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HBS Böckler Impuls

Arbeitsmarkt: Atypisch bleibt oft prekär

Ausgabe 12/2014

Vom Mindestlohn werden insbesondere atypisch Beschäftigte profitieren. Trotzdem bleibt ihre Situation in vielerlei Hinsicht prekär.

Welche Nachteile Leiharbeiter, Minijobber oder Solo-Selbstständige bei Einkommen, Sozialversicherung und Mitbestimmung aktuell in Kauf nehmen müssen, zeigt eine Analyse von Karin Schulze Buschoff. Die WSI-Wissenschaftlerin hat die einschlägige Forschungsliteratur ausgewertet und zusammengefasst. Viele ökonomische Vorzüge und soziale Rechte, die traditionell mit einem Normalarbeitsverhältnis verbunden sind, bleiben atypisch Beschäftigten demnach vorenthalten.

Die Gruppe der Arbeitnehmer, die mit einem atypischen Beschäftigungsverhältnis auskommen müssen, sei in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gewachsen, stellt die Politikwissenschaftlerin fest. Zwischen 1991 und 2010 ist ihrer Studie zufolge die Zahl der befristet Beschäftigten von 2,4 auf 3,1 Millionen gestiegen, die der Solo-Selbstständigen von 1,4 auf 2,4 Millionen. In Teilzeit waren 1991 4,7 und 2010 9,1 Millionen Menschen erwerbstätig, in Minijobs waren es 5,5 und 7 Millionen. Anfang der 1990er-Jahre gab es 100.000 Leiharbeiter, zwanzig Jahre später 600.000. Nach Schätzungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung waren 2011 deutschlandweit 600.000 Arbeitnehmer über Werk- oder Dienstverträge beschäftigt und damit doppelt so viele wie 2002. Demnach gab es 2002 in 4 Prozent, 2011 in 7 Prozent aller Betriebe Werkvertragsnehmer. Bei einer internen Stichprobe der IG Metall in Nordrhein-Westfalen berichtete 2011 sogar ein Drittel der 5.000 befragten Betriebsräte, dass Werkverträge in ihren Unternehmen eingesetzt würden. Im Jahr 2012 habe die Zahl der atypisch Beschäftigten zwar erstmals leicht abgenommen, so Schulze Buschoff. Angesichts der günstigen gesamtwirtschaftlichen Situation sei der Rückgang aber sehr bescheiden ausgefallen.

Ein existenzsicherndes Einkommen ist für atypisch Beschäftigte oft schwer zu erreichen: Fast die Hälfte von ihnen arbeitete 2010 laut Statistischem Bundesamt für einen Niedriglohn. Ein Drittel der Befristeten, zwei Drittel der Leiharbeiter und vier Fünftel der Minijobber verdienten weniger als zwei Drittel des mittleren Stundenlohns in Deutschland. Von den Normalarbeitnehmern war es dagegen nur jeder neunte. Der Median-Lohn der atypisch Beschäftigten lag 2010 bei 10,36 Euro pro Stunde, bei den Normalarbeitnehmern waren es 17,09 Euro. Besonders schlecht kamen die Minijobber mit 8,19 Euro weg.

Bei der Integration in die Sozialversicherungssysteme ergebe sich ein differenziertes Bild, urteilt Schulze Buschoff. Wer in Teilzeit oder befristet beschäftigt ist, habe formal die gleichen Rechte wie ein Normalarbeitnehmer. Allerdings drohten gravierende Nachteile, wenn Leistungen an die Dauer der Beschäftigung oder die Höhe des Einkommens gekoppelt sind – wie bei der Renten- oder der Arbeitslosenversicherung. Die größten Sicherungslücken bestünden derzeit für Solo-Selbstständige und Minijobber, insbesondere bei der staatlichen Altersabsicherung. So führten von 2,6 Millionen geringfügig Beschäftigten, die seit Anfang 2013 einen Minijob annahmen, im August 2013 nur 621.000 oder 23,8 Prozent Beiträge in die Rentenkasse ab.

Auch im Hinblick auf Mitbestimmung erweist sich atypische Beschäftigung der WSI-Forscherin zufolge als problematisch. Minijobs etwa seien vor allem in Branchen wie dem Handel oder dem Gastgewerbe verbreitet, die in weiten Teilen als „betriebsratsfreie Zonen“ gelten. Wenn es dagegen eine Interessenvertretung gibt, sind atypisch Beschäftigte oft unterrepräsentiert: Laut WSI-Personalrätebefragung arbeiten 29 Prozent der Beschäftigten im öffentlichen Dienst in Teilzeit, aber nur 16 Prozent der Personalratsmitglieder. Noch ungünstiger sei die Situation der Solo-Selbstständigen, für die das Betriebsverfassungsgesetz überhaupt keine Vertretung vorsieht. Zwar gebe es Landespersonalvertretungsgesetze, die Lehrbeauftragte an Hochschulen einbeziehen. Allerdings bestünden oft Unsicherheiten bei der Auslegung und Informationsdefizite bei Personalräten. Eine „eklatante Regelungslücke“ macht Schulze Buschoff im Hinblick auf Werkverträge aus: Betriebsräte des Einsatzbetriebs hätten kein Mandat für Beschäftigte, die per Werkvertrag tätig sind. So könnten Arbeitnehmerrechte gezielt unterlaufen werden. Generell, so die Einschätzung der Autorin, erschwere die zunehmende Verbreitung atypischer Beschäftigungsformen die Betriebsratsarbeit. Unterstützung und umfassende Beratungsmöglichkeiten für Arbeitnehmervertreter seien daher dringender denn je.

Verbesserungen dürfte der Mindestlohn bringen: Er werde ebenso wie die geplante Erleichterung der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen dazu beitragen, den Niedriglohnanteil zu begrenzen, erwartet die Autorin. Auch die angekündigte bessere Kontr­olle von Werkverträgen sei zu begrüßen. Dagegen enthalte der Koalitionsvertrag der Großen Koalition keine Antwort auf die drohende Altersarmut bei atypisch Beschäftigten. Angesichts dramatischer Fehlentwicklungen durch die Ausweitung von Minijobs hält Schulze Buschoff eine Abschaffung oder deutliche Herabsetzung der Geringfügigkeitsgrenze für geboten. Darüber hinaus empfiehlt sie, Selbstständige obligatorisch in das System der gesetzlichen Rentenversicherung einzubeziehen. Solo-Selbstständige mit geringem Einkommen sollten dabei durch eine Auftraggeber-Abgabe oder Zuschüsse aus Steuermitteln unterstützt werden.

  • Ein existenzsicherndes Einkommen ist für viele atypisch Beschäftigte schwer zu erreichen. Zur Grafik
  • Insbesondere für Minijobber und Solo-Selbstständige bestehen gravierende Sicherungslücken bei der staatlichen Altersabsicherung. Zur Grafik
  • Minijobber kommen beim Einkommen am schlechtesten weg. Zur Grafik

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