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HBS Böckler Impuls

Unternehmenssteuern: Schlupflöcher lassen sich schließen

Ausgabe 20/2011

Die öffentlichen Haushalte in Deutschland sind unterfinanziert. Das liegt vor allem daran, dass Bezieher von Unternehmens- und Vermögenseinkommen viele Möglichkeiten haben, Gewinne legal am Fiskus vorbeizuschleusen.

Seit Anfang der 1980er-Jahre ist der Anteil der Arbeitnehmer an der Finanzierung öffentlicher Aufgaben immer weiter gestiegen. Auf die Lohnempfänger entfielen 2010 66 Prozent des Volkseinkommens, während ihr Beitrag zum Aufkommen an Steuern und Abgaben mit 80 Prozent deutlich überproportional war. Entsprechend geringer fiel der Anteil der Unternehmens- und Vermögenseinkommen aus. Dies geht aus einer Studie der Steuerexperten Lorenz Jarass und Gustav Obermair im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung hervor. Die beiden Professoren aus Wiesbaden beziehungsweise Regensburg haben ausgerechnet, dass die „tatsächliche bezahlte“ Steuer- und Sozialabgabenbelastung von Lohneinkommen im vergangenen Jahr bei durchschnittlich 45 Prozent lag. Von den Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögensanlagen gingen hingegen lediglich 22 Prozent an den Staat.

Die Forscher haben im Detail untersucht, wie die geringe Durchschnittsbelastung von Kapitaleinkünften zustande kommt. Einen wesentlichen Grund sehen Jarass und Obermair darin, dass das deutsche Steuerwesen den Anforderungen einer globalisierten Wirtschaft nicht gerecht wird. Es biete die Möglichkeit, „erhebliche Anteile von großen, in Deutschland erworbenen Einkommen legal dem deutschen Fiskus“ zu entziehen. Ausgehend von ihren Analysen haben die Steuerexperten einen Maßnahmenkatalog entwickelt, mit dessen Hilfe sich die Schieflage überwinden und die öffentlichen Haushalte auf eine solidere finanzielle Basis stellen ließen. Ihre Vorschläge ließen sich auf nationaler Ebene umsetzen, ohne etwa mit EU-Recht zu kollidieren, betonen die Forscher.

Legale Steuervermeidung und Steuerflucht sind laut der Studie vor allem für international verflochtene Unternehmen relativ einfach. Solche Firmen haben heute viele Möglichkeiten, den steuerlich relevanten Gewinn herunterzurechnen, indem sie Finanzierungskonstruktionen wählen, bei denen sie hohe Lizenzgebühren oder Schuldzinsen an ausländische Gesellschaften abführen müssen. Damit werden große Teile ihres in Deutschland erwirtschafteten Ertrags ins Ausland transferiert und bleiben hierzulande steuerfrei. Dank aufwändiger Konstruktionen – etwa unter Einbeziehung von Steuerparadiesen wie den Cayman-Inseln – fallen auch in anderen Ländern oft keine Steuern an. Solche Praktiken schmälern nicht nur das Steueraufkommen, sondern benachteiligen auch kleinere Betriebe, denen entsprechende Möglichkeiten zur legalen Steuervermeidung oder -flucht nicht zur Verfügung stehen, so Jarass und Obermair.

Um das Steueraufkommen zu stabilisieren und gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen, schlagen die Wissenschaftler eine neue Bezugsgröße für die Besteuerung vor: den bei der Bilanzierung ohnehin ermittelten Gewinn vor Zinsen und Steuern (EBIT). Würden die Unternehmenssteuern auf dieser Basis direkt beim Betrieb erhoben – egal ob der Eigentümer Aus- oder Inländer ist –, könnten keine in Deutschland erwirtschafteten Gewinne mehr unversteuert abfließen.

Steuerliche Abzugsmöglichkeiten für Unternehmen existieren bislang auch für Aufwendungen, die zu in Deutschland nicht versteuerten Erträgen führen. Damit subventioniert der Staat unter anderem Produktionsverlagerungen ins Ausland, erläutern Jarass und Obermair: Die Kosten für den Umzug mindern in Deutschland die Steuerlast, die Gewinne fallen am neuen Standort an. Die Wissenschaftler raten, entsprechende Abzugsmöglichkeiten zu streichen.

Die Regeln zur Gewinn- und Verlustverrechnung im Konzern erlauben es Unternehmen, die Erträge profitabler Betriebe gegen die Verluste anderer Betriebe im Unternehmensverbund aufzurechnen. Im Ergebnis sinkt das Steueraufkommen, Konzerne haben einen Steuervorteil gegenüber kleineren Unternehmen und viele Kommunen nehmen kaum Gewerbesteuern ein – obwohl die örtliche Niederlassung eines großen Konzerns eigentlich hohe Überschüsse erwirtschaftet. Jarass und Obermair plädieren dafür, die so genannte steuerliche Organschaft aufzuheben und damit die Verlustverrechnung zwischen Konzerngesellschaften bei der Körperschaft- und Gewerbesteuer abzuschaffen.

Verlustvorträge eröffnen Unternehmen die Möglichkeit, einmal angefallene Verluste beliebig lange vor sich her zu schieben und sie in guten Jahren gegen einen Teil der Gewinne aufzurechnen. Im Jahr 2006 hatten die Kapitalgesellschaften in Deutschland 576 Milliarden Euro zur Steuer mindernden Verrechnung mit kommenden Gewinnen aufgetürmt. Die Steuerexperten schlagen vor, Verlustvorträge nach einigen Jahren abzuschmelzen, wie es in vielen EU-Ländern üblich ist.

Stille Reserven entstehen dadurch, dass Wertzuwächse von Vermögensgegenständen – vor allem Grundstücke und Immobilien – steuerlich erst beim Verkauf erfasst werden. Wenn es keine Besitzerwechsel gibt, bleiben Wertsteigerungen von Betriebsvermögen also unbesteuert, schreiben die beiden Wissenschaftler. Beispielsweise stehen vor langer Zeit für 100.000 Mark gekaufte Grundstücke noch heute mit diesem Wert in der Bilanz, auch wenn der Marktpreis inzwischen bei einer Million Euro liegt. Damit solche Wertzuwächse nicht gänzlich steuerfrei bleiben, setzen sich Jarass und Obermair für eine schrittweise Annäherung der Buchwerte an die Verkehrswerte ein. So könnten die stillen Reserven etwa über einen Zeitraum von zehn Jahren aufgedeckt werden, wobei in jedem Jahr ein Teil des Wertzuwachses als steuerpflichtiger Gewinn verbucht würde.

Die Gewerbesteuer wurde den Autoren der Studie zufolge zwischen 1980 und 2008 ausgehöhlt. Sie war ursprünglich eine Steuer, die alle auf die Kapitalgeber entfallenden Erträge erfasste – beim Fremdkapital die Zinsen, beim Eigenkapital die Gewinne. Übrig sei am Ende nur eine „Extra-Gewinnsteuer für Großunternehmen“ geblieben. Seit 2008 wird zumindest ein Teil der gezahlten Schuldzinsen und Lizenzgebühren, die an Mutter- oder Finanzierungsgesellschaften fließen, wieder besteuert. Jarass und Obermair schlagen vor, den 2008 eingeschlagenen Kurs fortzusetzen und die Gewerbesteuer zu einer „kommunalen Betriebssteuer“ auszubauen, der „alle im Betrieb erwirtschafteten Kapitalentgelte“ als Bemessungsgrundlage dienen.

Die Abgeltungsteuer entlastet die Bezieher hoher Einkommen stark, da auf Kapitalerträge nicht mehr der persönliche Einkommensteuersatz, sondern nur noch pauschal 25 Prozent erhoben werden. Durch die anonyme Erhebung der Steuer bei der kontoführenden Bank hat der Fiskus keinen Überblick mehr, welcher Steuerpflichtige welche Kapitaleinkünfte hat. Dies begünstigt die Steuerhinterziehung, warnen die Experten. Kapitalerträge sollten wieder in der Einkommensteuererklärung ausgewiesen und mit dem persönlichen Satz besteuert werden.

Die Steuermoral ist Jarass und Obermair zufolge auch wegen der meist relativ harmlosen Sanktionen für Steuerhinterzieher unzureichend. Sie weisen darauf hin, dass der mögliche Strafrahmen oft nicht ausgeschöpft werde. Im Falle von Wiederholungstätern oder Beträgen über einer Million Euro sollte eine Freiheitsstrafe nach Meinung der Steuerexperten jedoch zwingend sein. Zudem kritisieren sie das von der Bundesregierung geplante Steuerabkommen mit der Schweiz, das wiederum vielen Steuerbetrügern Straffreiheit gewähre.

  • Arbeitsentgelte werden im Schnitt mit Abgaben von über 45 Prozent belastet, Kapitaleinkünfte kommen mit der halben Belastung davon. Zur Grafik
  • Nettoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Spekulation wachsen erheblich schneller als Arbeitseinkünfte. Zur Grafik
  • Arbeitnehmer leisten – gemessen an ihrem Anteil am Volkseinkommen – einen deutlich überproportionalen Beitrag zur Finanzierung des Staates. Zur Grafik

Lorenz Jarass, Gustav Obermair: Steuermehreinnahmen – Maßnahmen zur nachhaltigen Staatsfinanzierung, MV Wissenschaft, Münster, Dezember 2011

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