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HBS Böckler Impuls

Mindestlohn: Eurokrise: Sparpolitik schwächt südeuropäische Mindestlöhne

Ausgabe 04/2012

Die Mehrheit der 20 EU-Länder mit Mindestlohn hat die Untergrenze kürzlich angehoben. Doch vor allem in den Euro-Krisenstaaten stehen Mindestlöhne unter Druck.

Neun EU-Länder haben zum 1. Januar 2012 ihre gesetzlichen Mindestlöhne erhöht. Großbritannien, Bulgarien und Luxemburg hatten schon im vergangenen Herbst aufgeschlagen. Gleichwohl hat die Krise in der Eurozone den Anstieg der Mindestlöhne stark gebremst. „Obwohl zwischen der aktuellen Verschuldungsproblematik und der Entwicklung der Mindestlöhne kein direkter ökonomischer Zusammenhang besteht, wird unter dem Druck der EU eine restriktive Mindestlohnpolitik mittlerweile als fester Bestandteil der derzeit vorherrschenden Austeritätspolitik gesehen“, konstatiert WSI-Experte Thorsten Schulten im neuen WSI-Mindestlohnbericht.

Wo es Erhöhungen gab, fielen sie meist geringer aus als in den Vorjahren. Da gleichzeitig auch noch die Inflation stieg, waren die realen Zuwächse bestenfalls bescheiden. In mehreren Ländern zehrte die Teuerung die nominale Anhebung sogar auf. Das geschah nach Schultens Auswertung beispielsweise in den Niederlanden, Belgien oder Großbritannien. Einige Staaten haben ihre Lohnminima eingefroren. In Irland wurde der Mindestlohn zunächst um einen Euro gesenkt, nach dem Regierungswechsel im Sommer 2011 dann wieder auf den alten Stand von 8,65 Euro angehoben. Die griechische Regierung hat auf internationalen Druck eine Kürzung um mehr als 20 Prozent beschlossen. Es gab allerdings auch Ausnahmen, zeigt Schulten: Ungarn, Polen und Bulgarien erhöhten ihre Lohnminima real deutlich. Auch einige Länder außerhalb der EU hoben ihre Mindestlöhne spürbar an, darunter Argentinien, Brasilien und die Türkei.

In den westeuropäischen Euro-Ländern betragen die niedrigsten erlaubten Bruttostundenlöhne nun zwischen 8,65 Euro in Irland und 10,41 Euro in Luxemburg. In Großbritannien müssen umgerechnet mindestens 7,01 Euro gezahlt werden. Dieser Wert ist aber von der anhaltenden Schwäche des Pfunds beeinflusst. Sonst würde der britische Mindeststundenlohn heute bei knapp 9 Euro liegen, erklärt Schulten.

Die südeuropäischen EU-Staaten haben Lohnuntergrenzen zwischen knapp drei Euro in Portugal und 3,96 Euro auf Malta. Etwas darüber liegt mit 4,41 Euro Slowenien. In den meisten anderen mittel- und osteuropäischen Staaten sind die Mindestlöhne noch deutlich niedriger. Allerdings haben viele in den vergangenen Jahren aufgeholt. Zudem spiegeln die Niveauunterschiede zum Teil auch unterschiedliche Lebenshaltungskosten wider. Legt man Kaufkraftparitäten zugrunde, reduziert sich das Verhältnis zwischen dem niedrigsten und dem höchsten gesetzlichen Mindestlohn in der EU von 1:14 auf etwa 1:6.

In den Euro-Krisenstaaten werden die Lohnuntergrenzen unter Druck bleiben, prognostiziert der Forscher. Der gehe vor allem von den Auflagen aus, die EU, Europäische Zentralbank und Internationaler Währungsfonds den Regierungen machen, etwa in Spanien und Portugal. Angesichts der drastischen Nachfrageeinbrüche und der Wachstumsschwäche im Euro-Raum sei das eine gefährliche Tendenz, warnt der Wissenschaftler: Mit der verbreiteten „Kombination aus rigider Sparpolitik und restriktiver (Mindest-)Lohnpolitik“ würden „die Potenziale zur Entwicklung der Binnenwirtschaft systematisch abgewürgt“, schreibt Schulten.

  • Die Mehrheit der EU-Länder mit Mindestlöhnen hat diese in den vergangenen Monaten erhöht. Doch vor allem in den südeuropäischen Staaten stehen die Lohnuntergrenzen unter Druck. Zur Grafik

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