie die Bezahlung stimmen oft nicht. Das zeigt eine neue, von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie.

Erzieherinnen und Erzieher sind gesuchte Leute auf dem Arbeitsmarkt: Zwischen 2007 und 2014 ist die Zahl der Beschäftigten in Kindertageseinrichtungen um 44 Prozent auf 527.000 gestiegen. Der Anspruch, immer mehr und zunehmend jüngere Kinder möglichst ganztags zu betreuen und dabei einen Bildungsauftrag zu verfolgen, hat auch das Berufsbild verändert: Die fachlichen Anforderungen an ihrem Arbeitsplatz hätten sich erhöht, geben 60 Prozent der Erzieherinnen und Erzieher an. In anderen Berufen liegt der Anteil im Schnitt signifikant niedriger – bei gut 46 Prozent. Dies macht die Untersuchung der Forscherinnen Anja Hall und Ingrid Leppelmeier vom Bundesinstitut für Berufliche Bildung (BIBB) deutlich.

Bislang konnte Deutschland beim dynamischen Ausbau der frühkindlichen Bildung und Betreuung noch aus einem Pool qualifizierter Arbeitskräfte schöpfen, zeigen die Wissenschaftlerinnen: Erzieherinnen und Erzieher haben im Durchschnitt höhere Schulabschlüsse als in vielen anderen Berufen. Die große Mehrheit besitzt eine einschlägige Berufsausbildung, nur selten wurde bisher auf Quereinsteiger zurückgegriffen. Der Anteil männlicher Schüler an den Fachschulen und -akademien für Erziehungsberufe steigt langsam. 2014 lag er bei 18 Prozent – gut dreimal so hoch wie unter den derzeit Beschäftigten im Erziehungsbereich. In den nächsten Jahren sei nach allen Prognosen allerdings mit einer wachsenden Fachkräftelücke zu rechnen. Sie ließe sich nur verkleinern, wenn Erzieherinnen und Erzieher so lange wie möglich im Beruf blieben und Kolleginnen in Teilzeit ihre Stundenzahl ausweiteten. Aber dem stünden häufig die Arbeitsbedingungen entgegen. Denn Erzieherinnen und Erzieher seien „eine besonders belastete Berufsgruppe“, so die BIBB-Expertinnen.

Bei ihrer Untersuchung stützen sich Hall und Leppelmeier auf die aktuelle Welle der Erwerbstätigenbefragung, die das BIBB und die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) 2012 durchgeführt haben. Befragt wurden insgesamt 20.000 Erwerbstätige in Deutschland, unter ihnen knapp 400 Erzieherinnen und Erzieher. Die Ergebnisse der Repräsentativbefragung haben die Forscherinnen mit anderen Studien zur Arbeitssituation in der Kindertagesbetreuung abgeglichen – und in zentralen Punkten sehr starke Übereinstimmungen festgestellt.

Wachsende Arbeitsintensität und Multitasking

Bei den psychischen Anforderungen zeigen die Daten ein besonderes Profil. Erzieherinnen üben seltener Routinearbeiten aus als andere Beschäftigte. Das schützt einerseits vor Monotonie, fordert aber die geistige Flexibilität heraus und kann überfordern. 84 Prozent der Erzieherinnen geben an, häufig mehrere Arbeiten oder Vorgänge gleichzeitig im Auge behalten zu müssen. Im Durchschnitt der Beschäftigten anderer Berufe sagen das nur knapp 60 Prozent. Auch Unterbrechungen einer einmal begonnenen Tätigkeit kommen häufiger vor als an anderen Arbeitsplätzen. Das Multitasking in der Kita, der Ganztagsschule, im Jugendzentrum oder in der Wohngruppe für Behinderte geschieht zwar relativ selten unter rigidem Termindruck. Wenn aber doch Zeitdruck entsteht, wird er von Erzieherinnen besonders häufig als belastend wahrgenommen. Gleichzeitig berichten sie auch etwas häufiger als der Durchschnitt, Stress und Arbeitsdruck seien gewachsen. Am direkten beruflichen Umfeld liegt das offenbar eher selten: Die befragten Erzieherinnen bewerten die Zusammenarbeit mit Kolleginnen und direkten Vorgesetzten überdurchschnittlich positiv.

Erhebliche körperliche Belastungen

Lasten heben, arbeiten in unangenehmen Positionen und bei starkem Lärm – was nach Handwerk oder Fabrikarbeit klingt, ist typisch für Tätigkeiten im Erziehungsbereich, zeigen die Daten. So muss ein gutes Drittel der Erzieherinnen häufig mehr als zehn Kilo tragen, während das im Durchschnitt anderer Berufe nur für gut ein Fünftel gilt. In gebückter, hockender oder kniender Stellung arbeiten fast 60 Prozent der Kräfte oft – um den Größenunterschied zu den Kindern auszugleichen oder weil Stühle und Tische an ihrem Arbeitsplatz meist nicht für Erwachsene gebaut sind. In der Vergleichsgruppe müssen nur 16 Prozent in auf Dauer schmerzhaften Körperhaltungen arbeiten.

Weit verbreitet in Erziehungsberufen ist auch der Kontakt mit Krankheitserregern: 37 Prozent der Erzieherinnen kommen häufig mit Viren oder Bakterien in Berührung, jede Fünfte fühlt sich dadurch gesundheitlich belastet, während es im Mittel aller Beschäftigten nur jeder 20. ist. Kälte oder Chemikalien sind Beschäftigte in Erziehungsberufen zwar unterdurchschnittlich ausgesetzt, was sie mit vielen Büroberufen verbindet. Massive Lärmbelastungen sind hingegen häufig: Drei Viertel der Erzieherinnen berichten von Lärm bei der Arbeit, das sind gut dreimal so viele wie unter allen Beschäftigten. In Fallstudien an Kitas hätten Forscher sehr oft Geräuschpegel über 80 Dezibel und sogar 85 Dezibel gemessen, berichten Hall und Leppelmeier: „In vielen anderen Berufen besteht bei einer derartigen Lautstärke die Verpflichtung zum Tragen eines Gehörschutzes.“

Häufiger krank, öfter krank am Arbeitsplatz

Die Belastungen im Job schlagen sich auch im Gesundheitszustand von Beschäftigten in Erziehungseinrichtungen nieder, zeigen die Daten der aktuellen BiBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2012: Deutlich häufiger als andere Erwerbstätige berichten sie von Schmerzen, etwa an Rücken, Kreuz, Schulter oder Kopf, der Krankenstand liegt über dem Mittel der anderen Berufe. Doch nicht immer bleiben Erkrankte auch zu Hause: 70 Prozent der befragten Erzieherinnen und Erzieher sagen, sie seien während des letzten Jahres krank bei der Arbeit gewesen – wiederum ein im Vergleich zu allen Beschäftigten überdurchschnittlicher Wert und ein Indikator für eine dünne Personaldecke. Unter diesen Umständen traut sich nur eine Minderheit zu, über ein komplettes Berufsleben durchzuhalten: Fast 77 Prozent der Erzieherinnen und Erzieher möchten gerne vorzeitig in Rente gehen. Mehr als die Hälfte gibt als Grund an, dass die Arbeit sehr anstrengend ist.

Zufrieden mit den Arbeitsinhalten, Kritik an der Bezahlung

Entsprechend durchmischt fallen auch die Aussagen von Erzieherinnen zu ihrer Arbeitszufriedenheit aus. Die Sorge- und Bildungsarbeit für und mit Kindern und Jugendlichen, also den zentralen Inhalt ihrer Tätigkeit, bewerten Erzieherinnen positiver als Beschäftigte anderer Berufsgruppen. Der Anteil der in diesem Punkt „sehr Zufriedenen“ liegt mit fast 35 Prozent deutlich über dem Durchschnitt. Auch mit ihren Möglichkeiten, eigene Fähigkeiten anzuwenden, sind relativ viele Erzieherinnen zufrieden. Deutlich kritischer als andere Beschäftigte sehen sie hingegen die Ausstattung ihres Arbeitsplatzes und die körperliche Belastung bei der Arbeit. Als größtes Defizit in ihrem Beruf erscheint vielen Erzieherinnen und Erziehern eine zu geringe Bezahlung: Knapp 50 Prozent der Erzieherinnen und Erzieher zeigen sich damit in der BiBB/BAuA-Befragung weniger oder gar nicht zufrieden. Das sind fast 22 Prozentpunkte mehr als im Mittel der anderen Berufe.

  • Die Sorge- und Bildungsarbeit mit Kindern und Jugendlichen macht vielen Erzieherinnen Freude. Unzufrieden sind sie mit den körperlichen Belastungen und vor allem mit der Bezahlung. Zur Grafik
  • Arbeiten bei starkem Lärm, Lasten heben und häufiger Kontakt mit Krankheitserregern - die Tätigkeit von Erzieherinnen und Erziehern ist vielfach körperlich belastend. Zur Grafik

Hall, Anja; Leppelmeier, Ingrid (2015): Erzieherinnen und Erzieher in der Erwerbstätigkeit – Ihre Arbeitsbedingungen, Arbeitsbelastungen und die Folgen. Bundesinstitut für Berufsbildung (Wissenschaftliches Diskussionspapier 161 inkl. Download)

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