Quelle: HBS
Böckler ImpulsMobbing: Aggression am Arbeitsplatz
Wie weit verbreitet sind Mobbing und Gewalt am Arbeitsplatz in Deutschland? Repräsentative Daten fehlen, mehr Problembewusstsein wäre wünschenswert.
Zu den vielen Widrigkeiten, die Arbeitnehmern den Job verleiden können, gehören Feindseligkeiten von Kollegen, Chefs oder Kunden. Die europäischen Sozialpartner haben 2007 beschlossen, gegen Aggressionen am Arbeitsplatz aktiv zu werden, und eine entsprechende Rahmenvereinbarung verabschiedet. Wie sich seitdem die Situation in Deutschland entwickelt hat, hat WSI-Forscherin Birgit Kraemer für die Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (Eurofound) analysiert.
Dass Gewalt und Mobbing gravierende Folgen haben können, sei empirisch überzeugend belegt, so Kraemer. Auf dem Spiel stünden nicht nur die Arbeitszufriedenheit und die Motivation, sondern auch die Gesundheit der Opfer. Etliche Befunde deuteten darauf hin, dass Druck am Arbeitsplatz in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle spielt: Zunehmender Stress dürfte nicht nur das Burn-out-Risiko erhöhen, sondern auch zu mehr Aggressivität beitragen. Wie viele Beschäftigte tatsächlich betroffen sind, sei dagegen schwer einzuschätzen, weil es kaum belastbare Daten gebe. Laut dem European Working Conditions Survey (EWCS) von 2010 leiden 17,4 Prozent der deutschen Arbeitnehmer unter feindseligem Sozialverhalten, mehr als im EU-Durchschnitt. Die EWCS-Ergebnisse seien allerdings nur begrenzt aussagekräftig, weil die Frage nach Aggressionen am Arbeitsplatz Interpretationsspielraum lasse, warnt die Soziologin. Es sei anzunehmen, dass die Differenzen auch nationale Unterschiede in der Sensibilität gegenüber körperlicher oder seelischer Gewalt widerspiegeln.
In Deutschland sei die Datenlage– anders als in manchen anderen Mitgliedsstaaten – bislang gänzlich unzureichend. Repräsentative Daten zu Mobbing seien über zehn Jahre alt und solche zu sexueller Belästigung oder physischer Gewalt am Arbeitsplatz lägen nicht vor, so Kraemer. Ihre Auswertung unterschiedlicher Quellen lege allerdings nahe, die Entwicklung genauer zu beobachten: Zwar ist nach der bundesweiten Erwerbstätigenbefragung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin und des Bundesinstituts für Berufsbildung der Anteil der Beschäftigten, die sich bei der Arbeit ausgegrenzt fühlen, zwischen 2006 und 2012 von 9,9 auf 8,2 Prozent gesunken. Doch der WSI-Betriebsrätebefragung zufolge müssen Arbeitnehmervertreter häufiger gegen Mobbing einschreiten: 2005 gab knapp ein Drittel der Betriebsräte an, sich mit entsprechenden Fällen befasst zu haben, 2011 mehr als die Hälfte.
Physische Gewalt am Arbeitsplatz sei für manche Berufsgruppen ein erhebliches und tendenziell zunehmendes Problem, stellt die Wissenschaftlerin fest. So wiesen die Arbeitsunfähigkeitsdaten der Gesetzlichen Unfallversicherung aus, dass die Gewalt durch Dritte zumindest im Krisenjahr 2009 zugenommen hat. Vor allem allein Arbeitende wie Kuriere, Angestellte von Tankstellen oder Spielhallen oder Taxifahrer sind Kraemer zufolge gefährdet: Laut Bundeskriminalamt ist die Zahl der Raubüberfälle auf Angehörige dieser Berufsgruppen gewachsen.
In Konfliktsituationen mit Dritten würden insbesondere solche Berufsgruppen hineingezogen, die selbst unter hoher Arbeitsbelastung stehen und mit frustrierten Kunden zu tun haben, konstatiert die WSI-Forscherin. Eine Studie zu den Arbeitsbelastungen in Jobcentern kam 2010 zu dem Ergebnis, dass ein Fünftel der dortigen Mitarbeiter schon einmal Opfer eines tätlichen Angriffs oder einer Belästigung war. Der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege zufolge war Gewalteinwirkung 2007 für fast 1.600 Unfälle von Krankenschwestern oder Pflegern verantwortlich und damit die zweithäufigste Unfallursache. 222 von den erfassten Vorfällen betrafen Konflikte unter Kollegen, den Löwenanteil machten Übergriffe durch Patienten aus.
Insgesamt, so das Resümee der WSI-Expertin, sei mehr Aufmerksamkeit vonseiten der Politik und der Forschung wünschenswert. Als einen ersten wichtigen Schritt empfiehlt sie, für die Erhebung repräsentativer Daten zu sorgen.
Birgit Kraemer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im WSI.
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