Quelle: HBS
Böckler ImpulsGeldpolitik: Keine Krisenlösung ohne EZB
Ohne die Hilfe der EZB ist die Krise einzelner Euroländer nicht mehr zu bewältigen. Dazu bräuchte die Notenbank jedoch eine eindeutige Rückendeckung der Mitgliedstaaten, so Silke Tober, Expertin für Geldpolitik des IMK.
Seit dem Beginn der Vertrauenskrise bei Staatsanleihen steht die Europäische Zentralbank zunehmend in der Kritik. Die eine Gruppe von Kritikern moniert, sie gehe ohne demokratische Legitimation erhebliche finanzielle Risiken ein. Der anderen gehen die Rettungsversuche der Notenbank nicht weit genug: Sie sollte viel breitflächiger Staatsanleihen der in Bedrängnis geratenen Mitgliedsländer kaufen, um der Krise entgegenzuwirken.
Geldpolitik-Expertin Tober hat die zunehmende Verschärfung der Krise untersucht. Ihr Fazit: Die Politik müsse rasch das Vertrauen an den Finanzmärkten wieder herstellen und die Konjunktur der Euroländer stabilisieren. Anderenfalls drohe eine Bankenkrise, eine lang währende Stagnationsphase oder gar ein Auseinanderbrechen des Euroraums. Die Erweiterung des Euro-Rettungsschirms und der geplante Schuldenschnitt für Griechenland reichten längst nicht aus um zu verhindern, dass immer mehr Euroländer auf den Finanzmärkten mit nicht tragbaren Zinsforderungen konfrontiert würden.
Den mangelnden Erfolg der Krisenpolitik der Euroländer führt Tober auf zwei Faktoren zurück:
Der politische Umgang mit der Krise habe die Ansteckungsgefahr nicht gebannt. Inmitten einer Vertrauenskrise nur zögerlich Hilfen zu gewähren, zunächst prohibitiv hohe Zinsen für Hilfskredite zu verlangen und dann eine private Gläubigerbeteiligung ins Spiel zu bringen, bedeutet „Öl ins Feuer zu schütten“, so Tober.
Derzeit versuchten alle Mitgliedstaaten gleichzeitig, ihre Schulden zu reduzieren. Die Konsolidierung dämpfe jedoch die Nachfrage und damit die Produktion. Dadurch, warnt die Volkswirtin, werde es schwerer, die Defizit- und die Schuldenquote zu reduzieren – wenn nicht gar unmöglich.
Mangelndes Vertrauen der Banken untereinander und die inkonsequente Krisenpolitik der Euroländer habe die EZB zum Eingreifen gezwungen: Bis Ende 2010 kaufte sie Staatsanleihen im Wert von insgesamt 74 Milliarden Euro, vornehmlich griechische, irische und portugiesische. Damit pumpte die Notenbank keine zusätzliche Liquidität in den Markt, betont die Forscherin. Das Eurosystem schöpfte die Liquidität in Höhe des Wertes der Staatsanleihenkäufe mit einer verzinslichen Termineinlage wieder ab. Als sich die Krise im August 2011 mit dem Anziehen spanischer und italienischer Renditen deutlich zuspitzte, wurde die Notenbank wieder aktiv. Ende Oktober hatte das Eurosystem bereits „Staatsanleihen für geldpolitische Zwecke“ im Wert von 173,5 Milliarden Euro in seiner Bilanz.
Besonders deutsche Zentralbanker kritisierten das. Die EZB habe mit den Käufen von Staatsanleihen „die Sanktionsfunktion des Marktes geschwächt“, warnte zum Beispiel Ottmar Issing, der frühere Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank. Doch die Märkte haben die von Issing beschworene Disziplinierungsfunktion lange gar nicht wahrgenommen, zeigt Tobers Detailanalyse.
So blendeten viele Investoren die makroökonomischen Ungleichgewichte im Euroraum aus, auf die beispielsweise das IMK schon lange hinwies. Zudem hatten zwei der Krisenländer, Irland und Spanien, vor Ausbruch der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2007 Budgetüberschüsse und niedrige Staatsschuldenstände. Märkte, die sich an den Kriterien des Stabilitätspaktes orientieren, hätten somit im Vorfeld der Krise gar keinen Grund gehabt, diese Länder zu „disziplinieren“. Der Sanktionsmechanismus des Marktes habe also doppelt versagt. „Warum sollte man sich ihm jetzt anvertrauen?“, fragt die Wissenschaftlerin.
Der Euroraum komme aus dieser Krise nur heraus, wenn staatliche Insolvenzen ausgeschlossen werden, fasst Tober die Situation zusammen. Bislang habe die EZB wegen der fehlenden Rückendeckung der Mitgliedstaaten nur halbherzig agiert. „Stellen sich die Euroländer hinter den Euro und erklären, dass sie in der aktuellen Situation kein Land zahlungsunfähig werden lassen, so könnte und müsste das Eurosystem seine Bereitschaft zeigen, Staatsanleihenkäufe deutlich auszuweiten.“ Im günstigsten Fall würde allein die Ankündigung reichen, um die Märkte zu beruhigen.
Zugleich sollte die Wirtschaft des Euroraums wieder wachsen, was angesichts eines schwächelnden außenwirtschaftlichen Umfeldes nur möglich sei, wenn Länder ohne akute Schuldenprobleme die Rolle der Konjunkturlokomotive übernähmen. Die IMK-Expertin spricht sich dafür aus, dass sich gerade Haushalte mit höheren Einkommen und Vermögen an den Kosten der Krise beteiligen, denn diese hätten in der Vergangenheit am ehesten von der Liberalisierung der Finanzmärkte profitiert. Sie plädiert für eine erhöhte Einkommen- und eine Vermögensteuer in allen Euroländern, um die Schulden zumindest auf das Niveau vor der Finanzkrise zu reduzieren.
Silke Tober: Die Europäische Zentralbank in der Kritik (pdf), IMK Report Nr. 67, November 2011.