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HBS Böckler Impuls

Grundsicherung: Höhere Löhne, weniger Transfers

Ausgabe 10/2014

1,3 Millionen Beschäftigte sind zusätzlich zu ihrem Erwerbseinkommen auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen. Der geplante Mindestlohn dürfte die Zahl der Betroffenen und die Kosten für die Allgemeinheit reduzieren. Aber verschwinden wird die Erwerbsarmut nicht.

So genannte Aufstocker gibt es nicht erst seit den Hartz-Reformen. Durch sie ist „das Phänomen jedoch in größerem Ausmaß als bisher sichtbar geworden“, schreibt Helmut Rudolph vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Und auch die nächste große Veränderung am Arbeitsmarkt, die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns, dürfte nur einen Teil der arbeitenden Armen aus der Abhängigkeit von Hartz IV befreien. Zwar wird ein Mindestlohn von 8,50 Euro „dem überwiegenden Teil der Aufstocker höhere Bruttolöhne bringen und ein Zeichen der Wertschätzung von Arbeit setzen“, so der Wissenschaftler. Wer nur wenige Stunden arbeitet oder mit weiteren bedürftigen Personen in einem Haushalt lebt, bleibt aber weiter auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen – und wird insgesamt kaum mehr Geld haben als zuvor, weil das gestiegene Erwerbseinkommen auf die Grundsicherung angerechnet wird. Immerhin schütze der Mindestlohn öffentliche Haushalte und Steuerzahler vor den finanziellen Folgen eines ausufernden Niedriglohnsektors: Denn wenn Beschäftigte mehr verdienen, müssen sie weniger staatliche Unterstützung erhalten.

Bereits am Vorabend der Hartz-Reformen lebten rund 750.000 Erwerbstätige in Haushalten, die auf Sozialhilfe oder Wohngeld angewiesen waren. Um zu bestimmen, wie viele Personen schon vor 2005 unter die heute gebräuchliche Aufstocker-Definition fielen, müssten noch die Beschäftigten aus Arbeitslosenhilfe-Haushalten dazugezählt werden, erläutert Rudolph. Diese wurden von der amtlichen Statistik damals jedoch nicht gezählt. Mithilfe des Mikrozensus, einer regelmäßigen repräsentativen Bevölkerungsbefragung, lässt sich die Entwicklung jedoch über einen längeren Zeitraum nachzeichnen: Nach einer Hochrechnung des Wissenschaftlers gab es im Jahr 2000 rund 1 Million bedürftige Haushalte mit mindestens einem Erwerbstätigen, 2010 waren es 1,5 Millionen Haushalte. Das entspricht etwa 1,3 und 1,9 Millionen erwerbstätigen Personen. Dieser Wert liegt unter anderem deshalb über den häufig genannten 1,3 Millionen aus der Grundsicherungsstatistik, weil Rudolph auch Haushalte mit Kinderzuschlag und Wohngeld berücksichtigt.

Hinter den Zahlen verbergen sich allerdings sehr unterschiedliche Konstellationen, betont der Forscher. Es muss nicht immer das unzureichende Haupteinkommen sein, das Familien zu Aufstocker-Haushalten werden lässt. Verliert zum Beispiel in einer Familie mit traditioneller Rollenteilung der Vater seine Stelle und fällt auf Hartz IV zurück, wird die halbtagsbeschäftigte Mutter automatisch zur Aufstockerin. Nimmt die Tochter einen Ferienjob an, verzeichnet die Statistik eine weitere Aufstockerin.

Vor allem drei Faktoren entscheiden darüber, ob jemand zu den Working Poor gezählt werden muss: der Stundenlohn, die Zahl der Arbeitsstunden und die Unterhaltsverpflichtungen für andere Personen. Hinzukommen kann ein besonderer finanzieller Bedarf zum Beispiel wegen hoher Mieten.

Aus Erhebungen des IAB hat Rudolph einige Eckdaten zusammengestellt, die Einblick in die Lage vieler Aufstocker geben:

  • 10 Prozent erzielen ein Einkommen, das für sie allein reichen würde, aber nicht für den Unterhalt der Familie.
  • In 60 Prozent der Paar-Bedarfsgemeinschaften mit Kindern gibt es Erwerbstätige, also Aufstocker.
  • Alleinstehende haben überwiegend Minijobs, in Paarhaushalten mit Kindern ist auch Vollzeitbeschäftigung verbreitet.
  • 23 Prozent arbeiten 32 Stunden in der Woche oder mehr.
  • 63 Prozent der teilzeitbeschäftigten Aufstocker würden gern mehr arbeiten, haben aber bislang keine passende Stelle gefunden. Die übrigen können meist aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten.
  • 66 Prozent der Aufstocker im Westen und 84 Prozent im Osten verdienten 2011 weniger als 7,50 Euro die Stunde.

Hier setzt der Mindestlohn an. Allerdings: „In größeren Haushalten mit Kindern ist auch bei fairer Bezahlung der Bedarf häufig nicht von einem vollzeitbeschäftigten Alleinverdiener mit geringer Qualifikation zu decken“, konstatiert Rudolph. „Solange das Kindergeld nicht den Regelbedarf der Kinder deckt und das Wohngeld nicht mit den in der Grundsicherung gewährten Leistungen abgestimmt ist, wird das Aufstocker-Problem in der Grundsicherung bestehen bleiben.“

  • Im Jahr 2010 gab es 1,5 Millionen Haushalte mit mindestens einem Erwerbstätigen, die auf Sozialleistungen wie Hartz IV oder Wohngeld angewiesen waren. Zur Grafik

Helmut Rudolph: „Aufstocker“: Folge der Arbeitsmarktreformen?, in: WSI-Mitteilungen 3/2014

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