Quelle: HBS
Böckler ImpulsMindestlohn: Ausnahmen überflüssig
Der Mindestlohn kommt. Die Ausnahmen treffen nur einen begrenzten Personenkreis, sind aber trotzdem unnötig.
Für weniger als 8,50 Euro pro Stunde dürfen künftig drei Gruppen beschäftigt werden: Langzeitarbeitslose, Praktikanten ohne abgeschlossene Ausbildung und Arbeitnehmer unter 18 Jahren. Für die ersten beiden Gruppen soll die Zeit ohne Mindestlohnanspruch auf sechs Monate beziehungsweise sechs Wochen begrenzt werden. Wer mit 16 oder 17 Jahren im Niedriglohnsektor arbeitet, hat jedoch nichts vom Mindestlohn.
Ein Argument dafür lautet, Jugendliche sollten sich nicht verlocken lassen, einen vergleichsweise gut bezahlten Job anzunehmen, statt eine geringer dotierte, aber langfristig ertragreichere Berufsausbildung zu beginnen. Sehr realitätsnah ist dieser Gedanke allerdings nicht, sagt Reinhard Bispinck. Denn bereits heute lässt sich mit einem Aushilfsjob mehr verdienen, als ein Azubi bekommt – im Einzelhandel etwa ist die unterste Tarifvergütung doppelt so hoch wie die Ausbildungsvergütung im ersten Jahr. Das hält Jugendliche aber keineswegs davon ab, sich zu qualifizieren. Von den 16- bis 17-Jährigen Haupt- oder Realschulabsolventen, die noch keine Berufsausbildung abgeschlossen haben, sind über drei Viertel Azubis. 23 Prozent jobben, fast alle davon in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen. Nur 1,5 Prozent haben einen regulären Voll- oder Teilzeitjob.
Und bei den jugendlichen Minijobbern sei kaum davon auszugehen, dass sie ihre auf 450 Euro pro Monat begrenzte Tätigkeit als echte Alternative zu einer Berufsausbildung ansehen, erläutert Bispinck. Die überwiegende Mehrheit dürfte noch keine Lehrstelle gefunden haben oder Zeiten zwischen Schule und Ausbildung überbrücken. Es sei nicht ersichtlich, so Bispinck, warum diesen jungen Leuten der Mindestlohn vorenthalten werden sollte – und warum Arbeitgeber die Möglichkeit bekommen sollten, die gesetzliche Lohnuntergrenze durch Rekrutierung jugendlicher Arbeitskräfte zu unterlaufen.
Ebenso wenig gerechtfertigt ist in den Augen des WSI-Forschers die Ausnahmeregelung für die über eine Million Langzeitarbeitslosen. Denn „bei Mindestlohnjobs handelt es sich in der Regel um Tätigkeiten, die auch von diesem Personenkreis problemlos erledigt werden können. Beschäftigungsförderung sollte wenn nötig über Lohnkostenzuschüsse, aber nicht über Niedrigstlöhne erfolgen.“
Reinhard Bispinck ist Leiter des WSI-Tarifarchivs