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Magazin Mitbestimmung

Start Ups: Lockeres Lebensgefühl

Ausgabe 12/2014

Die Programmierer von „Mein Fernbus“ oder die hippe Gemeinschaft in der Berliner Zentrale des Onlinehändlers Zalando – sie alle verzichten freiwillig auf Mitbestimmungsrechte. Ein Blick in die Start-up-Szene. Von Gunnar Hinck

Die grelle Farbe weist den Weg. In der Büroetage des Unternehmens „Mein Fernbus“ am Berliner Alexanderplatz sind die Wände giftgrün gestrichen. Grün ist auch die Farbe der inzwischen rund 300 Busse, die seit der Liberalisierung des Fernbusmarktes durch die Republik fahren. Der Markt boomt, die Fima stellt weiterhin Personal ein, inzwischen beschäftigt sie 220 Mitarbeiter. Die Fahrer, die bei selbstständigen Busunternehmen angestellt sind, sind dabei nicht eingerechnet.

Das Unternehmen, 2011 gegründet, hat keinen Betriebsrat und steht damit stellvertretend für die meisten Start-up-Firmen, die sich in den letzten Jahren gegründet haben. Warum hat es organisierte Mitbestimmung bei ihnen so schwer? Warum gründen sich in der Start-up-Szene so gut wie keine Betriebsräte? Ein Besuch in der IT-Abteilung von „Mein Fernbus“: Im abgedunkelten Großraumbüro hängt das für Computer-Nerds obligatorische Star-Wars-Poster. Die rund 15 Programmierer, alles Männer um die 30 Jahre, liegen mehr in ihren Bürostühlen, als dass sie sitzen – als ob sie sich gerade bei einem längeren Computerspiel entspannen. Die Programmierer betreuen und entwickeln das komplexe Buchungssystem im Internet. Wie bei Fluglinien berechnen sich die Ticketpreise nach der Auslastung der Busse.

Thomas Ploch, ein Softwareentwickler, sagt: „Das Thema Betriebsrat spielt hier noch keine Rolle.“ Er sagt „noch“, denn er sieht einen Zusammenhang zwischen dem jungen Alter der Firma, die im Zuge der Fernbusliberalisierung im Jahr 2011 gegründet wurde, und der Betriebsratslosigkeit. Weil das Unternehmen wachse und sich ständig intern verändere, könne es noch keine festen Strukturen geben. Einen Betriebsrat vermisst er nicht: „Wenn mir etwas fehlt, gehe ich zu meinem Teamleiter.“ Ein dazwischengeschaltetes Gremium würde er als störend empfinden, das wäre ihm zu formalisiert und zu bürokratisch. Einen weiteren Nachteil sieht er bei Institutionen generell: Diese würden meist eingerichtet, um auftauchende Probleme zu lösen. Kaum seien sie etabliert, hätten sich aber schon längst die Rahmenbedingungen geändert. Thomas Ploch sieht feste Gremien insgesamt skeptisch, weil sie ihm zu wenig flexibel und zu langsam erscheinen. 

Am anderen Ende des Flurs, im Callcenter, steht die Luft. In dem alten DDR-Bürobau gibt es keine Lüftungsanlage. Rund 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sitzen mit Headset vor ihren Rechnern und beantworten die Anfragen der Kunden. Annemarie Prestel betreut Reiseagenturen, die bei dem Busunternehmen Kontingente buchen. Sie sagt, dass sie sich „noch nie“ für Betriebsratsarbeit interessiert habe. Die gehbehinderte junge Frau und Mutter eines kleinen Kindes klärt besondere Bedürfnisse wie kurzfristige Arztbesuche mit ihrem Vorgesetzten, sagt sie. „Bislang gab es damit keine Probleme.“ 

Gregor Hintz, Pressesprecher des Unternehmens, kann sich eine Betriebsratsgründung derzeit nicht vorstellen. „Wenn es bei uns dieses Ansinnen gäbe, würden wir prüfen, was wir versäumt haben.“ Für Hintz ist eine Betriebsratsgründung das Ergebnis eines „Leidensdrucks“, der im Unternehmen nicht vorhanden sei: „Unsere Fluktuation ist gering, wir haben keine befristeten Verträge.“ Man wolle die Leute halten, und inzwischen sei es schwierig, Personal für das Callcenter zu finden. 

Für die Unternehmensleitung wäre eine Betriebsratsgründung somit ein Warnzeichen dafür, dass etwas schiefläuft, und nicht der Normalfall. Inwieweit diese Haltung die Mentalität der Belegschaft direkt beeinflusst oder sie sich lediglich in ihr spiegelt, ist schwer auszumachen. 

Der Sprecher sieht das Unternehmen als „Familie“. Wichtig sei der Geschäftsführung, dass die Firma nach innen „nicht konzernig“, mit festgefügten Strukturen und starren Hierarchien, auftrete. Wenn dies tatsächlich so ist, dürfte es auch am homogenen Alter der Belegschaft liegen. Fast niemand ist über 35 Jahre alt. Die beiden Gründer Torben Greve und Panya Putsathit gehören mit knapp 40 Jahren zu den Ältesten. „Man weiß, wie der jeweils andere tickt“, sagt Gregor Hintz. 

Hierarchien zeigen sich bei „Mein Fernbus“ auf hemdsärmelige Art: An einem Monitor klebt mit Tesafilm ein Zettel, dass dieser „nur von Teamleitern verstellt“ werden dürfe, ein anderer Zettel an der Tür ermahnt die Mitarbeiter, in den Außenfluren „nur Privatgespräche“ zu führen. Einer der Zwecke eines Betriebsrates ist, das Hierarchiegefälle in einem Unternehmen abzumildern, indem diejenigen eine Stimme bekommen, die sonst wenig Rechte haben. Wenn aber Hierarchien schwer zu fassen und wenig formalisiert sind und die Eigendefinition im Betrieb die einer „Familie“ von Gleichaltrigen ist, sind die Ausgangsbedingungen für eine Betriebsratsgründung schwieriger als sonst. Der Faktor „Alter der Beschäftigten“ spielt offenbar eine entscheidende Rolle bei der Frage, warum es Betriebsräte bei Start-up-Unternehmen schwer haben. 

START-UP-IMAGEPFLEGE

Beispiel Zalando: Der 2008 gegründete, börsennotierte Modehändler ist, was die Größe angeht, längst kein Start-up-Unternehmen mehr, aber immer noch ein Neuling, der das Start-up-Image pflegt. In einem Outlet-Laden in Berlin sowie in zwei Logistikstandorten in Brandenburg (Brieselang und Marquardt, letzterer wird aber zum Jahresende schließen) haben sich Betriebsräte gegründet, in den Berliner Standorten jedoch nicht. Stattdessen haben Mitarbeiter ein Vertretungsorgan namens „Zalando Employee Partizipation“ (ZEP) gegründet. 

Laut Zalando-Sprecher Boris Radke wurde die Gründung von Mitarbeitern initiiert: „Die Gruppe hat sich an die Zalando-Personalabteilung gewandt und ihr Anliegen mitgeteilt.“ Als die Gruppe weiter wuchs, hat sie einen Sprecherkreis bestimmt. In dem Gremium kommen praktische Fragen zum Arbeitsalltag, etwa zur Ausstattung der Pausenräume oder zur Gestaltung der Großraumbüros, aber auch konfliktträchtigere Themen wie die Arbeitszeiterfassung zur Sprache. Verbindliche Informations- oder Mitbestimmungsrechte besitzt die ZEP jedoch nicht (siehe Interview mit Markus Hertwig). Im größten der drei Standorte in Berlin, einem neuen Bürokomplex an der Nahtstelle zwischen Kreuzberg und Friedrichshain, herrscht der lockere Umgangston der Generation U 30. Fast alle arbeiten in Großraumbüros; Teppich und Schallschlucker an den Decken dämpfen die Geräusche. Besprechungen finden nicht im Sitzen statt, sondern an Stehtischen in gläsernen Räumen. Angesteckte Landesfahnen an den Rechnern zeigen, dass die Mitarbeiter aus sämtlichen EU-Ländern stammen. Hier und da stehen Beck’s-Bierflaschen auf dem Schreibtisch. In den Pausenräumen stapeln sich Getränkekisten mit Cola und Club Mate, die der Arbeitgeber stellt. Wöchentlich gibt es eine „Country Week“, in der „Länder-Teams“ landestypisches Essen vorstellen. 

Für den Betriebswirt sind das alles preiswerte und effiziente Mittel, um die Belegschaft bei Laune zu halten, aber sie drücken auch ein Lebensgefühl aus. Der typische Zalando-Mitarbeiter, die typische Zalando-Mitarbeiterin ist 25 bis 30 Jahre alt, hat meist noch keine Kinder, ist gerade nach Berlin gezogen, hat sich halbwegs günstig in eine WG eingemietet, will abends feiern und sieht sich als Teil einer globalisierten, urbanen, „hippen“ Gemeinschaft. Die Idee der strikten Trennung von Arbeit und Freizeit – ein klassisches Anliegen von Betriebsräten – ist beiden wahrscheinlich fremd, denn tagsüber wie abends umgeben sie sich mit den gleichen Leuten. Zalando greift diesen Lebenstil auf und organisiert Partys und abendliche Treffs. Etwas kokett heißt es, dass Zalando gleichzeitig eine große Beziehungsbörse sei.

Stefan Najda, für den Onlinehandel zuständiger Gewerkschaftssekretär bei ver.di, bezeichnet Zalando als „Eintrittskarte“ nach Berlin für junge Leute. Er beobachtet, dass IT-Fachkräfte von etablierten Großunternehmen zu Zalando gehen. „Sie nehmen Gehaltseinbußen bewusst in Kauf, um dafür ein lockeres Arbeitsumfeld und mehr Gestaltungsmöglichkeiten zu bekommen“, sagt Najda.

Ein Arbeitsverhältnis bei Zalando in Berlin beinhaltet somit eine Art Pakt: Du bekommst einen Arbeitsplatz bei einem angesagten Unternehmen mit internationaler Atmosphäre mitten im Szenekiez, wir bedienen dein Lebensgefühl – aber im Gegenzug arbeitest du bei mäßiger Bezahlung, starkem Leistungsdruck und mit wenig verbindlichen Rechten. Betriebsräte und Betriebsvereinbarungen würden diesen Pakt stören, weil sie die Arbeitsbeziehungen zwischen Angestellten und Arbeitgeber weiter formalisieren würden – und nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten nach sich ziehen würden.

Spricht man mit Mitarbeitern vor den Firmeneingängen, kristallisieren sich drei Gruppen heraus. Die erste Gruppe repräsentiert ein IT-Mitarbeiter, der die gute Arbeitsmarktlage in seiner Branche im Blick hat: „Wenn mir etwas nicht passt, dann gehe ich eben woandershin.“ Die zweite Gruppe, auffallend oft Frauen, hat keine Meinung zu Betriebsräten oder will nicht reden. Mitarbeiter aus dem EU-Ausland, die dritte Gruppe, blicken fragend, wenn sie das Wort Betriebsrat hören – egal ob auf Deutsch oder Englisch. Man merkt ihnen an, dass sie ihre Zeit mit anderen Gedanken zubringen.

Die offizielle Position der Geschäftsführung in Bezug auf Betriebsräte ist laut Boris Radke, Pressesprecher von Zalando, dass „die Entscheidung für einen Betriebsrat allein in den Händen der Mitarbeiter liegt. Wir sprechen zuerst mit unseren Mitarbeitern und interessieren uns für deren Belange.“ Das Wort Gewerkschaft wird in Bezug auf künftige Betriebsratsgründungen von offizieller Zalando-Seite vermieden. Spannend wird sein, wie sich die Lage in den nächsten Jahren entwickeln wird. Entweder dienen die Zalando-Standorte in Berlin weiterhin als Durchgangsstation für erlebnishungrige Berufsstarter, sodass der Altersschnitt niedrig bleibt und sich damit die unternehmensinterne Mentalität hält. 

Oder aber der Anteil der angestammten Belegschaft vergrößert sich, sodass mit den Jahren der Altersschnitt ansteigt. Inzwischen liegt der Anteil der unbefristet Beschäftigten in Berlin bei zwei Dritteln. Dann würden sich auch die Bedürfnisse der Mitarbeiter ändern: Sie werden zum Beispiel Kinder bekommen und andere Vorstellungen von Arbeitszeiten und der Trennung von Freizeit und Arbeit haben. Offen ist auch, wie lange die Geduld der Investoren anhält, sollten sich die Geschäftszahlen nicht so entwickeln wie erwartet. Noch ist die Infrastruktur in den Büros nagelneu – aber werden die Kapitalgeber auch Geld für den Erhalt dieser Infrastruktur zuschießen? 

Die Ausgangsbedingungen für Betriebsratsgründungen können sich in den nächsten Jahren also ändern – nicht nur bei Zalando, sondern in der Start-up-Szene insgesamt.

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