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HBS Böckler Impuls

Steuern: Besserverdiener lange geschont

Ausgabe 01/2012

Wer in Deutschland viel Geld verdient, muss heute weitaus weniger Steuern zahlen als in den 1990er-Jahren. Ein höherer Spitzensteuersatz brächte dem Fiskus Mehreinnahmen von mehreren Milliarden Euro pro Jahr.

Top-Verdiener konnten sich in den vergangenen Jahren doppelt freuen: Ihre Einkommen stiegen, zugleich sank ihre steuerliche Belastung. Stefan Bach und Peter Haan vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sehen daher bei der Besteuerung sehr hoher Einkommen wieder „Spielraum nach oben“. Die beiden Ökonomen haben die zu erwartenden Aufkommen für verschieden ausgestaltete Steuererhöhungen durchgerechnet – und kommen auf Mehreinnahmen zwischen 3,5 und 10 Milliarden Euro jährlich.

Die rot-grünen Steuerreformen von 1999 bis 2005 ließen den Spitzensatz der Einkommensteuer von 53 auf 42 Prozent sinken. Seit 2007 gilt zwar für zu versteuernde Einkommen ab 250.000 Euro mit 45 Prozent wieder ein etwas höherer Satz. Dennoch bleibt die Steuerschuld für Steuerzahler mit sehr hohen Einkommen spürbar niedriger als 1998, so Haan und Bach. Auch andere EU- und OECD-Länder senkten die Spitzensätze in den vergangenen beiden Jahrzehnten deutlich.

In Folge der Finanzkrise haben sich inzwischen viele Staaten drastisch verschuldet. Einige haben deshalb in jüngster Zeit ihre Spitzensteuersätze angehoben, allen voran Großbritannien – auf 50 Prozent. Auch in Deutschland werden höhere „Reichensteuern“ wieder verstärkt diskutiert. Die DIW-Forscher weisen darauf hin, dass wohlhabende Bürger dem Spitzensteuersatz nur teilweise unterliegen. Denn in Deutschland sei die „Dualisierung“ der Einkommensteuer stark vorangetrieben worden. Unternehmenseinkünfte und Kapitaleinkommen wurden zunehmend aus der gemeinsamen Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer herausgenommen und gesonderten proportionalen Steuersätzen unterworfen, die deutlich niedriger sind als der Spitzensteuersatz.

Dadurch greift der Höchstsatz nur noch bei Lohn- und Vermietungseinkommen, Unternehmenseinkommen der Selbstständigen, die nicht gleich wieder ins Unternehmen gesteckt werden, sowie Renten und Pensionen. Vom bestehenden „Reichensteuerzuschlag“ in Höhe von drei Prozentpunkten sind nur etwa 45.000 Steuerpflichtige betroffen, rund 0,1 Prozent aller Steuerpflichtigen. Auf Grundlage des DIW-Mikrosimulationsmodells und der Einkommensteuerstatistiken der Jahre 2004 bis 2007 kommen Bach und Haan hier auf geschätzte Mehreinnahmen von jährlich 800 Millionen Euro.

Von allen Oppositionsparteien liegen inzwischen Vorschläge zur Erhöhung des Spitzensteuersatzes vor. Die beiden Ökonomen haben verschiedene Szenarien durchgerechnet:

  • Die SPD spricht sich dafür aus, den Höchstsatz bei der Einkommensteuer auf 49 Prozent anzuheben und die Reichensteuer abzuschaffen. Der Spitzensteuersatz würde ab einem Jahreseinkommen von 100.000 Euro gelten. Damit würden etwa 260.000 oder 0,8 Prozent der Steuerpflichtigen einbezogen. Haan und Bach rechnen pro Jahr mit etwa 3,5 Milliarden Euro an zusätzlichem Steueraufkommen.
  • Die Grünen möchten die 49 Prozent schon ab einem zu versteuernden Einkommen von 80.000 Euro gelten lassen. Zusätzlich sollen die Steuersätze zwischen 52.882 und 80.000 Euro stetig von 42 auf 49 Prozent steigen. Von diesen Änderungen wären rund 1,4 Millionen oder 4 Prozent aller Steuerzahler betroffen. Die Berechnungen der DIW-Forscher ergeben Mehreinnahmen von rund 6 Milliarden Euro.
  • Bach und Haan steuern auch ein eigenes Szenario bei: Würde man die derzeitige Tariffunktion über den ersten Spitzensatz von 42 Prozent hinaus bis zu einem Spitzensteuersatz von 53 Prozent verlängern, der bei einem zu versteuernden Einkommen von 77.000 Euro erreicht wäre, hätte das ein zusätzliches Steueraufkommen von zirka 10 Milliarden Euro zu Folge.
  • Die Linkspartei schlägt sogar vor, den Spitzensteuersatz bereits ab 65.000 Jahreseinkommen auf 53 Prozent anzuheben. Aber sie möchte die Steuersätze bei unteren Einkommen deutlich senken. Unterm Strich seien so erhebliche Mindereinnahmen zu erwarten, schätzen die Forscher.

Gegner eines höheren Spitzensteuersatzes warnen vor Ausweichreaktionen der Steuerpflichtigen. Sie könnten dann weniger arbeiten. „Zahlreiche Studien zeigen jedoch, dass generell die Verhaltensreaktionen auf dem Arbeitsmarkt als Folge von Steuerreformen eher gering ausfallen“, entgegnen die Ökonomen. Trotz des massiven Abbaus der Steuerprogression mit der Steuerreform 2000 änderte sich das Arbeitsangebot nur relativ wenig, ergab eine frühere Studie des DIW.

Unternehmens- und Kapitaleinkünfte unterliegen ohnehin nicht mehr der Steuerprogression. Die Schattenseite dabei sei, dass sehr hohe Einkommen aus Unternehmens- und Kapitaleinkommen von einem höheren Spitzensteuersatz kaum betroffen wären, so Bach und Haan. Sollten diese wieder stärker in die progressive Einkommensbesteuerung einbezogen oder über Vermögensteuern höher belastet werden, müsste die „Reichenbesteuerung“ stärker international koordiniert werden, schlagen die DIW-Experten vor. So ließe sich das Verschieben von Gewinnen ins Ausland eindämmen.

  • In Folge der Finanzkrise haben sich viele Staaten drastisch verschuldet. Einige haben deshalb ihre Spitzensteuersätze angehoben. Zur Grafik

Stefan Bach, Peter Haan: Spitzensteuersatz: Wieder Spielraum nach oben (pdf), DIW Wochenbericht Nr. 46, November 2011

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