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HBS Böckler Impuls

Bildung: Klischee mangelnde Ausbildungsreife

Ausgabe 09/2012

Arbeitgeber klagen, immer mehr Jugendliche seien nicht ausbildungsfähig. Wissenschaftliche Belege dafür fehlen allerdings.

Kritik an der Leistungsfähigkeit der Jugend hat eine lange Tradition: Schriftlich lasse sie sich bis in die Zeit der Sumerer zurückverfolgen, schreiben Rolf Dobischat, Gertrud Kühnlein und Robert Schurgatz. Die Bildungsforscher von der Universität Duisburg-Essen und der Sozialforschungsstelle Dortmund haben im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung untersucht, wie Klagen über die mangelnde Ausbildungsreife Jugendlicher aus Sicht der empirischen Forschung zu beurteilen sind. Ihr Ergebnis: Es gibt keine stichhaltigen Belege für ein generell nachlassendes Qualifikationsniveau.

Das Thema Ausbildungsreife hatte in den vergangenen Jahren vor allem wegen der Situation am Lehrstellenmarkt Konjunktur. Ein erheblicher Teil der Jugendlichen findet nach der Schule keinen Ausbildungsplatz, sondern kommt zunächst im beruflichen Übergangssystem unter. Das sind Maßnahmen von Beruflichen Schulen oder der Bundesagentur für Arbeit (BA), deren Teilnehmer sich qualifizieren, aber keinen Berufsabschluss erwerben können. Zugleich hat die PISA-Studie Zweifel an den Fähigkeiten deutscher Schüler geweckt. Zwischen beiden Phänomenen wird häufig ein Zusammenhang unterstellt: Probleme beim Übergang zwischen Schule und Berufsausbildung wären demnach in erster Linie auf Defizite der Bewerber zurückzuführen.

Online-Befragungen des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) scheinen diesen Zusammenhang zu bestätigen. Laut der DIHK-Umfrage von 2011 haben 46 Prozent der Unternehmen mit „Ausbildungshemmnissen“ zu kämpfen. Als häufigsten Grund nennen sie einen Mangel an geeigneten Bewerbern. Wenn in der Öffentlichkeit von fehlender Ausbildungsreife die Rede ist, gelten die DIHK-Ergebnisse als wichtige Referenz.

Vor allem unattraktive Lehrstellen bleiben unbesetzt

Überzeugend sei die Argumentation des DIHK allerdings nicht, analysieren die Autoren der Expertise. „Ebenso gut ließe sich der umgekehrte Schluss ziehen: dass nämlich die Unternehmen, die nicht alle der von ihnen angebotenen Ausbildungsplätze besetzen (können oder wollen), dafür primär die Schuld bei den Jugendlichen suchen.“ Tatsächlich falle ein Zusammenhang auf: Die Branchen mit den größten „Besetzungsproblemen“ böten besonders unattraktive Arbeitsbedingungen und geringe Bezahlung.

Auch Tests, die Unternehmen mit Bewerbern durchführen, halten die Bildungsforscher nach vertiefter Betrachtung der Inhalte und Methoden für wenig aussagekräftig. Da solche Tests in der Regel nicht standardisiert seien und selten den Ansprüchen der empirischen Sozialforschung genügten, seien Verallgemeinerungen kaum möglich.

Was die PISA-Befunde angeht, verweisen die Experten auf eine Schweizer Studie: Demnach haben in der Eidgenossenschaft 60 Prozent der Risikoschüler, denen PISA besonders schlechte schulische und berufliche Aussichten bescheinigt hatte, ohne Verzögerung eine Berufsausbildung begonnen und abgeschlossen. PISA lasse also kaum verbindliche Aussagen über Entwicklungsverläufe zu.

Insgesamt, halten die Wissenschaftler fest, sei „unter Einbezug aller zur Verfügung stehenden Erhebungen keine empirische Evidenz für die These eines Leistungsverfalls und mangelnder ,Ausbildungsreife‘ der jüngeren Schülerkohorten gegeben“. Eher im Gegenteil: Daten der BA belegten, dass die allgemeine Intelligenz, das logisch-schlussfolgernde Denken und die Problemlösefähigkeit in den vergangenen 20 Jahren zugenommen hätten.

Dass fehlende Ausbildungsreife trotzdem ein so prominentes Thema ist, halten die Autoren für problematisch: Gesellschaftliche Schuldzuweisungen könnten Lehrstellenbewerber von vornherein entmutigen. Das zu verhindern, sei angesichts der demografischen Entwicklung auch im Interesse der Unternehmen. Statt Einzelne zu stigmatisieren, empfehlen die Forscher daher, alle Jugendlichen in die betriebliche Ausbildung zu integrieren und etwaige Defizite durch berufsbegleitende Hilfen auszugleichen. Voraussetzung: Die pädagogischen Kompetenzen des betrieblichen Ausbildungspersonals müssten weiter verbessert werden.

  • Was Auszubildende verdienen, hängt stark von der Branche ab. Zur Grafik

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