Quelle: HBS
Böckler ImpulsArbeitsmarkt: Sinkende Löhne machen nicht flexibel
Die Hartz-Reformen hatten offenbar kaum Auswirkung auf die Dauer von Beschäftigungsverhältnissen. Aber sie haben zu sinkenden Reallöhnen und mehr Ungleichheit beigetragen.
Erklärtes Ziel von Hartz I bis IV war es, die hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland durch Flexibilisierung zu bekämpfen. Tatsächlich sei nach 2005 die Zahl der Arbeitslosen gesunken und mehr Beschäftigung entstanden, schreiben Gianna C. Giannelli, Ursula Jaenichen und Thomas Rothe. Zu fragen sei allerdings, welchen Anteil die Reformen daran haben und wie es um die Qualität der neuen Jobs bestellt ist. Zur Klärung dieser Frage haben die Wirtschaftswissenschaftler von der Universität Florenz und vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) Personendaten aus der Beschäftigtenstatistik der Bundesagentur für Arbeit ausgewertet. Ihre Berechnungen zeigen, dass sich die durchschnittliche Dauer neuer Beschäftigungsverhältnisse kaum geändert hat. Dagegen sind die Reallöhne deutlich gesunken, vor allem im unteren Bereich der Lohnverteilung. Die Einkommensungleichheit hat sich dadurch verstärkt.
Grundlage der Studie ist die Stichprobe der Integrierten Erwerbsbiografien des IAB. Die Untersuchung bezieht sich auf Westdeutschland, die Forscher haben Beamte, Selbstständige, Minijobber und Azubis aus ihrer Analyse ausgeschlossen. Sie unterscheiden zwischen drei Zeitabschnitten: Die Reformphase dauerte von 2003 bis 2005. In diesem Zeitraum traten nacheinander die verschiedenen Hartz-Gesetze in Kraft, die unter anderem Leiharbeit, Kündigungsschutz und Arbeitslosengeld neu geregelt haben. Die Jahre 1998 bis 2002 stehen für die Entwicklung vor den Hartz-Reformen, die Jahre 2006 bis 2010 für die Zeit danach. Untersucht wurden die Dauer und die Einstiegslöhne aller Jobs, die Beschäftigte in einer dieser drei Phasen neu angetreten haben.
Auf die Stabilität von Arbeitsverhältnissen scheinen sich die Reformen wenig ausgewirkt zu haben: Der Anteil der Männer, die zwölf Monate nach Aufnahme einer Beschäftigung immer noch denselben Arbeitgeber haben, blieb im gesamten Untersuchungszeitraum ziemlich konstant – zwischen 50 und 60 Prozent. Bei den Frauen ist dieser Wert sogar leicht gestiegen, auf über 60 Prozent. An diesen Befunden ändert sich auch dann nichts, wenn Kontrollvariable wie die Betriebsgröße, die Branche oder das Alter der Befragten berücksichtigt werden. Demnach haben die Hartz-Gesetze die Fluktuation nicht messbar erhöht, obwohl sie eigentlich für mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt sorgen sollten. Die Vermutung der Wissenschaftler: Beschäftigte sind weniger wechselwillig geworden, weil sie als Arbeitslose mit weniger Unterstützung rechnen müssen – und weil die Firmen geringere Einstiegslöhne zahlen.
Anders als bei der Dauer sind bei der Bezahlung neuer Arbeitsverhältnisse deutliche Änderungen nachweisbar: Die Reallöhne von Vollzeitbeschäftigten sind seit 2001 zum Teil drastisch gesunken. Besonders stark war der Rückgang beim 25. und 50. Perzentil, also in der unteren Hälfte der Lohnverteilung. Dadurch hat sich der Abstand zu den oberen Einkommensgruppen vergrößert. Betrachtet man einzelne Personengruppen, zeigen sich die stärksten Lohnverluste bei den Geringqualifizierten. Bei Leiharbeitern sind die Medianlöhne zwischen der ersten und der letzten Untersuchungsperiode um zehn Prozent gesunken, bei Leiharbeiterinnen um zwölf Prozent. Ohnehin benachteiligte Beschäftigtengruppen hätten also die größten Einbußen bei der Bezahlung erlitten, konstatieren die Autoren. Druck auf das Lohnniveau habe man zwar auch vor dem Jahr 2003 schon feststellen können, diese Tendenz sei aber durch die Hartz-Gesetze verstärkt worden. Zu vermuten sei, dass Arbeitsuchende wegen der gesunkenen Unterstützungsleistungen auch schlechter bezahlte Tätigkeiten annehmen, um Arbeitslosigkeit zu vermeiden.
Gianna C. Giannelli, Ursula Jaenichen, Thomas Rothe: Doing Well in Reforming the Labour Market? Recent Trends in Job Stability and Wages in Germany, IZA Discussion Paper Nr. 7580, August 2013