zurück
HBS Böckler Impuls

Finanzmärkte: Die neue Finanzarchitektur der USA: Umfassende Symptomtherapie

Ausgabe 07/2012

Mitte Juli 2010 hat US-Präsident Barack Obama ein neues Regelwerk für die Finanzmärkte unterzeichnet.

Der nach den federführenden Abgeordneten benannte Dodd-Frank-Act umfasst rund 850 Seiten mit Vorschriften für Banken, Börsen, Hedge-Fonds, Rating-Agenturen und Aufsichtsbehörden. Die Ökonomen Raphaële Chappe und Willi Semmler von der New Yorker New School for Social Research haben die wichtigsten Regelungen zusammengestellt und kommentiert:

Verbriefte Kredite. Ausgangspunkt der Krise war die US-Immobilienblase. Banken vergaben massenhaft Kredite und verkauften sie anschließend in Form komplexer Wertpapiere weiter. Diese Kreditverbriefung ist zwar weiterhin erlaubt, die Herausgeber solcher Papiere müssen aber ausführlicher Auskunft über die Zusammensetzung geben. Sie dürfen auch nicht mehr das komplette Ausfallrisiko weiterreichen, sondern müssen mindestens fünf Prozent des Kreditrisikos in den eigenen Büchern behalten.

Erweiterte Finanzaufsicht. Vor der Krise wurde das „systemische Risiko“ vernachlässigt, das sich aus den Verflechtungen des Finanzsystems und dem Zusammenwirken der Marktteilnehmer ergibt. Darüber soll künftig das Financial Oversight Council (FSOC) wachen. Es kann beispielsweise verlangen, dass systemrelevante Finanzfirmen der Bankenaufsicht der Federal Reserve Bank (Fed) unterstellt werden. Dann gelten strengere Auflagen, etwa eine Obergrenze für die maximale Verschuldung. Die Fed kann den von ihr beaufsichtigten Unternehmen Übernahmen und Fusionen verbieten, die Veröffentlichung von Geschäftsdaten oder Verbesserungen des Risikomanagements verlangen sowie die Aufnahme weiterer Kredite untersagen. Das FSOC kann die Fed zudem beauftragen, Finanzunternehmen bestimmte Geschäfte zu verbieten oder von ihnen den Verkauf von Firmenteilen zu verlangen.

Eigenhandel der Banken. Solange Banken nur für Kunden Wertpapiere kaufen und verkaufen, geht von ihnen kein gesamtwirtschaftliches Risiko aus. Problematisch wird es, wenn sie auf eigene Rechnung wetten, ihr Eigenkapital verspielen und die Realwirtschaft nicht mehr mit Krediten versorgen können. Daher setzt nun die „Volcker Rule“ dem Eigenhandel Grenzen: Geschäftsbanken dürfen künftig nur noch mit begrenzten Beträgen spekulieren, zum Beispiel nicht mehr als drei Prozent ihres Kernkapitals in Hedge-Fonds stecken. Allerdings gibt es einige Ausnahmen: So sind beispielsweise Absicherungsgeschäfte weiterhin erlaubt. Chappe und Semmler fürchten, dass es in der Praxis sehr schwierig wird, erlaubte und nicht erlaubte Transaktionen zu unterscheiden. Eine Wiederbelebung des bis 1999 gültigen Glass-Steagall-Acts, der normales Bankgeschäft und Investment-Banking unter einem Dach grundsätzlich verboten hatte, wäre aus Sicht der Wissenschaftler die bessere Lösung gewesen.

Derivate, also Wetten auf Kursschwankungen etwa von Währungen, Zinsen oder Aktien, dürfen nicht mehr abseits regulierter Märkte gehandelt werden. Vormals außerbörsliche Geschäfte müssen nun über lizensierte Clearing-Stellen laufen. Wer mit spekulativen Finanzinstrumenten handeln will, muss sich registrieren und finanzielle Sicherheiten vorweisen können.

Rating-Agenturen werden zu mehr Transparenz gezwungen. Sie müssen regelmäßig ihre Methoden darlegen, nachweisen, dass ihre Analysten qualifiziert sind, und Auskunft geben, wie oft sie mit ihren Einschätzungen richtig oder falsch lagen. Neue Vorgaben für die Besetzung von Vorstandsposten und Analystenstellen sollen Interessenkonflikte vermeiden. Zudem wird es leichter, gerichtlich gegen Rating-Agenturen vorzugehen: Während sie früher argumentieren konnten, Ratings seien bloße Meinungsäußerungen, müssen sie ihre Urteile nun plausibel begründen können, um Ansprüche auf Schadenersatz zu vermeiden.

Dass inzwischen viele neue Auflagen für die Wall Street gelten, sei eindeutig zu begrüßen, schreiben Chappe und Semmler. Allerdings äußern sie neben Einwänden im Detail auch grundsätzliche Kritik: An der wirtschaftlich wie politisch problematischen Konzentration des Finanzsektors habe sich nichts geändert – im Gegenteil: Die sechs größten Finanzkonzerne verfügten 2006 über ein Anlagevolumen, das 55 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entsprach. 2010 waren es bereits 64 Prozent. Unverändert blieben zudem die hohen Bonuszahlungen im Banksektor. Zusammenfassend beschreiben die Ökonomen den Dodd-Frank-Act als einen Katalog technischer Vorkehrungen, der auf die vergangene Krise zugeschnitten sei. Ob dies ausreiche, um die nächste Finanzkrise zu verhindern, die ihren Ausgangspunkt etwa vom Markt für Studienkredite oder einem Absturz der Social-Media-Aktien nehmen könnte, sei fraglich.

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen