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HBS Böckler Impuls

Vermögen: Ein Prozent besitzt ein Drittel

Ausgabe 03/2015

Die reichsten Haushalte vereinen höchstwahrscheinlich einen größeren Anteil am Gesamtvermögen in Deutschland auf sich als bislang angenommen. Allein dem vermögendsten Prozent kann bis zu einem Drittel des gesamten Eigentums zugerechnet werden, und nicht nur ein Fünftel. Das zeigt eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie.

55 Milliardäre und Multimilliardäre mit deutscher Staatsangehörigkeit hat das US-Wirtschaftsmagazin „Forbes“ 2012 gezählt. 2002 standen erst 34 Deutsche auf der Liste des globalen Geldadels. In den gängigen wissenschaftlichen Untersuchungen zur Verteilung in der Bundesrepublik kommen diese Top-Vermögen bisher aber kaum vor. Der Grund: Da es keine Vermögensteuer mehr gibt, fehlen amtliche Daten zum Vermögen von Superreichen. Die einschlägigen Studien des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) oder der Bundesbank beruhen wiederum auf groß angelegten freiwilligen Umfragen. Die sind zwar für rund 99 Prozent der Bevölkerung repräsentativ. Doch der extreme Reichtum ist so kaum messbar. Denn er konzentriert sich auf eine sehr kleine Personengruppe, die von Umfragen kaum erfasst wird.

Multimillionäre und Milliardäre kommen in den gängigen Studien kaum vor. So besitzt der reichste Haushalt im vom DIW organisierten Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) netto, also nach Abzug von Schulden, „nur“ knapp 50 Millionen Euro. Die Bundesbank-Studie „Private Haushalte und ihre Finanzen“ weist für den wohlhabendsten in ihrer Stichprobe erfassten Haushalt einen Nettobesitz von unter 80 Millionen aus. Enorm viel Geld – aber doch weit entfernt vom oberen Ende der Vermögenshierarchie, wo der Besitz mindestens im dreistelligen Millionenbereich liegt. „Im Ergebnis bedeutet dies, dass das wahre Ausmaß an Vermögensungleichheit unterschätzt wird, weil ein wichtiger Teil des Vermögens schlicht im Dunkeln bleibt“, erklären Christian Westermeier und Markus Grabka vom DIW. Zumal auch die „einfachen“ Millionäre in den Panels untererfasst sein dürften. Dabei ließ sich an der Bundesbank-Untersuchung und den Studien anderer europäischen Notenbanken ablesen, dass die Ungleichheit in Deutschland schon auf Basis der vorliegenden lückenhaften Daten größer ist als in allen anderen Euroländern außer Österreich.

In einem Böckler-geförderten Projekt loten die beiden DIW-Verteilungsforscher Möglichkeiten aus, die Lücken in der Vermögensstatistik zu reduzieren. Dazu wenden sie ein Verfahren an, um sich dem Besitz von Superreichen anzunähern. Ausgehend von den deutschen Milliardären auf der „Forbes“-Liste leiten sie statistische Muster zur Verbreitung von Top-Vermögen ab. Ihr Modell erlaubt auch ergänzende Schätzungen zu den Vermögen von Millionären und Multimillionären, die deutlich zahlreicher sind als Milliardäre.

Allerdings ist das Verfahren mit Unsicherheiten behaftet: Denn bei stichprobenartigen nachträglichen Abgleichen der „Forbes“-Liste mit den Steuerdaten verstorbener US-Superreicher erwiesen sich die geschätzten Vermögen beispielsweise als tendenziell zu hoch gegriffen. Grabka und Westermeier variieren deshalb die Parameter in ihren Schätzungen systematisch. So kommen sie auf verschiedene Szenarien, mit denen sich zumindest recht plausible Ober- und Untergrenzen für die Vermögen von Superreichen in Deutschland ansetzen lassen.

Gesamtvermögen könnte um zwei bis drei Billionen Euro höher sein. Egal, welches Szenario man wählt, eines wird beim Blick auf die Daten der Forscher sofort klar: Wenn die bislang vernachlässigten Top-Vermögen hinzugeschätzt werden, steigt das Gesamtvermögen in Deutschland stark an. Beispiel 2012: Nach den reinen SOEP-Daten besaßen die privaten Haushalte netto knapp 6,3 Billionen Euro. Bezieht man den geschätzten Besitz der Superreichen mit ein, sind es mindestens rund 8,6 Billionen, maximal sogar etwa 9,3 Billionen Euro. Der starke Zuwachs belege die hohe Relevanz sehr hoher Vermögen für die Vermögensverteilung, schreiben die Forscher.

Dem reichsten Hundertstel dürfte bis zu einem Drittel aller Vermögen gehören. Auch der wirtschaftliche Abstand zwischen den Reichsten und dem Gros der Gesellschaft wächst noch einmal beträchtlich, wenn die geschätzten Top-Vermögen in die Analyse einbezogen werden. Das lässt sich etwa daran ablesen, wie viel das reichste Hundertstel vom gesamten Nettovermögen im Land hält. Zu dieser Gruppe zählen auf Basis der nicht-erweiterten SOEP-Daten Haushalte, die über ein Nettovermögen von mindestens 1,35 Millionen Euro verfügen. Nach der Hinzuschätzung steigt diese Untergrenze noch einmal an – und gleichzeitig fällt der Anteil des obersten Prozents am Gesamtvermögen weitaus größer aus: Statt 18 Prozent, die das SOEP ohne Ergänzung für das Jahr 2012 ausweist, rechnen die Forscher nun mit 31 bis 34 Prozent je nach gewähltem Szenario. Damit wächst auch der Anteil, der auf die wohlhabendsten zehn Prozent der Haushalte entfällt: Nach der Zuschätzung sind es zwischen 63 und 74 Prozent aller Vermögen in Deutschland – und nicht nur gut 60 Prozent wie nach den reinen SOEP-Daten.

Dem obersten Tausendstel gehören wahrscheinlich 14 bis 16 Prozent. Wie stark sich die Vermögen gerade an der Spitze der Pyramide ballen dürften, macht eine weitere Rechnung der Forscher deutlich: Die reichsten 0,1 Prozent der Haushalte hielten 2007 rund 7 und 2012 etwa 5 Prozent des gesamten Nettovermögens, wenn man nach den SOEP-Daten ohne Erweiterung geht. Dieser Anteil ist bereits größer als der, den die weniger wohlhabende Hälfte der Gesamtbevölkerung besaß. Erwartungsgemäß steigt der Anteil der Superreichen aber noch einmal sprunghaft, wenn bislang vernachlässigte Top-Vermögen hinzugeschätzt werden: Auf dieser Basis kalkulieren Grabka und Westermeier mit 14 bis 16 Prozent, die das reichste Tausendstel besitzt. Und im Zeitverlauf seit 2002 sei dieser Anteil stabil geblieben. Finanzmarktkrise und Niedrigzinsphase scheinen die Top-Vermögenden also kaum geschädigt zu haben.

  • Die Vermögen von Superreichen wurden bislang unzureichend erfasst. Schätzt man sie hinzu, steigt das Gesamtvermögen in Deutschland beträchtlich. Zur Grafik
  • Die Vermögen von Superreichen wurden bislang unzureichend erfasst. Schätzt man sie hinzu, steigt der Anteil des reichsten Hundertstels am Gesamtvermögen stark Zur Grafik

Christian Westermeier, Markus M. Grabka: Große statistische Unsicherheit beim Anteil der Top-Vermögenden in Deutschland. DIW-Wochenbericht 7/2015

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